Update: Grundlage der Eurokrise – der reale innere Wert einer Währung und seine Konsequenzen für die EU

Auch wenn die Eurokrise, seit nunmehr fast sieben acht Jahren ungelöst, ein wenig aus den politischen Schlagzeilen verschwunden ist, steht vor allem Griechenland immer noch im Fokus der Kritik:

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5-Euro-Banknoten

Korruption, ein enorm aufgeblähter Staatsapparat, zu spendable Politiker, aber auch die angeblich „zu faulen“ Griechen selbst werden oft als Gründe für den Ausbruch der Krise angeführt. Ebenso geht das Aufrechnen von moralischer Schuld und (Geld-)Schulden ungehemmt weiter.

Doch ist das alles auch wirklich richtig so? Oder gibt es möglicherweise noch ganz andere Fakten, die ohne den Rückgriff auf empörende Moralität die ganze Malaise erklären können? Doch wo soll man da anfangen in der verwirrenden Kakophonie verschiedenster Meinungen?

Vielleicht bei dem geringsten gemeinsamen Nenner? Demjenigen, an dem sich die ganze Krise ja angeblich entzündete und der ihr den Namen gab? Dem Euro?

Sehen wir uns also diesen Euro mal genauer an, nehmen einen 5-Euro-Schein in die Hand, betrachten ihn und lassen unsere Gedanken schweifen. Man könnte nun über sein Aussehen philosophieren, und was da so alles auf ihm abgebildet ist oder mit welchen Sicherheitsvorkehrungen er vor Fälschungen geschützt wird.

Doch das sind alles nur Äußerlichkeiten, viel wichtiger erscheint dagegen die Frage, woher man wissen soll, wieviel dieser Schein eigentlich wert ist? Dumme Frage, mag man da antworten: 5 Euro, steht ja schließlich drauf. Aber die Herstellungskosten einer solchen Banknote betragen doch nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) nur rund sieben Cent, der reine Materialwert ist noch viel geringer, wie kann dann ein solcher Schein 5 Euro wert sein?

Hier kommt nun der Geldwert ins Spiel, der angibt, „welche Gütermenge mit einem bestimmten Geldbetrag gekauft werden kann“. Weiter geht es bei Wikipedia:

Der Binnenwert der Währung kann nur in Bezug auf bestimmte Güter gemessen werden. Dazu wird ein repräsentativer Warenkorb zusammengestellt, der die typischen Güter enthält, die von einem Durchschnittshaushalt gekauft werden. Daraus wird ein sogenannter Preisindex für die Lebenshaltung ermittelt.

Die Kaufkraft des Geldes wird also durch die Schwankungen eines Preisindexes bestimmt, die zudem in entgegengesetzter Weise Einfluss auf das Preisniveau haben. Doch jeder Student der Volkswirtschaftslehre weiß auch, dass in Märkten mit einem freiem Spiel von Einzelpreisen durch die Veränderungen realwirtschaftlicher Knappheitsrelationen lediglich die Beziehungen zwischen den Geldpreisen der einzelnen Waren und Leistungen festgelegt werden (reziprokes = wechselseitiges Preisniveau). Demnach kostet beispiels-weise ein günstiger 16-Gigabyte USB-Stick (~ 5 Euro) ähnlich viel wie etwa eine Flasche Rotwein oder ein Kasten Oettinger Pils im Sonderangebot.

Das absolute Niveau dieser Geldpreise (und damit auch der wirkliche reale Wert des Geldes) dagegen bleibt erst einmal unbestimmt. Der Ökonom Wolfgang Stützel schrieb dazu in seinem Buch „Marktpreis und Menschenwürde“, dass nach den Thesen der klassischen Nationalökonomie dieses absolute Niveau aller Geldpreise ausschließlich dadurch bestimmt würde, dass irgendjemand für eine wichtige Güterart selbstständig festlegt, wie viele Geldeinheiten man für ein Gut dieser Art zukünftig aufwenden müsse (also ein das Preisniveau bestimmender Leitpreis).

Diese Funktion können aber weder die Preise von USB-Sticks, Rotwein oder Bierkästen erfüllen, schlicht allein aufgrund der Tatsache, dass sie durch die Konkurrenzsituationen und sich ändernden Knappheitsverhältnisse an den Märkten häufigen Schwankungen ausgesetzt sind.

Es müssten also Preise gefunden werden, die angesichts der Umstände ihrer Fixierungen eher selten verändert werden und daher sehr viel besser als „Leitpreise“ fungieren könnten.

Früher bestimmte das Edelmetall den inneren Wert einer Währung
In den Phasen der durch Edelmetalle (Gold oder Silber) gedeckten Umlaufwährungen entsprach dieser Leitpreis dem Preis des Währungsmetalls in nationalen Währungs-einheiten. Dies war die Zeit des Gold– oder Silberstandards, bei denen der Gesetzgeber den Leitpreis national bestimmte. So wurde beispielsweise nach der deutschen Hyperinflation festgelegt, dass aus einem Kilogramm Feingold 279 Münzen als 10-Markstücke mit einem Mischungsverhältnis von 900 Teilen Gold und 100 Teilen Kupfer zu prägen seien (eine 10-Mark-Münze also einen Metallgehalt von 1/279 kg Gold haben sollte = „Münzfuß“).

Diese im Münzgesetz des Deutschen Reiches vom 30. August 1924 festgehaltene Regelung verpflichtete die Reichsbank als zentrale Notenbank dazu, gegen eingereichte Banknoten Münzen mit dem entsprechenden Metallgehalt herauszugeben. Damals erwartete man, dass eine Veränderung dieses Leitpreises (also bspw. eine Verschlechterung des Verhält-nisses Mark je kg Gold) einen entsprechend begründeten Einfluss in etwa gleicher Höhe auch auf alle anderen Geldpreise haben würde.

Doch spätestens seit dem „Nixon-Schock“ am 15. August 1971 gibt es in der westlichen Welt keine feste Währungsverankerung dieser Art mehr. Dank des Bretton-Woods-Systems hatte sich die amerikanische Notenbank FED bis dahin dazu verpflichtet, gegen 35 (später 42) US-Dollar je Feinunze Gold Dollar-Guthaben in Gold einzulösen. Diese Zusage nahm der damalige US-Präsident Richard Nixon an jenem Tag zurück.

Seitdem sind auch die Währungen der europäischen Länder definitiv nur noch „Papierwährungen“, für Deutschland endeten jedwede Wechselkursfixierungen zu anderen Währungen spätestens am 1. März 1973, als die Bundesbank sich endgültig weigerte, US-Dollar zu vorab festgelegten Interventionskursen aufzukaufen.

Dies führte zu einer radikalen Veränderung der Währungssysteme. Nach dem Wegfall der Edelmetall-Bindung können inflationäre Steigerungen aller Preisniveaus in einer Volkswirtschaft nur noch durch andere „Haltepflöcke“ der Papierwährungen verhindert werden. Als einzig übriggebliebene Stützpfeiler verbleiben damit alle diejenigen Einzelpreise, die auch für künftige Zeiten vertraglich oder gesetzlich fixiert sind (sogenannte temporale Preisfixierungen = Preise können über mehrere Perioden nicht geändert werden).

Neben volkswirtschaftlich eher unwichtigen Preisen wie den Auszeichnungen in Versandhauskatalogen oder öffentlich-rechtlichen Gebühren gehören dazu in erster Linie die durch Tarifverträge auf den Arbeitsmärkten fixierten Lohnsätze als die mit Abstand wichtigste Komponente. Gerade den Löhnen/Lohneinkommen als entscheidendem Kostenanteil der Preise sowie größtem Bestandteil des Volkseinkommens (70 %) kommt wegen der Loslösung aller anderen Verankerungen die Funktion der „Leitpreise“ zu.

Stützel schrieb dazu eindeutig weiter:

Das weist allen für die Bestimmung solcher Preise zuständigen Stellen dieselbe Funktion zu, wie sie früher dem Münzgesetzgeber zugewiesen war:
Sie entscheiden über den inneren Wert einer Währungseinheit.

Selbst Notenbanken vermögen mit all ihrer Zins- und Geldmengen-Politik die allenthalben in der Welt in Gang gekommenen Inflationsprozesse nur insoweit zu bremsen, soweit ihre Bremssignale von all denen, die über die eigentlichen Leitpreise (oder „transtemporalen Preisfixierungen“) bestimmen, voran die Tarifpartner, tatsächlich respektiert werden.

Stützel, Marktpreis und Menschenwürde (1982), S. 83

Tarifpartner als funktionelle Nachfolger des Münzgesetzgebers
Mit dem Wegfall der Währungsbindungen an Edelmetalle und dem damit verbundenen Übergang zu einem System flexibler Papiergeldwährungen ging damit eine ökonomisch sehr wichtige Aufgabe auf die Tarifpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeber) über.

Sie übernahmen eine gravierende Zwischenfunktion in einem „Preisniveau-Steuerungsmechanismus“, dessen Bedeutung eigentlich bis heute nicht hoch genug angesiedelt werden kann und doch fast völlig vergessen ist.

Ohne die planmäßig vorgesehene Ausführung dieser Funktion wird es allen staatlichen Institutionen (bspw. der Zentralbank oder dem Finanzministerium) nahezu unmöglich gemacht, ihren verfassungsrechtlichen Auftrag der Sicherung der Preisniveaustabilität überhaupt zu erfüllen.

Das mag heute sehr ungewohnt klingen, ist man es doch gewohnt, die so oft beschworene unabhängige Tarifhoheit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften als große Errungenschaft zu feiern. Ebenso scheint es heute üblich, sich selbst in wirtschafts- wissenschaftlicher Hinsicht nur noch auf die Kostenkomponente der Löhne zu konzentrieren, und deren makroökonomische Wirkungen weitestgehend zu ignorieren. Dazu kommt die ideologische Starrheit der neoliberalen Ansicht, mit Gehaltssenkungen nahezu jede krisenhafte Konjunkturphase lösen zu wollen.

Wolfgang Stützel erweiterte dagegen damals diese Rolle der Gewerkschaften noch:

In verhältnismäßig kleinen Ländern mit sehr starker Außenhandelsverflechtung haben Leitpreis—Funktion (da sie „exogen determiniert“ sind) außer den heimischen Nominallöhnen vor allem die über den Wechselkurs auf Inlandswährung umgerechneten Auslandspreise der Ein- und Ausfuhrgüter.

Prompt geraten die für die Tariflöhne verantwortlichen Personen einschließlich der Gewerkschaften in die Rolle der Instanzen, die in unserer Marktwirtschaft über die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes mitentscheiden.

Stützel, Marktpreis und Menschenwürde (1982), S. 84

Schon vor über 30 Jahren wies Stützel richtigerweise darauf hin, dass unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es längst nicht mehr die Preise der Edelmetalle sondern ganz andere Preise seien, die in einem Papierwährungssystem die Funktion der „preisniveaubestimmenden Leitpreise“ übernommen hätten und kein Goldstandard sondern ein Lohnstandard den inneren Wert einer Währungseinheit bestimmten, womit den Gewerkschaften und somit den Tarifpartnern seitdem auch eine gewichtige Mitverantwortung für Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung übertragen worden ist.

Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Lohnstückkosten
Wenn man aber nun in der volkswirtschaftlichen Betrachtung letzten Endes der Ansicht Wolfgang Stützels folgt und die Löhne aufgrund obiger Analyse als den zentralen Faktor anerkennt, der neben der Fixierung der „Leitpreise“ auch über die Produktionskosten bestimmt, dann ergibt sich bei einem starken Wettbewerb zwischen den Unternehmen die Entwicklung der Angebotspreise aus dem Zusammenspiel von Lohnentwicklung und Produktivitätsentwicklung, also aus dem Zuwachs der Lohnstückkosten.

Hier sei dann an dieser Stelle auch noch einmal kurz auf die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten für die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate hingewiesen, diesen Zusammenhang hatte ich schon in einem früheren Beitrag versucht zu erklären.

Oben verlinkter Artikel von flassbeck-ecomomics erläutert auch den Zusammenhang zwischen der Lohnentwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eines Landes sowie deren Relevanz für den Außenhandel und den Saldo der Handelsbilanz eines Staates.

Ferner weist dieser Beitrag auf die Folgen verschiedener Entwicklungen der volkswirtschaftlichen Lohnstückkosten in einer Währungsunion hin und definiert diese als den wichtigsten Faktor, wenn es darum geht, anhand von Handelsüberschüssen und -Defiziten die tatsächlichen Gründe für die Eurokrise zu erklären.

Doch am Ende noch einmal zurück zum Anfang: was definiert denn nun den tatsächlichen inneren Wert einer Währung? Was legt das absolute Niveau aller Geldpreise in einer Volkswirtschaft denn nun fest?

Es ist die Höhe der Löhne, gemessen im Verhältnis zur Produktivität eines Landes. Eine Währungseinheit entspricht demnach also nichts anderem als dem in Lohnstückkosten ausgedrückten korrespondierenden Anteil am Bruttosozialprodukt, also quasi dem durchschnittlichen Wert der Güter, die für einen der Währungseinheit entsprechenden Lohn produziert wurden.

UPDATE:
Volkswirtschaftlich gesehen repräsentiert damit die Geldmenge (die Gesamtheit aller Währungseinheiten) nichts anderes als das Bruttosozial-(bzw. inlands-)Produkt eines Staates. Das aber impliziert enorme wirtschaftspolitische Konsequenzen: ein steigendes BIP muss demnach immer mit einer steigenden Geldmenge (bzw. Schulden! da ja Geldvermögen = Schulden) einhergehen. Umgekehrt verhält es sich genauso: eine schrumpfende Geldmenge bedeutet nichts anderes als ein zurückgehendes BIP!

Das richtige politische Verhalten bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit wäre dann also genau das Gegenteil dessen, was uns täglich immer wieder gepredigt wird: wenn nur ein anwachsendes BIP Erwerbstätigkeit generiert, müsste man also umgangssprachlich solange Geld drucken (und auch ausgeben!!), bis tatsächlich Vollbeschäftigung herrscht und die komplette Auslastung aller Kapazitäten erreicht ist, ohne dabei Angst vor ansteigender Inflation haben zu müssen!!

Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist übrigens ein beständiger Leistungsbilanz- (Export-)überschuss, durch den regelmäßig Geldeinheiten aus anderen Volks-wirtschaften eingenommen werden, mit der Konsequenz allerdings, dass sich diese Staaten immer weiter verschulden müssen, wenn nicht in irgendeiner Art für einen Ausgleich (Schuldenschnitt oder Finanzausgleich) gesorgt wird.

In Kenntnis dieser Tatsachen kann man vielleicht nachvollziehen, welche desaströse Wirkung einerseits die den europäischen Krisenländern aufgedrückte Austeritätspolitik (insbesondere gegenüber Griechenland) als auch der andauernde deutsche Export-überschuss in einem Euro-Regime haben, welches nach den verheerenden Grundsätzen des Goldstandards funktioniert.

Es ist daher das tragische Schicksal unserer heutigen europäischen Generation, dass die verantwortlichen Politiker diese fatalen Fehlentwicklungen offenbar nicht sehen können oder wollen!!