Der französische Anlageberater und Finanzmakler Erwan Mahe kritisierte schon seit einigen Jahren wiederholt die Politik der EZB sowie der deutschen Regierung in der Eurokrise.
Wachstum des Bruttosozialproduktes (GDP) und Inflationsraten
in Deutschland und den Niederlanden, 1922-1939
Er verglich diese Situation mit der Endphase der Entwicklung in der Weimarer Republik und veranschaulichte mit obiger Grafik, dass es nicht die Hyperinflation von 1923 war, die die Deutschen damals dazu brachte, die Nationalsozialisten zu wählen, sondern die wirtschaftliche Depression Anfang der 1930er Jahre.
Ergänzt um Daten aus den Niederlanden macht dieses Diagramm auch sichtbar, dass es den Holländern, die im Gegensatz zum Deutschen Reich im „Gold-Block“ verblieben, nach 1933 sehr viel schlechter erging als Deutschland.
Diese Ansicht soll keineswegs Sympathie für die NSDAP oder die deutschen Wieder-aufrüstungsprogramme ausdrücken, trotzdem zeigt auch die Nachkriegsgeschichte eindeutig, dass die Gesamtausgaben einer Volkswirtschaft auch durch die steigende Kaufkraft der privaten Haushalte erhöht werden kann. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht (Beschäftigung, Produktion) hat daher die Ankurbelung der deutschen Wirtschaft durchaus funktioniert.
Der derzeitige deutsche währungspolitische Standpunkt basiert daher auf einem völlig verzerrten Blick auf die eigene Geschichte. Es wird heute immer wieder behauptet, dass die Unnachgiebigkeit Deutschlands von der Angst vor einer Rückkehr der Hyperinflation der Weimarer Republik und des damit verbundenen Aufstiegs der NSDAP getrieben wird.
Entgegen der vorherrschenden Ansicht wurden die Nazis nicht im Jahr 1933 durch die Angst vor einer Hyperinflation an die Macht getragen, die von 1921 bis 1924 datierte, sondern durch die völlige Frustration der Bevölkerung über die extrem schmerzhafte von Heinrich Aloysius Maria Elisabeth Brüning verhängte Deflationspolitik aus dem Jahre 1930!
Man denke nur an die Abfolge der Ereignisse: Die Nazis erreichten bei den Wahlen zwischen 1924 und 1928 nur 2% und 3% der abgegebenen Stimmen. Dann schickte die Regierung die Wirtschaft 1930-33 in eine gewaltige deflationäre Depression, mit einer Arbeitslosigkeit von über 30% im Jahre 1932 als Höhepunkt. Die Zustimmung für die Nazis schnellte daraufhin auf 37,3% der Stimmen bei den Wahlen im Juli 1932, immerhin noch 33,1% im November des gleichen Jahres und schließlich 43,9% im März 1933.
Angesichts des parallelen Aufstiegs der deutschen Kommunistischen Partei (entstanden aus dem Spartakusbund), die damals weit revolutionärer war als heute, entschied sich Präsident Hindenburg dazu, Hitler am 30. Januar 1933 zum Kanzler der Republik zu ernennen. Dieser Aufschwung der extremistischen Formationen kann durchaus in einigen Ereignissen von heute wieder beobachtet werden.
Aufgrund dieser wirtschaftshistorischen Entwicklung ist die deutsche Obsession um die Preisstabilität auf Kosten der anderen makroökonomischen Indikatoren nur schwer verständlich. Die Arbeitslosenquote in der Eurozone spiegelt dagegen die eher katastrophale Art und Weise wieder, mit der die EZB bisher ihr Mandat interpretiert hat. Und das trotz vorliegender eigener Expertisen, die ihr eindeutig großen Spielraum für Interventionen bescheinigen , wie es in dem folgenden Auszug zu lesen ist:
„ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität sollte die ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft im Hinblick auf einen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Gemeinschaft unterstützen, wie sie in Artikel 2 angeführt sind“. (Artikel 105.1)
„Die Ziele der Union (Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union) sind ein hohes Beschäftigungsniveau und ein beständiges, nicht-inflationäres Wachstum“.
Um Deutschland die Dramatik des falschen Weges zu verdeutlichen, den seine Regierung eingeschlagen hat, sollte die obige Grafik im ganzen Land in allen Zeitungen veröffentlicht und in allen Schulräumen ausgehängt werden.
Es sollte eigentlich genügen, die Bewegungen dieser Kurven mit den Stimmenanteilen der NSDAP zu vergleichen, um verstehen zu können, dass die moralistischen Einstellungen der Brünings-Lavals–Mellons-Schäubles nur zur Katastrophe führen können.
Die modernen Enthusiasten einer restriktiven Fiskalpolitik, die von einer Rückkehr zum Goldstandard mit einem Euro unter völliger Kontrolle einer von Deutschland dominierten Zentralbank träumen, sollten durch die Ereignisse in den letzten Jahren eigentlich eines besseren belehrt sein, wenn sie denn mit sich selbst wirklich ehrlich sein würden.
(Grundlage dieses Beitrages ist ein von mir übersetzter Artikel des niederländischen Ökonomen Merijn Knibbe)
PS: In wirtschaftshistorischer Hinsicht stimmt dieser Artikel von Knibbe übrigens weitestgehend mit meinen Analysen der Geld- und Kreditpolitik in der Weimarer Republik sowie des Versagens der etablierten Parteien jener Zeit überein.