Mythos New Deal – Teil 3: Erfolg durch mehr soziale Gerechtigkeit

Als im Frühjahr 1934 die amerikanische Wirtschaft erneut einbrach, stellte sich heraus, dass der erste Versuch des New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt zur Bekämpfung der Folgen der Weltwirtschaftskrise vorerst gescheitert war.

Straßenbauprojekt der Works Progress Administration (WPA)
Straßenbauprojekt der Works Progress Administration (WPA)

Ohne eine entscheidende Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage waren alle Maßnahmen, die hauptsächlich den Unternehmen und Konzernen zugutegekommen waren, im Sande verlaufen. Löhne und Gehälter stagnierten oder schrumpften bereits wieder, freie Gewerkschaften wurden in ihrer Arbeit behindert oder in den Betrieben erst gar nicht zugelassen.

Zwar hatte die Regierung insbesondere den Farmern Krediterleichterungen zukommen lassen und in vielen Bereichen Mindestlöhne etablieren können, doch die Möglichkeit, weiterhin Preisabsprachen zwischen den Unternehmen sowie Kartelle und Monopole zuzulassen, ließen die Profite und Preise weit stärker als die Löhne ansteigen.

Das erneut drohende Gespenst einer schweren und länger andauernden wirtschaftlichen Depression brachte große Teile der demokratischen Partei zum Umdenken. Daraus entwickelte sich eine Veränderung der Regierungspolitik, die schließlich zum sogenannten zweiten New Deal führte.

Diesen startete Roosevelt mit seiner Ansprache an den Kongress am 4. Januar 1935. Er kündigte eine klarere Linie seiner Politik hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit an:

We find our Population suffering from old inequalities. Little changed by past sporadic remedies. In spite of our efforts and in spite of our talk, we have not weeded out the overprivileged and we have not effectively lifted up the underprivileged.

(Unsere Bevölkerung leidet unter den alten Ungleichheiten. Sporadische Verbesserungsversuche haben daran nur wenig geändert. Trotz unserer Bemühungen und trotz unserer Gespräche haben wir die Anzahl der Überprivilegierten nicht verringern und die Unterprivilegierten nicht wirklich effektiv besserstellen können.)

Die für die Demokraten so erfolgreichen Kongresswahlen im November 1934 verstärkten den Umschwung der gesellschaftlichen Stimmung in den USA. Eine große Mehrheit der Bevölkerung forderte nun immer lauter ein Ende „reaktionärer“ Politik und eine nachhaltige Umgestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hin zu mehr Sozialstaatlichkeit und stärkeren Rechten für Arbeitnehmer.

Neue Reformen des Second New Deal
Roosevelt trug dieser Veränderung in der Gesellschaft mit dem Erlass des Social Security Acts 1935 Rechnung, mit dem erstmals in den Vereinigten Staaten eine allgemeine Arbeitslosen- und Rentenversicherung eingeführt wurde.

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Public Works Administration (PWA), ab 1935 auch die der Works Progress Administration (WPA) wurden ausgeweitet, die Anhebung ihrer Stundenlöhne und Verkürzung der Arbeitszeiten sorgten für eine weitere Stärkung der Kaufkraft.

Als im Mai 1935 der National Industrial Recovery Act (NIRA) und damit auch die bis dahin gültige Beschränkung freier Gewerkschaften für verfassungswidrig erklärt wurde, war ein neues Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmervertretung notwendig geworden.

Mit dem National Labor Relations Act, nach seinem entschiedensten Befürworter, dem demokratischen Senator Robert F. Wagner auch „Wagner Act“ genannt, konnten erstmals wirklich unabhängige Gewerkschaften auch ohne Zustimmung der Unternehmer gegründet werden, denen zudem auch noch das Recht auf kollektive Lohnverhandlungen zugestanden wurde. Ein allgemeines Streikrecht und Kündigungsschutz für Gewerkschafts-mitglieder gehörten nun ebenfalls zu den Rechten der Arbeitnehmer.

Das mit diesem Gesetz eingeführte National Labor Relations Board sollte als unabhängige staatliche Schlichtungsstelle gegen unfaire Arbeitspraktiken vorgehen, das Anrecht der Arbeitnehmer auf Gewerk-schaftsvertretung schützen und kollektive Tarifverhandlungen fördern. Zusätzlich sollte das Board auch Strafen gegen Unternehmer aussprechen dürfen, die gegen diese Vorgaben verstießen.

Mit der im April 1935 aufgebauten Resettlement Administration half der Staat kleineren Farmerfamilien, indem er abgewirtschaftete Flächen zur Sanierung und Aufforstung aufkaufte, und den Bauern den Rückerwerb ihrer verschuldeten Höfe mit günstigen Darlehen möglich machte.

Im gleichen Jahr wurde der Spitzensteuersatz mit dem Revenue Act, auch bekannt als Wealth Tax Act, auf bis zu 79 % erhöht. Da aber das Einkommensniveau in der obersten Steuerklasse so hoch angesetzt war, dass mit John D. Rockefeller nur eine einzige Person davon betroffen war, erfolgte 1937 eine Nachbesserung, mit der auch Steuerschlupflöcher für andere Wohlhabende größtenteils geschlossen wurden.

Gleichzeitig lehnte Roosevelt eine Erhöhung der Massen- und Konsumsteuern ab, da davon vor allem die Kaufkraft der Mittelklasse und der ärmeren Bevölkerung betroffen wäre. Die Körperschaftssteuer für größere Kapitalgesellschaften dagegen wurde 1936 mit dem Undistributed Profits Tax auf bis zu 27 % gesteigert, um die Staatseinnahmen zu erhöhen.

Nach dem Zusammenbruch der Holding-Gruppe von Samuel Insull 1935 wurde der Public Utility Holding Company Act (PUHCA) erlassen, mit dem alle großen privaten Holding-Gesellschaften, die insbesondere den Energiemarkt und andere öffentliche Geschäftsfelder beherrschten, aufgelöst und zerschlagen wurden. In der Folge ersetzten öffentliche Energieversorger diese marktbeherrschenden Holdings und sorgten mit Hilfe staatlicher Fördergelder für eine flächendeckende Versorgung mit günstigem Strom.

Ab 1937 änderte sich auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in den USA. Bei Roosevelts Amtsübernahme war dieses höchste amerikanische Gericht noch überwiegend mit sehr konservativen Richtern besetzt, die zuvor von den Republikanern nominiert worden waren. 1935 noch lehnte dieses Gericht zahlreiche progressive Gesetzesinitiativen wie den National Industrial Recovery Act und einige Mindestlohngesetze als verfassungswidrig ab.

Nach dem überwältigenden Wahlsieg der Demokraten 1936 und aufgrund immer stärker werdender öffentlicher Kritik an den „alten Männern, die die Wirklichkeit nicht mehr erkennen könnten“ gab es einen entscheidenden Wandel in der Rechtsauslegung des Obersten Gerichtshofes. Der Wagner Act und der Social Security Act wurden nun als verfassungskonform anerkannt, ebenso wie neue Mindestlohninitiativen verschiedener Bundesstaaten.

Ergebnisse des zweiten Versuchs
Als Folge der Reformen des zweiten New Deals erholte sich die Wirtschaft wieder. Die Arbeiterrechte wurden entscheidend gestärkt, Hungerlöhne weitestgehend abgeschafft und Mindestlöhne flächendeckend eingeführt.

Die Begünstigung großer Konzerne wurde beendet, kleine Unternehmen erhielten bessere Bedingungen durch die Garantie fairer Konkurrenz, Vorteile der mächtigen Handelsketten und die starke Marktposition großer Produzenten fielen entsprechenden Anti-Trust-Regelungen zum Opfer.

Bis 1937 stieg das reale BIP der USA um 43 %, die private Investitionsnachfrage expandierte sogar um annähernd 140 %, während die Staatsnachfrage nur moderat zulegte. Die Arbeitslosenquote sank stark, während gleichzeitig die Anzahl der Beschäftigten enorm zunahm.

Dabei blieben die Ausgaben und Einnahmen des Staates ebenso konstant wie das leichte Budgetdefizit. Während der Anteil der indirekten (Konsum-)Steuern sank, stieg der Anteil der Unternehmenssteuern geringfügig. Auf der Ausgabenseite gingen die öffentlichen Transfers aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zurück, während die Investitionen leicht zulegten. Insgesamt aber blieben die Konsumausgaben des Staates größtenteils unverändert.

Erst mit den Maßnahmen des zweiten New Deal konnte Roosevelt neben der Rückkehr des Vertrauens in das Bankensystem sein eigentliches Ziel, die Stärkung der Massenkaufkraft durch das Durchsetzen von Gehaltserhöhungen, Mindestlöhnen und freien Gewerkschaften erreichen.

Dabei spielte die Verschiebung der Einkommen aus dem Bankensektor, in dem sie in der New Era der 1920er Jahre gewaltig angewachsen waren, hin zu den anderen Sektoren der Volkswirtschaft eine bedeutende Rolle. Vor dem Zusammenbruch der Wall Street hatten Banker ein Vielfaches von dem verdient, was in den anderen Bereichen möglich gewesen war. Erst unter der Regierung Roosevelt sanken die Einkommen des Bankensektors wieder auf ein normales Niveau.

Dies war dann auch die wirkliche Bedeutung des New Deal: Niemals in der Geschichte der USA wurde eine größere Gleichheit der Einkommen erreicht, starke Gewerkschaften machten ihre Ansprüche auf einen gerechten Anteil am Volkseinkommen geltend und eine immer zahlungskräftigere Bevölkerung ließ die Geschäfte auch der kleineren Unternehmen gewaltig florieren.

Der sogenannte New-Deal-Konsens, der als Fortführung einer Sozialpolitik im Geiste der Reformen der Regierung Roosevelt galt, blieb nahezu 40 Jahre unverändert bestehen, ehe das neokonservative Kabinett von Ronald Reagan die Finanzbranche wieder deregulierte und mit angebotsseitiger Politik einen Paradigmenwandel herbeiführte.

Wie fragil der Aufschwung aber auch 1937 immer noch war, stellte sich heraus, als Roosevelt es für angebracht hielt, das moderate Budgetdefizit zu eliminieren. Ausgabensenkungen und Einnahmenerhöhungen brachten zwar in der Folge einen Budgetüberschuss, doch ein Rückgang des Konsums der Haushalte und ein massiver Einbruch der Investitionen der Unternehmen führten geradewegs wieder in eine Rezession. Die gesamtwirtschaftlichen Verluste der Sparpolitik ließen die Steuereinnahmen sinken und verstärkten so trotz fiskalischer Erfolge die Krise weiter.

Zwar erkannte Roosevelt seinen Fehler und korrigierte den Sparkurs wieder, doch der erneute Rückschlag durch die Wiederkehr der Depression war so groß, dass die Krise erst mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und der erheblichen Steigerung der Staatsnachfrage durch den Rüstungsboom endgültig besiegt werden konnte.

Im vierten Teil dieser Serie geht es dann um den möglichen Einfluss von John Maynard Keynes, damals schon ein bekannter, aber auch umstrittener Ökonom, auf die Politik und die Maßnahmen des New Deals.