Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die Macht im Deutschen Reich ergriffen, befand sich die deutsche Wirtschaft als Folge der Weltwirtschaftskrise noch in einem komatösen „Tiefschlaf“.
Berlin, Fackelzug der SA zur Machtergreifung Hitlers
am Abend des 30. Januar 1933
Die Industrieproduktion betrug nur noch etwa die Hälfte des Vorkrisenstandes von 1928 und neue Investitionen konnten nur noch zu einem Drittel den Ersatzbedarf decken. Die Zahl der Erwerbslosen wuchs erneut, vergleichbar mit dem vorangegangenen Winter, auf über sechs Millionen, jede dritte Arbeitskraft war ohne Beschäftigung.
Im Frühjahr 1932 hatte die Krise ihren „Höhepunkt“ erreicht und stagnierte seitdem mit saisonalen Schwankungen auf diesem Niveau. Erste Konjunkturprogramme der Regierungen von Papen und von Schleicher konnten zwar einen weiteren Absturz verhindern, doch mangels wirklicher Stimulierung des Massenkonsums reichten sie für eine Trendwende nicht aus. Im Gegenteil sorgten Einschränkungen bei der Arbeitslosenversicherung, weitere Lohnsenkungen und Kürzungen der Sozialfürsorge für weiter steigende Obdachlosigkeit im ganzen Reich.
Daher gibt es auch bei der konjunkturellen Analyse der damaligen Zeit keinerlei Hinweise darauf, dass zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ die Krise im Grunde schon überwunden gewesen sei. Tatsächlich wird von vielen Historikern die Auffassung vertreten, dass die eigentliche Aufgabe der Krisenüberwindung damals noch ausstand.
Unbestritten ist dagegen heute die Tatsache, dass dieses Ziel von den Nationalsozialisten sehr viel schneller und gründlicher erreicht wurde, als es sich damalige Zeitgenossen im In- und Ausland vorstellen konnten. Bis 1937 wurden sechs Millionen Arbeitslose wieder in die Produktion übernommen, die industrielle Erzeugung übertraf ihren Höchststand aus den 20er Jahren deutlich und auch das reale Sozialprodukt je Einwohner lag sogar über ein Viertel höher als vor der Krise.
Die Auflösung des Wachstumsstaus und die Nutzung der brachliegenden Ressourcen durch eine hoch motivierte Arbeiterschaft schafften in diesen Jahren mit zweistelligen Expansionsraten ein „deutsches Wirtschaftswunder“, hinter dem ausländische Beobachter vor allem auch die konjunkturellen Aspekte der militärischen Aufrüstung vermuteten. Gleichzeitig betrug die Arbeitslosigkeit in den USA trotz Roosevelts New Deal noch fast 20 Prozent, in England auch noch über 10 Prozent.
Heute weiß man allerdings, dass die Reichswehr vor 1935 gar nicht in der Lage war, aufgrund langer Anlaufzeiten in ihrer Rüstungsplanung den Löwenanteil der für die Arbeitsbeschaffung notwendigen Aufträge zu stellen. Stattdessen bediente sich das Deutsche Reich besonders wirkungsvoll des neuen Instrumentariums der Konjunkturpolitik, das vor allem durch den Namen John Maynard Keynes in den dreißiger Jahren weltweite Bekanntheit erlangte.
Nahezu vergessen ist dagegen heute die Tatsache, dass während der unseligen Krisenzeit der Weimarer Republik auch in Deutschland ähnliche Konzepte zur Nachfragesteigerung durch Arbeitsbeschaffung entworfen worden waren, allen voran der Lautenbach-Plan des Ökonomen im Reichswirtschaftsministeriums Wilhelm Lautenbach.
Aus der Geschichte wissen wir aber, dass es vor 1933 keine wirtschaftspolitische Wende gab. Reichsbankpräsident Hans Luther konnte sich nicht dazu durchringen, den Plan in seinen Einzelheiten anzunehmen und zur Ausführung zu bringen. Auch bei den großen Parteien und den wichtigen gesellschaftlichen Gruppen fand die von Lautenbach und anderen Wirtschaftswissenschaftlern vorgeschlagene Politikänderung zu wenig Unterstützung. Nicht einmal die SPD vermochte sich zu einer keynesianischen Wende in der Wirtschaftspolitik durchzuringen. Die Sozialdemokraten zogen es stattdessen vor, sich auf diesem Feld zurückzuhalten und die angeschlagene Regierung Brüning weiter zu stützen.
Die Nationalsozialisten erkannten dagegen die Möglichkeiten einer solchen Politik zur Krisenüberwindung und vermochten diese in eine wirksame Strategie umzusetzen. Sie mussten die bereits vorhandenen Instrumente kreditfinanzierter Arbeitsbeschaffung nur noch effektiv anwenden. Bereits 1932 nahm die NSDAP vor allen anderen Parteien diese Thesen in ihr „Wirtschaftliches Sofortprogramm“ auf, während die Sozialdemokraten einen ähnlichen Plan der Gewerkschaften als „unmarxistisch“ und „inflationär“ ablehnten.
Im Gegensatz zu den etablierten Parteien hatten die Nazis keinerlei Berührungsängste zu den Ideen der „deutschen Keynesianer“ und Begriffe wie produktive Kreditschöpfung und staatliche Arbeitsbeschaffung waren für sie keine Tabuthemen. So mussten sie nach der Machergreifung auch nicht auf Improvisation oder die später so berüchtigten Zwangsmaßnahmen zurückgreifen, sondern konnten die Pläne ausführen, die ihre Vorgänger nicht oder nur unvollständig umgesetzt hatten.
Schon in seiner Regierungserklärung am 01. Februar 1933 hatte Hitler seinen Wählern entschlossene Schritte zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit versprochen. Tatsächlich verringerte sich die Arbeitslosigkeit danach deutlich, und bereits zwei Jahre später kam man nicht mehr umhin, von der Einlösung dieser Zusage zu sprechen. 1936 wurde gar das erste Mal nach der Inflation Anfang der 1920er Jahre in Deutschland die Vollbeschäftigung erreicht.
Grundlage dafür war ein ganzes Bündel von Gesetzen und Maßnahmen zur Arbeitsplatzbeschaffung, das die Nazis schon in den ersten Monaten ihrer Regierungszeit verabschiedeten. Darin regelten sie so unterschiedliche Schritte wie die Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer, Steuervorteile für Ersatzinvestitionen, ja sogar eine Förderung von Eheschließungen, Absenkungen der Umsatzsteuern, steuerliche Besserstellung des Wohnungsbaus und Verbesserungen bei der Abschreibung von Wirtschaftsgütern.
Entgegen der späteren allgemeinen Überzeugung trug dagegen der ebenso forcierte Bau neuer Autobahnen eher weniger zum raschen Abbau der Erwerbslosigkeit bei: es dauerte schlichtweg viel zu lange, die umfangreichen Planungen in tatsächlich sofort spürbare konjunkturelle Ausgaben umzusetzen.
Natürlich gab es aber auch einige äußere Umstände, die der Regierung Hitler die Verwirklichung ihres Programms erleichterten. So löste bereits im März 1933 der den Nationalsozialisten eher zugeneigte Hjalmar Schacht den konservativen und abwartenden Hans Luther als Präsidenten der Reichsbank ab. Mit ihm, der sich durch die Überwindung der Inflation von 1923 den Nimbus eines finanzpolitischen Genies erworben hatte, ließen sich Programme zur Arbeitsbeschaffung (und später zur Aufrüstung) viel leichter durchführen.
Auch war das Problem der durch den Versailler Vertrag dem Reich aufgezwungenen Reparationszahlungen bereits ohne Mitwirkung der Nationalsozialisten gelöst worden. Ebenso stand das Unternehmerlager nun hauptsächlich aufgrund der bevorstehenden Zerschlagung der Gewerkschaften, des Verbots von SPD und KPD sowie der Aussicht auf Gewinne durch die nahende Wiederaufrüstung den geplanten milliardenteuren Konjunkturprogrammen weit weniger skeptisch gegenüber.
Doch wie ich bereits in der Serie über den Lautenbach-Plan in Teil 1, Teil 2 und im letzten Teil dargelegt hatte, wäre eine solche oder ähnliche Politik durchaus auch von den etablierten Parteien durchführbar gewesen, auch eine Zusammenarbeit von Brünings Zentrumspartei mit der SPD (schließlich wurde seine Austeritätspolitik ebenso von den Sozialdemokraten toleriert) hätte damals keinen unüberwindbaren Gegensatz dargestellt. Heute wie in jenen Tagen sind es daher vor allem die ideologischen Barrieren, die pragmatischen Lösungen entgegenstanden und entgegenstehen.
So konnten sich anstelle ihrer politischen Gegner letztlich die Nazis nicht nur in den Augen der Öffentlichkeit -durchaus zu Recht- den Erfolg der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf die Fahnen schreiben. Und das in einem Problemfeld, welches damals nach den desaströsen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise als eines der zentralen Kriterien für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik galt. Wie heute wurde auch in den 1930er Jahren der Schaffung von Arbeitsplätzen eine sehr hohe Bedeutung eingeräumt. Und so vermochte sich Adolf Hitler mit ökonomischer Kompetenz erheblich positiv von seinen Vorgängern abzuheben.
Gerade dieses „Wirtschaftswunder“ aber schuf auch die Grundlage für das gewaltige Maß an Glaubwürdigkeit und Vertrauen, das der Regierung Hitler eine ungeheure Popularität einbrachte und sogar bis zu ihrem Untergang bei einem Großteil der Bevölkerung anhielt. Viele kritische Volksgenossen aus der Arbeiterschaft und dem Bürgertum, die den Nationalsozialisten bis dahin offenbar eher abwartend und auch misstrauisch gegenüberstanden, wechselten nun mit zunehmender Begeisterung die Seiten.
Da der Wirtschaftsaufschwung den Arbeitnehmern fast nur „Wohltaten“ bescherte (wie die Arbeitsbeschaffung nach den Vorschlägen Lautenbachs funktionierte, habe ich hier beschrieben), festigte er in entscheidender Hinsicht das psychologische und ökonomische Fundament der Nazi-Diktatur und machte die weitere Politik Hitlers auch in Sachen Kriegsvorbereitung und der Verfolgung der Juden und Andersdenkenden erst möglich.
Die erfolgreiche Konjunkturpolitik in der Frühzeit ihrer Machtausübung brachte den Nationalsozialisten ein solch positives Renommee, dass außer ihren „natürlichen“ Feinden aus dem linken Spektrum der Parteienlandschaft trotz ersichtlicher Diskriminierungspolitik kaum jemand sich zu ernsthafter Opposition bereit fand.
Das „deutsche Wirtschaftswunder“, die Überwindung der letzten Zwänge des „Schandvertrages“ von Versailles, Hitlers geschicktes und durchaus „erfolgreiches“ Taktieren in der Vorkriegszeit sowie der für die damalige Zeit unerklärliche Siegeszug der Wehrmacht durch Europa: die erfolgreiche Politik bei der Beseitigung der Folgen der Weltwirtschaftskrise muss als erster Baustein einer Reihe von Ereignissen gesehen werden, die einen Großteil der deutschen Bevölkerung in einen solchen Begeisterungstaumel versetzte, dass sie bereit war, ihrem „Führer“ nahezu überall hin zu „folgen“.
Aus heutiger Sicht sollte man daher bei der Betrachtung der besonderen Umstände und Voraussetzungen für die zumeist als unerklärlich angesehene Stabilität des Hitler-Regimes gerade das Versagen von Konservativen und Sozialdemokraten in der Frage der Krisenüberwindung durch staatliche Arbeitsbeschaffung besonders beleuchten.
Um es nochmal mit meinen Worten aus diesem Beitrag zu unterstreichen (und zu ergänzen):
Es ist daher die historische Schuld Brünings und seines Kabinetts (und auch der Sozialdemokraten!), dass man nicht alles ausprobiert hat, um die Krise schneller und mit weniger Opfern zu überwinden. Es ist ihre historische Schuld, nicht auf die Fachleute wie Wilhelm Lautenbach gehört zu haben, die ihnen Möglichkeiten zu einer anderen Politik an die Hand gegeben hatten. Und es ist natürlich auch ihre Schuld, den radikalen Kräften der Weimarer Republik in Sachen Konjunkturprogrammen nichts entgegengesetzt zu haben und so den Wahlerfolg der NSDAP und damit den Aufstieg Hitlers nicht verhindert zu haben. überhaupt erst möglich gemacht zu haben!
Und natürlich sind die Parallelen zur heutigen Situation der EU in der Eurokrise nahezu unübersehbar. Das vom wirtschaftlichen Niedergang gebeutelte deutsche Volk der Weimarer Republik gleicht den von Austeritätspolitik betroffenen Einwohnern der Krisenländer, die von neoklassischem „Spar“-Bestreben dominierten Vertreter der europäischen Institutionen erscheinen wie das damalige Kabinett Brüning, die aufstrebenden Faschisten unter Hitler haben ihr Gegenstück in den in vielen Staaten wieder auflebenden nationalen Parteien.