Als einen notwendigen Beitrag zur volkswirtschaftlichen Geldtheorie hat Wolfgang Stützel die von ihm entwickelte Saldenmechanik angesehen. Ihr wesentlichstes Anwendungsgebiet in der Wirtschaftstheorie sollte dabei die Analyse von Änderungen des Nettogeldvermögens sein.
Zahlungsmittel Euro-Geldscheine
Begriff des Geldvermögens
Um den Begriff des „Geldvermögens“ zu definieren, erkannte Stützel die grundsätzliche Zweiteilung des Objektes „Geld“ im Sinne der Geldtheorie:
In Wirklichkeit zerfallen die Beziehungen im gegenwärtigen Geldwesen in zwei verschiedene Ebenen: Eine Ebene der Geldvermögensumschichtungen und eine Ebene der Zahlungsmittelumschichtungen. Infolgedessen zerfällt das früher … einheitliche Objekt „Geld“ in zwei verschiedene Objekte, nämlich a) Geldvermögen, b) Zahlungsmittelbestände…
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 70)
Um die arithmetischen Beziehungen zwischen Veränderungen von Geldvermögen und Zahlungsvermögen unterscheiden zu können, ist es wichtig, sämtliche Geschäftsabschlüsse wie Kauftransaktionen, Zahlungstransaktionen und Kredittransaktionen in der Form von Geldvermögensströmen und Zahlungsströmen zwischen einzelnen Wirtschaftsobjekten zu betrachten.
Diese Transaktionen können volkswirtschaftlich innerhalb von Unternehmen, Banken, privaten Haushalten und dem Staat eingeteilt werden in Vorgänge, die auf Leistungskonten oder auf Zahlungskonten erscheinen.
Dabei bilden die Leistungskonten die tatsächlichen Waren- und Dienstleistungsströme sowie die Arbeitsleistungen ab. Die Zahlungskonten hingegen stellen den Zahlungsverkehr in Form von Bargeldkassen, Bankguthaben, Pfandbriefe, Forderungen aus Warenlieferungen u. a., aber auch als Darlehensverbindlichkeiten, Hypothekenschulden oder Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten dar.
Geldvermögenswirksame und geldvermögensneutrale Transaktionen
So wird dann das Geldvermögen eines Wirtschaftsobjekts folgendermaßen ermittelt:
Den (positiven oder negativen) Saldo der Konten der Zahlungsreihe (einschließlich aller Finanzkonten, Fremdkapital usw.) auf einen bestimmten Stichtag (Zeitpunkt) bezeichnet man als „Geldvermögen“. Die Größe des Geldvermögens wird also durch eine bilanzmäßige Zusammenstellung der Bestände auf den Konten der Zahlungsreihe (Zahlungskontenbilanz) ermittelt.
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 60/61)
Dieser jeweilige Saldo wird gebildet aus der Formel „Kasse + Forderungen ./. Verbindlichkeiten“. Mit dieser definitorischen Festlegung des Ausdrucks „Geldvermögen“ kann man nun recht einfach „reine Finanztransaktionen“ von anderen Transaktionen unterscheiden.
So kann man feststellen, dass sich bei manchen Transaktionen zwischen zwei Wirtschaftsobjekten der oben genannte Saldo verändert, während er bei anderen Transaktionen gleich bleibt.
Bei der ersten Gruppe handelt es sich um „geldvermögenswirksame Transaktionen“ wie Warenkäufe, Lohnausgaben, Steuerzahlungen, Zinsleistungen, Tributzahlungen, Forderungserlasse oder auch Geschenke. Diese sind, wenn sie das Geldvermögen verringern, Ausgaben und wenn sie es vergrößern, Einnahmen.
Die zweite Gruppe bilden dann „geldvermögensneutrale Transaktionen“, also bloße Finanztransaktionen, zu denen die Bezahlung von Schulden jeglicher Art (z. B. Waren- oder Steuerschulden), Tilgungen von Darlehen und die Gewährung von Krediten gehören. Diese Transaktionen wirken sich nur in Form einer Bilanzverlängerung oder -verkürzung auf die „Zahlungskontenbilanz“ aus, deren Saldo, also das „Geldvermögen“ wird dadurch nicht verändert.
Nur bei einem Bareinkauf (oder Barverkauf) fallen somit beide Transaktionsarten (Einnahme bzw. Ausgabe und Zahlungseingang bzw. -ausgang) zufällig gleichzeitig an. Bei allen anderen Ausgaben fallen die Zahlungsverpflichtungen (z. B. durch den „Kauf“ einer Ware) zu einem anderen Zeitpunkt an als die Zahlungen (durch Fälligkeit des Kaufpreises oder der eigentlichen Bezahlung) als Finanztransaktionen geleistet werden.
Damit stellte Stützel für die moderne Volkswirtschaft fest:
Es herrschen Kreditbeziehungen. Als Zahlungsmittel werden hauptsächlich monetarisierte Forderungen verwendet. Die Veränderung der Zahlungsmittelbestände hängt von ganz anderen Beziehungen ab als die Veränderung der Geldvermögensbestände.
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 64)
Höhe des Geldvermögens einer Volkswirtschaft
Die Summe der Geldvermögen ist gesamtwirtschaftlich nach Abzug aller monetarisierten Metallbestände (Metallwert der Geldmünzen als Kursmünzen oder Scheidemünzen) genau gleich null, da sich alle Forderungen und Verbindlichkeiten innerhalb einer Volkswirtschaft gegeneinander aufrechnen (siehe Grafik:)
Nettogeldvermögen in Deutschland zwischen 1991 und 2011
Unter Berücksichtigung globaler Beziehungen wird zu dieser Summe noch der Saldo der Bilanz aller außenwirtschaftlichen Verschuldungsverhältnisse hinzugerechnet. Während einer bestimmten Periode kann das Geldvermögen einer Volkswirtschaft daher nur durch eine Veränderung des Saldos der außenwirtschaftlichen Leistungsbilanz und/oder des Saldos inländischer Münzprägung bzw. -einziehung steigen oder sinken.
Das bedeutet auch, dass durch die sogenannte „Giralgeldschöpfung“ das Geldvermögen einer Volkswirtschaft summa sumarum nicht verändert wird, ebenso wenig wie durch Kapitalexport oder -import. In beiden Fällen handelt es sich nämlich nur um eine Zahlungsmittelvermehrung bzw. -verminderung, die Größe der Geldvermögen aber hängt einzel- und auch gesamtwirtschaftlich nur von Leistungstransaktionen und nicht von reinen Finanztransaktionen ab.
Begriff der gesamtwirtschaftlichen Zahlungsmittel
Nicht so eindeutig definierbar ist, was man unter dem Begriff Zahlungsmittel einer Volkswirtschaft verstehen kann. Dabei erfolgt die Festlegung von Forderungen als „monetarisierte“ Forderungen (= Zahlungsmittel) oder als „sonstige“ Forderungen oft äußerst willkürlich.
Auch muss beachtet werden, dass der Begriff Zahlungsmittel ein relativer Begriff ist, da er immer nur für einen bestimmten Kreis von Zahlungsempfängern definierbar sein kann. So ist im allgemeinen ein Sichtguthaben oder eine Kreditlinie bei einer Bank im Inlandsverkehr ein voll anerkanntes Zahlungsmittel, während für Banken untereinander oder gegenüber einer Zentralbank in einem anderen Währungsraum oft ganz andere Vorrausetzungen gelten können. Oder einfacher: Banknoten einer Währung werden nicht unbedingt immer in anderen Währungsräumen als Zahlungsmittel akzeptiert und anerkannt.
Diese Einschätzung des Zahlungsmittelbestandes ähnelt übrigens sehr dem heute gebräuchlichen Konzept der Geldmenge mit ihren Einteilungen M0 bzw. M1 bis M3. Auch für die Geldmenge gilt übrigens die oben gemachte Feststellung, dass sie ein relativer Begriff und international nicht einheitlich definiert ist.
Daher ist es auch logisch, dass sich über die Größe des vorhandenen Zahlungsmittelbestandes einer Volkswirtschaft nicht annähernd so genaue Aussagen machen lassen können wie etwa für das Geldvermögen. Während dieses ja bekanntlich gleich 0 ist (abgesehen von monetarisierten Metallbeständen = Münzen), sind die Summen von Zahlungsmitteln als monetarisierten Forderungen dagegen stets positiv.
Einzelwirtschaftlich betrachtet ist der Zahlungsmittelbestand eines Wirtschaftsobjektes dabei immer gleich der Höhe seines Geldvermögens abzüglich bzw. zuzüglich des Saldos des Abzuges der gesamten offenen Verbindlichkeiten dieses Wirtschaftsobjekts von denjenigen Forderungen, denen man die Zahlungsmitteleigenschaft nicht zuschreiben kann oder möchte.
Veränderung der Zahlungsmittelbestände einer Volkswirtschaft
Trotz der oben angeführten Zweifel an einer allgemein gültigen Abgrenzung, welche Forderungen man als Zahlungsmittel anerkennen kann oder will, ist es für häufig gesuchte Problemlösungen zu Verfügbarkeiten von Zahlungsmitteln völlig ausreichend, wenn man nur Banknotenbestände (einschl. Geldmünzen) sowie Sichtforderungen von Nichtbanken bei Banken als Zahlungsmittelbestände von Nichtbanken bezeichnet (auch hier zeigt sich, dass das Geldmengen-Prinzip mit ähnlichen Parametern arbeitet).
Unter Nichtbeachtung von Auslandsbeziehungen lassen sich dann folgende Grundsätze zur Veränderung dieser Zahlungsmittelbestände feststellen:
Die Summe der Zahlungsmittelbestände der Nichtbanken wächst, sobald Zahlungen, durch die der Zahlende seine Bankschulden vermehrt oder seine längerfristigen Forderungen an Banken vermindert, an Zahlungsempfänger gehen, die sie weder zur Rückzahlung von Bankschulden verwenden noch in längerfristigen Guthaben bei Banken anlegen (sogenannte Geldschöpfung).
Sie schrumpft, sobald Zahlungen den umgekehrten Weg gehen, also von Wirtschaftssubjekten, die durch diese Zahlungen weder ihre Bankschulden vermehren noch ihre längerfristigen Bankguthaben vermindern, zu Zahlungsempfängern, die sie zur Rückzahlung von Bankkrediten und/oder Bildung längerfristiger Bankguthaben verwenden (sogenannte Geldvernichtung).
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 69)
Die Gesamtsumme dieser Zahlungsmittelbestände (der Nichtbanken) ist demnach annähernd gleich der Summe der Bankkredite abzüglich längerfristiger Bankguthaben bzw. -einlagen.
Insgesamt kann man dann zusammenfassen:
Nur durch die Prägung bzw. Einziehung von Metallmünzen werden sowohl die Zahlungsmittelbestände als auch die Geldvermögen in gleichem Maße verändert. Ansonsten aber ist die Summe der inländischen Geldvermögen ausschließlich vom Saldo der Leistungsbilanz abhängig, während die Summe der Zahlungsmittelbestände inländischer Nichtbanken vom Zahlungsbilanzsaldo sowie den Veränderungen des Bankkreditvolumens und den längerfristigen Bankeinlagen bestimmt wird.
Schon Wolfgang Stützel hat diese Beziehungen im Geldwesen als sehr bedeutend angesehen. So schrieb er weiter über die Zweideutigkeit des Geldes:
…man kann nicht mehr von „Geldströmen“ reden, ohne sofort die größten Konfusionen heraufzubeschwören, sondern muß säuberlich zwischen a)Geldvermögensströmen (Einnahmen und Ausgaben) und b)Zahlungsströmen unterscheiden, ähnlich auch zwischen a)Vermehrung der Geldvermögen und b)Vermehrung der Zahlungsmittelbestände.
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 70/71)
Wer die heutige Situation in der deutschen, europäischen und der Weltwirtschaft kritisch betrachtet, wird feststellen, dass sich an dieser geldpolitischen Verwirrtheit bis in die Gegenwart leider nicht viel geändert hat.
Ganz im Gegenteil, die Beispiele der Austeritätspolitik der Europäischen Union, der allgemeinen Schuldenhysterie sowie der manischen Angst mancher Zeitgenossen vor „zuviel Geld“ zeugen eher von weiter steigender Unwissenheit zu aktuellen ökonomischen Problemstellungen.
Eine Volkswirtschaft kann nicht sparen
Wenn man nämlich den Erkenntnissen von Wolfgang Stützel zu Zahlungsmitteln und Geldvermögen folgt, wird schnell klar, wie groß die wirtschaftspolitische Konfusion zum Beispiel auch beim Thema des gesamtwirtschaftlichen Sparens selbst heute noch ist.
Eine Volkswirtschaft kann eben nicht sparen wie ein einzelnes Wirtschaftsobjekt, da immer nur Geldvermögen (= Konsumansprüche) zwischen den verschiedenen Sektoren verschoben werden können. Während ein einzelner versuchen kann, sich durch Konsumverzicht („Sparen“) heute Konsumansprüche von morgen zu kaufen, können das nicht alle gleichzeitig tun. Es ist dabei für die Volkswirtschaft als ganzes sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft belanglos, ob die Menschen sich untereinander Konsumansprüche ausleihen, lediglich die Eigentumsrechte verschieben sich dabei.
Oder, um es in den Worten von Stützel auszudrücken:
„Sparen“ im Sinne der Bildung eines Einnahmeüberschusses ist ein Partialbegriff. Was für den einzelnen sich als „Sparen“ in diesem Sinne darstellt, ist beim Blick über die Gesamtwirtschaft lediglich eine Geldvermögensumschichtung von der Komplementärgruppe zu den Sparern.
Stützel: „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” (1978, S. 74)
Dieses gesamtwirtschaftliche Phänomen bezeichnete bereits der berühmte Ökonom John Maynard Keynes als Sparparadoxon. Das Beispiel Griechenland zeigt seit einigen Jahren sehr eindrücklich, dass volkswirtschaftliches Sparen unmöglich ist.
Inflation entsteht nicht einfach nur durch „mehr“ Geld
Die Unterscheidung zwischen Geldvermögen und Zahlungsmitteln hilft auch dabei, das Phänomen Inflation besser zu verstehen. Entgegen häufig vertretener Ansichten ist nämlich nicht allein das vermehrte „Schöpfen“ von Zahlungsmitteln per Kredit dafür verantwortlich.
Erst durch die Verwendung dieser Zahlungsmittel zum Kauf realer Güter kann es überhaupt zu Preissteigerungen kommen, wenn die Kapazitäten der Volkswirtschaft voll ausgelastet sind und die Löhne stark steigen.
Im Gegenzug bedeutet daher das Horten von Geldvermögen durch Konsumverzicht, niedrigen Lohnzahlungen und geringen Investitionen bei nicht voll ausgelasteten Kapazitäten eine immer größer werdende Deflationsgefahr und drohenden wirtschaftlichen Abschwung, unabhängig davon, wie hoch die Zahlungsmittelbestände sein mögen.
Damit wird dann aber auch klar, dass die Geldmenge als Indikator für den Zahlungsmittelbestand kein geeigneter Maßstab für die Inflationsrisiken sein kann, wie es von Vertretern der klassischen Wirtschaftstheorie immer wieder behauptet wird.
Auch die Empirie bestätigt diesen nicht vorhandenen Zusammenhang, wie obige Grafik eindeutig zeigt. Noch deutlicher wird dies am Beispiel der Bank of Japan, die seit 2001 mit einer erheblichen Ausweitung der Geldmenge vergeblich gegen die herrschende Deflation vorging.