Whataboutism und die Corona-Pandemie

Unter den vielen Folgen der Covid-19-Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Bekämp-fung gab es auch eine Epidemie von Whataboutism.

GT-Verkehrstod-Trauer
Trauerinstallation an einer Kreuzung in Hamburg-Horn (2018).

Ausgangspunkt ist dabei die Behauptung „Wir haben die gesamte Wirtschaft gesperrt um die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 zu verringern, aber wir tolerieren eine vergleichs-weise große Zahl der Todesfälle durch X“.

Beliebte Kandidaten für X sind dann Rauchen, Verkehrsunfälle und Influenza. In den meisten, wenn auch nicht in allen Fällen führt das zu der Schlussfolgerung, dass wir mehr Todesfälle durch die Pandemie akzeptieren sollten. In der Tat will aber die Mehrheit derjenigen, die dieses Argument verwenden auch wenig von den Vorschlägen wissen um die verschiedenen Beispiele von X, die sie zitieren zu verringern.

Man nehme das Kontrapositive daran und kann dann argumentieren, dass die hier aufgezeigte Inkonsistenz durch stärkere Maßnahmen zur Reduzierung vermeidbarer Todesfälle aus einer Vielzahl von Gründen behoben werden sollte, wobei die Hauptbeispiele Verkehrstote und Rauchen sind.

Während die Whataboutism zu diesen Themen in der Regel darauf hindeuten, dass die Gesellschaft beschlossen hat Todesfälle aufgrund dieser Ursachen zu tolerieren, wurden in der Realität über viele Jahre immer strengere Maßnahmen ergriffen um sie zu reduzieren, und in beiden Fällen das letztendliche Ziel (explizit) in einigen Ländern bedeutet, die Todesfälle auf Null zu verringern.

Bei den Verkehrstoten drückt sich dieses Ziel in der Vision Zero aus, welche zunächst in Schweden und anschließend in verschiedenen anderen Staaten verabschiedet wurde. Die britische Regierung beabsichtigt zudem das Rauchen bis 2030 zu beenden, und die meisten Regierungen verfolgen vorläufige Ziele, die eine endgültige Beseitigung des Tabakkonsums implizieren.

Mit oder ohne expliziten Zielen war der politische Ansatz dabei überall sehr ähnlich. Über viele Jahre hinweg wurden schrittweise Beschränkungen eingeführt um das betreffende Risiko zu verringern, wobei jede neue Beschränkung gleichzeitig einen Ausgangspunkt für die nächste darstellte. In Australien beispielsweise wurden Ende der 1980er Jahre teilweise Verbote für Tabakwerbung eingeführt.

Es folgten vollständige Werbeverbote, dann obligatorische Gesundheitswarnungen in Kleinbuchstaben und schließlich die Anforderung, dass Zigarettenschachteln grausame Fotos der Folgen des Rauchens enthalten sollten. Und so wurde das Rauchen aus der anfänglichen Situation, in der es universell erlaubt war in allen öffentlichen Räumen und an allen Orten, an denen Kinder dem Rauch ausgesetzt sein könnten zunehmend eingeschränkt (wie etwa auch in privaten Autos).

Hier besteht tatsächlich eine Inkonsistenz. Wenn die jetzt geltenden Beschränkungen im Hinblick auf ein Gleichgewicht zwischen Gesundheitskosten, Schäden an Nichtrauchern und Einschränkungen der Rechte von Rauchern gerechtfertigt wären, wären sie vor 30 oder 50 Jahren noch mehr gerechtfertigt gewesen, als die durch Rauchen entstandenen Schäden viel größer waren.

Zurück zu den Covid Whataboutism: Die Inkonsistenz besteht nicht darin, Todesfälle aus einer Quelle zu akzeptieren und aus einer anderen nicht, sondern zwischen den dringenden Maßnahmen, die durch die Pandemie erforderlich sind und dem langsamen Tempo, das in anderen Fällen ergriffen wurde.

Die Langsamkeit, mit der Maßnahmen zur Beendigung des Rauchens oder zur Verringerung der Verkehrstoten durchgeführt wurden lässt sich leicht erklären. Die Regierungen hatten sie in einem Tempo eingeführt, welches erhebliche politische Kosten und das Risiko einer anhaltenden Nichteinhaltung vermeiden sollte.

Im Fall des Rauchens ist es beispielsweise notwendig, sowohl mit mächtigen als auch skrupellosen Tabakunternehmen umzugehen, die alle verfügbaren Instrumente einsetzen um sich Kontrollen zu widersetzen, und mit einem großen abhängigen Teil der Bevölkerung, von denen einige (wenn auch nicht alle) keine Wunsch hegen das Rauchen zu beenden.

Der (bisherige) Erfolg von Lockdowns bei der Kontrolle von Covid und deren allgemeiner Akzeptanz außerhalb der USA legen nahe, dass wir schneller vorgehen sollten um Risiken für die öffentliche Gesundheit zu beseitigen, selbst wenn dies Zwangsmaßnahmen beinhalteten würde, um zu verhindern dass Menschen andere gefährden, und um junge Menschen daran zu hindern sich selbst zu gefährden.

Zum Beispiel sollten teilweise Rauchverbote an öffentlichen Orten oder in Gegenwart von Kindern vollständig erlassen werden. Ein ehrgeizigerer Vorschlag dieser Art wäre, das Rauchalter um jeweils ein Jahr anzuheben, damit junge Menschen, die derzeit noch nicht volljährig sind, erst mit 25 Jahren rauchen dürfen (kaum jemand beginnt mit dem Rauchen als Erwachsener im reifen Alter, was an sich ein Hinweis darauf ist, dass es sich nicht um eine rationale Verteidigung handelt).

Im Falle der Verkehrstoten sind die offensichtlichsten Maßnahmen niedrigere Geschwin-digkeitsbegrenzungen in städtischen Gebieten und eine größere Bereitschaft gefährliche Fahrer dauerhaft von der Straße zu nehmen. Diese Maßnahmen werden irgendwann verabschiedet – die einzige Frage ist, wie viele unschuldige Menschenleben verloren gehen werden bevor es soweit sein wird.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen John Quiggin)