Es ist mal wieder soweit:
Der Sachverständigenrat der sogenannten „Wirtschaftsweisen“ hat sein Jahresgutachten für 2013 vorgelegt.
Die Kurzfassung ist für Interessierte hier zu finden: Jahresgutachten 2013 des Sachverständigenrates
Dennis Snower (ifW) und der Vorsitzende des Sachverständigenrates Christoph M. Schmidt (RWI) 2011
Ich möchte mich hier jetzt gar nicht mit den Prognosen der „Weisen“ zum zukünftigen Wirtschaftswachstum näher beschäftigen, es gab in der Vergangenheit genügend Hinweise zur Fragwürdigkeit dieser Annahmen, besonders im Vorfeld der Finanzkrise.
Mir geht es eher darum, darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit dieses Rates eine ganz bestimmte wirtschaftspolitische Ausrichtung verfolgt, nämlich die der sogenannten „Angebotspolitik“.
Diese beinhaltet kurzgefasst eine Überbewertung aller Maßnahmen, die im wirtschaftlichen Geschehen auf der Angebotsseite, d. h. aus der Sicht der Unternehmer erfolgen.
Dass es sich dabei um eine extrem einseitige Ausrichtung von Wirtschaftspolitik handelt, die die gesamtwirtschaftliche Wirkung der Nachfrage aufgrund der Arbeitnehmereinkommen fast völlig ausschließt sowie von der nahezu uneingeschränkten Selbstheilungskraft privater Wettbewerbsmärkte ausgeht, muss an dieser Stelle nicht mehr besonders erwähnt werden.
Man kann aber schon anhand des publizierten Textes dieses Gutachtens sehr schön nachweisen, wie unnachgiebig und mit Scheuklappen versehen diese Wirtschaftsweisen diese „Politik“ weiterhin verfolgen und jegliche Einsicht oder auch nur den leisesten Zweifel daran, dass die ökonomischen Geschehnisse der letzten Jahre um sie herum vielleicht etwas an der angenommenen Richtigkeit dieser These gerüttelt haben könnten, vollkommen vermissen lassen.
Ich will mich bei dieser Kritik vor allem auf zwei zentrale Themen dieses Gutachtens beschränken, die zuletzt auch politisch im besonderen Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit standen:
den gesetzlichen Mindestlohn und die Mietpreisbremse
Der Sachverständigenrat schreibt zum Beispiel zum Mindestlohn:
Die in Deutschland bereits gemachten Erfahrungen mit Branchenmindestlöhnen sind ebenfalls nicht auf einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn übertragbar.
Im Gegensatz zu einem sektoralen Mindestlohn können Arbeitnehmer, die aufgrund des allgemeinen Mindestlohns ihre Beschäftigung verlieren, nicht in eine andere Branche ausweichen, denn überall gilt der gleiche, ihre Produktivität übersteigende Mindestlohn.Negative Beschäftigungseffekte sind vor allem in den Arbeitnehmergruppen konzentriert, deren Produktivität niedriger als der gesetzliche Mindestlohn ist.
Ich habe einmal die relevanten Teile der Argumentation der Wirtschaftsweisen besonders kenntlich gemacht:
Es geht dabei vor allem um die Behauptung, es gebe in unserem Wirtschaftssystem tatsächlich eine individuell meßbare Produktivität des Einzelnen, die zudem noch in Geldeinheiten, hier also in Euro, meßbar wäre.
Dieser Ansicht ist klar zu widersprechen, denn sie ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung, in der die Löhne und Gehälter vor allem durch allgemein gültige Tarifverträge festgelegt werden, weitestgehend schlicht unrichtig.
Selbst in Bereichen, in denen tarifliche Vereinbarungen nicht gelten, ist es überwiegend der erwirtschaftete Gesamtertrag der Betriebe, welcher die Arbeitnehmerentlohnung bestimmt.
Wer zu dieser Thematik mehr lesen möchte, den verweise ich an dieser Stelle auf meine Beiträge Die makroökonomische Bedeutung des gesetzlichen Mindestlohns, Mindestlöhne und die individuelle Produktivität und Weitere Argumente für den gesetzlichen Mindestlohn, in denen alle wichtigen Aspekte dazu ausgeleuchtet wurden.
Es bleibt als Fazit festzuhalten, dass die weitere Argumentation des Sachverständigenrates zu den Auswirkungen dieses Sachverhalts letztlich unzutreffend erscheint, da die zur Begründung herangezogene Grundthese schon an sich nicht haltbar ist.
Zur Mietpreisbremse teilen die Sachverständigen mit:
Auf dem deutschen Immobilienmarkt lassen sich bisher keine Anzeichen für gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen erkennen. Der Immobilienmarkt wird durch die insgesamt günstigen Fundamentaldaten gestützt, wie etwa die wirtschaftliche Situation in Deutschland und die bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts voraussichtlich noch ansteigende Anzahl der Haushalte. Ein treibender Faktor für die Immobiliennachfrage ist das ungewöhnlich niedrige langfristige Zinsniveau.
Trotz des gesamtwirtschaftlich insgesamt eher unauffälligen Befunds ist es in einigen Großstädten und insbesondere in einzelnen Lagen zu Entwicklungen gekommen, die sich als nicht nachhaltig erweisen könnten.
Die steigende Wohnraum-Nachfrage in Großstädten stellt eine sozialpolitische Herausforderung dar. Der Versuch, das Problem durch Obergrenzen für neu abzuschließende Mietverträge zu lösen, ist jedoch kontraproduktiv und daher abzulehnen. Kurzfristig würde damit der Preis durch indirekte und oft diskriminierend wirkende Zuteilungsmechanismen ersetzt.
Ich möchte hier nun nicht näher auf die offensichtliche Widersprüchlichkeit dieser Diagnose zum Immobilienmarkt insgesamt und seinen Teilbereichen eingehen. Inwieweit man diese Entwicklung so getrennt betrachten kann, muss letztlich jeder Leser für sich entscheiden.
Viel wichtiger ist dagegen der Hinweis auf die Preisgestaltung auf dem Markt für Mietwohnungen im letzten Satz.
Der Sachverständigenrat geht natürlich wie selbstverständlich davon aus, dass es sich dabei um den üblichen Mechanismus der ausschließlichen Wirkung von Angebot und Nachfrage auf einem einzelnen unabhängigen Markt handelt, wie ihn die klassische Theorie als gegeben voraussetzt.
Die Frage ist aber die, ob es diese einfache Gleichsetzung mit dem Kartoffelmarkt so auch auf dem Immobilienmarkt gibt.
Oder ist es nicht eher der Fall, dass hier der Preis (also nicht nur der Kaufpreis des eigenen Hauses, sondern auch die Miete als Preis für die Überlassung von Wohnraum) nicht nur durch das Bedürfnis nach günstigem Wohnen sondern auch durch die Bedeutung von Immobilien als Wertanlage im allgemeinen beeinflußt wird?
Schließlich sind nicht nur Privathäuser, sondern auch vermietete Objekte ebenfalls immer auch Kapitalanlagen.
Das bedeutet dann aber auch, dass bei den Dispositionen zu diesen Kapitalanlagen natürlich auch die besonderen Bedingungen von Vermögensmärkten Berücksichtigung finden.
Das dabei die Preisgestaltung nicht immer rationellen Erwartungen entspricht, haben die Entwicklungen auf den Immobilienmärkten in Spanien und den USA aber auch an den diversen Aktienbörsen und sonstigen Vermögensanlagemärkten der letzten Jahre wohl sehr nachdrücklich bewiesen.
Auch dem Sachverständigenrat dürfte dabei nicht entgangen sein, dass sich diese Märkte entgegen der allgemein üblichen Ansichten eben nicht von allein wieder in eine für alle Beteiligten erträgliche Gleichgewichtslage zurückentwickelt haben, sondern von staatlichen Einrichtungen schlicht „gerettet“ werden mussten.
Eine der bedeutenden Einsichten der Finanzkrise war ja schließlich die, dass diverse Märkte eben nicht nach dem simplen Prinzip von Angebot und Nachfrage funktionieren, sondern unter dem Einfluss von externen Entwicklungen oder auch von allein zu extremen Verzerrungen neigen, die die „Findung“ eines Gleichgewichtspreises nahezu unmöglich machen.
Man kann daher auch mit gutem Grund die Ansicht vertreten, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen der Nachwirkungen von Finanz- und Eurokrise es zumindest als überdenkenswert zu erachten, auch bei den Immobilienmärkten eine außergewöhnliche Preisentwicklung nicht nur allein den „Märkten“ zu überlassen, sondern auch eine staatliche Regulierungsmaßnahme wie eine Mietpreisbremse ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Einerseits aber eine „sozialpolitische Herausforderung“ zu diagnostizieren und andererseits solche Eingriffe rigoros abzulehnen, zeigt meiner Ansicht nach wieder nur, dass die Mehrheit des Sachverständigenrats (Peter Bofinger wegen seiner bekannten Minderheitsansichten mal ausgenommen) tatsächlich immer noch der seligen Ansicht, private Märkte könnten alles besser als der Staat, uneingeschränkt anhängt und daher weiter in einem Paralleluniversum namens „Angebotspolitik“ bar jeglicher Kontakte zum wirklichen ökonomischen Geschehen da draußen unbeirrt anderen Welten entgegenschwebt.
Kein Wunder also, dass der amerikanische Ökonom Dennis J. Snower den Vorsitzenden der „Wirtschaftsweisen“ Christoph M. Schmidt auf dem obigen Bild so entgeistert anstarrt.
(Zugegebenerweise ist das Foto schon etwas älter, die Haltung des Sachverständigenrates ist es allerdings auch…)