Der Lautenbach-Plan 1931 – Teil 1: Geld- und Kreditpolitik der Weimarer Republik in der Weltwirtschaftskrise

Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs sowie die Erfahrungen mit der Einführung der Rentenmark nach dem Desaster der Hyperinflation des Jahres 1923 hatten eigentlich bewiesen, dass Gold als bevorzugtes Mittel zur Stabilisierung einer Währung schlicht überflüssig bzw. durchaus schädlich sein könne.

Bundesarchiv Bild 102-12023, Berlin 1931, Bankenkrach, Andrang bei einer Sparkasse

Die Ankopplung der eigenen Währung an ein von der wirtschaftlichen Entwicklung völlig unbeeinflußbares Medium hatte sich in Zeiten moderner Ökonomie schlicht als zu unflexibel erwiesen. Veränderungen in den Handels- und Leistungsbilanzen, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg durch den wachsenden internationalen Warenverkehr immer häufiger entstanden, sorgten in vielen Ländern unter dem Goldstandard für erhebliche Schwankungen in den Devisenbilanzen, durch die geldmarktpolitische Eingriffe zur Stabilisierung der Wirtschaft erschwert oder nahezu unmöglich gemacht wurden.

Damit erwies sich der Goldstandard als eine Art geldpolitische Zwangsjacke. Um z. B. Goldabflüsse zu verhindern, war es notwendig, die Zinsen zu erhöhen, unabhängig davon, ob die wirtschaftliche Situation eine solche Maßnahme überhaupt nötig machte. Nicht umsonst bezeichnete John Maynard Keynes schon 1923 das Gold als ein „barbarisches Relikt“ eines vergangenen Weltwährungssystems.

Trotzdem führte u. a. das Deutsche Reich, beeinflußt durch führende Ökonomen und Banker, 1924 wieder eine Deckungsverpflichtung von mindestens 30 % in Gold für die von der Reichsbank in Umlauf gegebene Geldmenge ein.

Doch da die USA während des Ersten Weltkriegs und in den Goldenen 1920er Jahren im Welthandel als prosperierende neue Großmacht erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse erzielten, mussten unter den Bedingungen des Goldstandards die spiegelbildlich entstandenen Leistungsbilanzdefizite bei vielen Ländern, vor allem und am wirkungsvollsten beim Deutschen Reich, zu einem beständigen Abfluss an Gold führen.

Durch die Young-Plan-Verhandlungen, bei denen es um die letzte große Feststellung der deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg ging, wurde das Deutsche Reich 1929 zudem dazu verpflichtet, Kredite aus dem Ausland in Gold zurückzuzahlen.

So begann kurz nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise in den USA im Oktober 1929 der verstärkte Abruf ausländischer Kredite aus Deutschland, der aufgrund der Verpflichtungen des Young-Plans dazu führte, dass die Reichsbank zwischen 1930 und 1931 mehr als die Hälfte ihres Gold- und Devisenbestandes verlor.

Dadurch musste die Reichsbank die Refinanzierungskredite an die nationalen Banken reduzieren, deren damit sinkende Liquidität löste wiederum die Deutsche Bankenkrise von 1931 aus.

Gefesselt durch die alliierten Vorgaben der Golddeckung sah sich der Reichsbankpräsident Hans Luther gezwungen, eine restriktive Geldpolitik durchzusetzen. Mit einer Kreditverteuerung und der Erhöhung des Diskontsatzes bis auf 20 Prozent sorgte er für eine erhebliche Kreditverknappung, mit der ua. auch der Umlauf von Banknoten bis Ende 1932 um 30 Prozent verringert wurde.

Als Folge sank das allgemeine Preisniveau, Absatzstockungen traten auf, dadurch kam es zu einem Rückgang der Produktion und zum Anstieg der Erwerbslosigkeit. Die durch die Folgen des Weltkrieges noch immer geschwächte Wirtschaft darbte noch mehr. So verursachte das durch die Geldverknappung ausgelöste Sinken der Preise eine sich selbst verstärkende Deflationsspirale.

Die Konsumenten schoben in der Erwartung weiter fallender Preise viele Kaufentscheidungen weit in die Zukunft, ebenso verhielten sich etliche Unternehmen, die ihre Investitionen aussetzten. Deren Gewinne brachen ein, sie mussten Entlassungen vornehmen, die zu weiterer Konsumeinschränkung führten.

Fatalerweise sorgten einige Notverordnungen von Reichskanzler Heinrich Brüning noch für eine Verstärkung des deflationären Preisverfalls. Besonders die Sparverordnung vom 8.12.1931, mit der die öffentlichen Ausgaben den sinkenden Steuereinnahmen und nachlassenden Preisen angepasst werden sollten, trug dazu bei, die Geld- und Kreditversorgung der Wirtschaft und damit auch die Produktion und den Konsum zusammenbrechen zu lassen und die Anzahl der Arbeitslosen 1932 auf über 6 Millionen zu steigern.

Arbeitslosenquote im Deutschen Reich 1928 bis 1935

Diese Variante einer Austeritätspolitik blieb also erfolglos, im Gegenteil wurde die Deflation weiter verstärkt und das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht erreicht. Zudem blieben die Leitzinsen aufgrund der desolaten Devisenlage nach der Bankenkrise weiterhin hoch und verhinderten mit der steigenden Steuerbelastung jegliche wirtschaftliche Erholung.

Was aber wären die Alternativen zu einer solchen absurden Restriktionspolitik gewesen?

Da auch England im September 1931 sich aus dem Goldstandard gelöst hatte, wäre dieser Schritt auch für das Deutsche Reich eine notwendige Maßnahme gewesen. Ohne die weitere Beachtung der Deckungsvorschriften hätte man für die Geldversorgung damit auf die unnötige Golddeckung verzichten können.

Da auch das Ausland eigentlich nicht an einem Niedergang der deutschen Wirtschaft und damit auch einem Ausbleiben der Reparationszahlungen gelegen sein konnte, hätten solche Maßnahmen zur Deflationsbekämpfung sicherlich auch dort Zustimmung gefunden.

Weiterhin wären Zinssenkungen, billige Kredite und die Ausweitung der Geldmenge Maßnahmen gewesen, die man zur Überwindung der Krise hätte ergreifen müssen. Dies hätte die Voraussetzungen geschaffen, um die Konjunktur anzuschieben und die Massenarbeitslosigkeit abzubauen, ohne dabei die so gefürchtete Inflation auszulösen.

Es gab damals zahlreiche Vorschläge für die Expansion der inländischen Bankenkredite, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf Kredit, für eine staatliche Initalzündung zum kraftvollen Konjunkturanschub. Neben Oberregierungsrat Wilhelm Lautenbach, auf dessen Plan wir in dieser Serie näher eingehen wollen, schlugen auch der damalige Staatssekretär im Finanzministerium, Hans Schäffer, und der Präsident des Statistischen Reichsamtes, Prof. Ernst Wagemann, Möglichkeiten zur Kriseneindämmung vor.

Doch keiner dieser Pläne fand bei der Regierung Zustimmung.

Stattdessen bekämpfte Brüning die Krise weiter nach den Grundsätzen der klassischen Nationalökonomie. Durch die weitere radikale Senkung aller die Wirtschaft belastenden Kosten sollten die Selbstheilungskräfte der privaten Wirtschaft geweckt und so ein neuer Aufschwung eingeleitet werden.

Ebenso wollte der Reichskanzler dem Ausland mit seiner Deflationspolitik beweisen, dass Deutschland zahlungsunfähig und wirtschaftlich gar nicht in der Lage war, die Reparationen zu leisten. Erst nach der dann erfolgten Streichung der Wiedergutmachungsforderungen sollte eine Gesundung der Wirtschaft angestrebt werden.

Zudem hielt der Glaube an eine seit 1923 tief im Volk verwurzelte Inflationsangst ihn davon ab, eine Politik der staatlichen Wirtschaftsankurbelung mittels kreditfinanzierter Maßnahme in Erwägung zu ziehen.

Eine fatale politische Fehlkonzeption.

So dürfte aus heutiger Sicht klar sein, dass mit einer anderen Geld- und Kreditpolitik die Massenarbeitslosigkeit hätte vermieden werden können und die Menschen der noch jungen Weimarer Demokratie wohl mehr Vertrauen entgegengebracht hätten.

Die massenhafte Erwerbslosigkeit aber wurde ein bedeutendes Hilfsmittel der radikalen Kräfte in ihrem Versuch, eben gerade diese Demokratie zu untergraben. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Ende Januar 1933 gingen die Nationalsozialisten endgültig als die „Gewinner“ aus diesem Kampf hervor.

Zudem hat es etwas Tragisches, dass schon Brünings erzkonservativer Nachfolger Franz von Papen erstmals mit nennenswerten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen agierte und eine dem Lautenbach-Plan ähnelnde Kreditpolitik einführte. Dabei waren diese Handlungen allerdings mit einem erheblichen Sozialabbau verbunden und auf die Bedürfnisse der Unternehmer abgestimmt. Es war auch von Papen, der in der Weimarer Republik die endgültige Abkehr vom Parlamentarismus vollzog.

Die Nazis dagegen nutzten dann die Vorarbeiten Brünings und von Papens ihrerseits, um mit der Entmachtung des Parlaments, der Zerschlagung der Gewerkschaften und dem Verbot (bzw. der Selbstauflösung) der Parteien ihre absolute Macht zu festigen.
Mittels Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die Aufrüstung (auch hierbei wurden Teile des Lautenbach-Plans berücksichtigt) beseitigten sie die Massenarbeitslosigkeit und bereiteten gleichzeitig den Krieg vor.

Auch wenn man den Zusammenbruch der Weimarer Republik in einem größeren geschichtlichen Zusammenhang sieht, so läßt sich doch nicht bestreiten, dass die Wirtschaftskrise und ihre falsche Bekämpfung durch Brünings Deflationspolitik zur entscheidenden Polarisierung führten, die der Demokratie den Todesstoß versetzte.

Ich halte es daher für eminent wichtig, sich mit den Möglichkeiten zu beschäftigen, die es damals gab bzw. die vorgeschlagen wurden, um die Krise abzuwenden. Und dazu gehört in erster Linie der Lautenbach-Plan zur produktiven Kreditschöpfung als eine Notmaßnahme gegen die Depression.

Im zweiten Teil dieser Serie werde ich mich deshalb mit der Geheimkonferenz der Friedrich-List-Gesellschaft im September 1931 beschäftigen, auf der dieser Plan erstmals von Wilhelm Lautenbach vorgestellt wurde.

Im dritten und vierten Teil schließlich sollen dann die relevanten Aspekte des Plans etwas genauer dargestellt und beurteilt werden.

Ein von Lautenbach selbst entworfenes Beispiel eines Bau- und Beschaffungsprogramms für die damalige Reichsbahn wird in Teil 5 zudem die Wirkungsweise solcher Maßnahmen näher erläutern.

Der letzte Teil beschäftigt sich dann abschließend mit der sogenannten „Borchardt-Hypothese“, nach der Brünings Politik alternativlos gewesen sei angesichts der Überschuldung der öffentlichen Haushalte, welche in der Weltwirtschaftskrise vom Kredit abgeschnitten gewesen seien. Insbesondere geht es dabei um Borchardts These, die Löhne und Gehälter in der Weimarer Republik wären zu hoch gewesen.