Krisenlösung Marke Europa: Massenexodus junger Menschen aus Griechenland, Spanien, Portugal und Irland

Fast eine halbe Million junger Griechen seit 2008, nahezu die gleiche Anzahl Spanier zwischen 2011 und 2014, 200.000 Portugiesen in den letzten vier Jahren, mehr als 120.000 Iren seit 2010, so sieht die neue „Völkerwanderung“ in Europa aus.


Straßenszene in dem kleinen Dorf Metamorfosi auf der Halbinsel Chalkidiki/Griechenland

Rückblende, Oktober 2015 auf der „Autobahn“ A67 von Thessaloniki Richtung Halbinsel Kassandra: rund um den Flughafen der zweitgrößten Stadt Griechenlands erscheint die Infrastruktur noch in Ordnung, Mietwagenfirmen, Airline-Catering, Hotels und Schnellrestaurants erwecken den Eindruck einer ganz normalen Tourismus-Region.

Doch wenn man genauer hinsieht, sind die Spuren der Krise schon hier nicht mehr zu übersehen. Dort ein leeres Ladenlokal oder hier ein brach liegendes Firmengelände. Je weiter man sich vom Flughafen Richtung Süden entfernt, desto bedrückender wird die Szenerie. Es dauert nicht lange, bis leerstehende und verlassene Betriebe links und rechts der Schnellstraße das Bild bestimmen.

Baumärkte, Restaurants, Autohändler und Klempner – alles verfallen oder vernagelt, selbst die meisten Tankstellen erzielen offenbar nicht mehr genügend Umsatz und sind geschlossen. Die traurige Bühne für das depressive Schauspiel einer akuten Wirtschafts-krise.

Schon hier wird klar, dass Griechenland leidet, fiebrig und entkräftet vom Verlust an Kaufkraft und Nachfrage, erdrückt von der Bürde gewaltiger Schulden, hoffnungslos überlastet durch die hohe Arbeitslosigkeit und im Schraubstock der Spar- und Austeritätspolitik der europäischen Gläubiger.

Der noch mitfühlende Tourist wird immer schweigsamer ob der Bilder dieser Katastrophe, ein solcher Verfall von Industrie, Handel und Infrastruktur inmitten eines Stammlandes westlicher Demokratie und „freier“ Marktwirtschaft erscheint ungeheuerlich und deprimierend.

Doch es wird noch schlimmer: inmitten der Urlaubsregionen der Halbinseln Kassandra und Sithonia, auf denen zumindest die touristischen Zentren noch halbwegs funktionieren, liegen kleine Dörfer, die eher an die Dritte Welt denn an Orte in Griechenland erinnern.

Die Gemeinde Metamorfosi, ein kleiner Weiher mit rund 500 Einwohnern an der Straße zur Halbinsel Sithonia, ist ein solch winziger Ort. Auch wenn es bereits Herbst wird und die Hauptreisezeit längst hinter uns liegt, kann man sich kaum vorstellen, dass das Szenario im Sommer sehr viel besser aussehen kann.

Geschlossene Restaurants und Läden verstärken allerdings jetzt noch die trostlose Kulisse. Die Straßen erscheinen fast ausgestorben, auch gegen Abend bevölkern sie sich kaum spürbar mehr. Die einzigen jungen Leute, die ich arbeiten sehe, beschäftigen sich vor einem heruntergekommenen Geschäft mit einer Olivenpresse, ein Bild mit fast schmerzhaftem Symbolgehalt, gelten doch Oliven als eines der wenigen griechischen Exportprodukte.

Ansonsten bestimmen schwarz gekleidete, oft offenbar eher mißmutig gestimmte ältere Personen das Straßenbild. Sie sitzen mit Stühlen auf den Bürgersteigen oder vor dem einzigen weit und breit geöffneten Kafenio, wartend, die wenigen Touristen beobachtend, die sich im Oktober noch hierhin verlaufen haben.

Besonders auffallend ist aber vor allem der absolute Mangel an jüngeren Menschen. Außer den an der Olivenpresse Beschäftigten erscheint das ganze Dorf wie leer gefegt. Selbst in den wenigen noch geöffneten Touristenläden sind es vornehmlich schon gesetztere Herren, die hinter den Kassen sitzen. Ansonsten lässt sich selbst nach Einbruch der Dämmerung kaum noch jemand sehen, unheimlicherweise streunen zeitweilig mehr herrenlose Straßenhunde herum als Menschen erkennbar sind. Das ganze Szenario hatte etwas von Dritter Welt, und das mitten in Europa.

Vor dem Antritt der Reise hatte ich ja noch geglaubt, durch Medienberichte auf die Verhältnisse in Griechenland vorbereitet zu sein. Doch die Wirklichkeit übertraf noch meine schlimmsten Befürchtungen. Auch andere Orte wie die Bezirkshauptstadt Polygyros sind ähnlich von der Wirtschaftskrise betroffen. Selbst der Großraum Thessaloniki wurde davon vor allem in den Außenbezirken nicht verschont.

Warum ich das alles gerade jetzt hier noch einmal aus dem Gedächtnis hervorkrame und niederschreibe? Nun, es war vor allem der Blogbeitrag von Tobias Straumann zum Jahrestag des griechischen Oxi-Referendums über die Folgen und Fehler der wirtschaftlichen Entwicklung in der hellenischen Republik, insbesondere dem nicht enden wollenden Exodus der jungen Generation.

Ja, das war es, was ich auch persönlich vor Ort wahrgenommen hatte. So muss ein Land mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von weiterhin über 25 Prozent, einer Jugenderwerblosigkeit von 50 Prozent und einer Kontraktion der Wirtschaftskraft um ein Viertel wohl aussehen. Und offensichtlich hat sich seitdem nicht wirklich viel zum Besseren gewandelt.

Wie aber soll es dann weitergehen mit Griechenland und den anderen Krisenländern? Lösungsvorschläge aus diesem Blog:
Die Eurokrise – vorläufiger Höhepunkt des Transferproblems – Teil 3
Deutschland 1999 bis 2004: Die wahre Geschichte vom „kranken Mann“ Europas
Mythos New Deal – Teil 7: Lehren für den Kampf gegen Europas Krise
Leistungsbilanzsalden: von der „Schuld“ der Kreditgeber
Strukturreformen in Griechenland – ohne Vollbeschäftigung das falsche Mittel
Griechenland – Reformieren oder untergehen?