Griechenland – Reformieren oder untergehen?

Vor einigen Tagen schrieb Francesco Saraceno einen interessanten Blog-Beitrag über seine Schwierigkeiten, das lästige tägliche Auf und Ab der Verhandlungen zwischen Griechenland und der Troika (aka den Institutionen) zu verfolgen.

Athens Streit-Street

Dabei fiel ihm vor allem auf, wie nahe sich die beiden Seiten in Bezug auf die umstrittenste Frage, nämlich die nach dem Primärüberschuss, eigentlich sind. Griechenland gab schon dem Verlangen der Gläubiger nach einem 1% igen Überschuss im Jahr 2015 weitestgehend nach, und beim Ziel für 2016 existiert noch ein Unterschied von etwa 0,5% (rund 900 Millionen Euro).

Zieht man aber nun in Betracht, wie oft die meisten Länder, nicht nur Griechenland, ihre Ziele in der Vergangenheit nicht vollkommen präzise erreicht haben, so sollte diese geringe Differenz eigentlich kein unüberbrückbares Hindernis darstellen.

Die verbleibende Frage dreht sich demnach vor allem um die Reformen. Die Gläubiger argumentieren, dass sie Griechenlands Engagement für die Reformen nicht vertrauen können. Nach allem, was passiert ist, hätten sie zu oft in der Vergangenheit getrickst und betrogen…

Insbesondere verweisen die Gläubiger dabei auf eine der roten Linien der Syriza, nämlich deren Weigerung, Rentenreformen anzugehen als Beweis dafür, dass das Land strukturell reformunfähig sei. Und hier wäre dann der Beweis dafür, in der Form der Darstellung des Anteils am BIP, den die Krisenländer für die Wohlfahrt ausgeben:

Öffentliche Sozialausgaben der Krisen-Staaten in % des BIPs

Saraceno nahm dafür die Gesamtsozialausgaben, in denen die Renten sowie die Ausgaben für die Unterstützung von Familien, Arbeitsmarktpolitik, und so weiter und so fort gebündelt sind. Alle diese Ausgaben, die nach Ansicht der Berliner Politik die Lebensgeister der Wirtschaft ersticken und die Produktivität vermindern.

Nun, Griechenland schneidet dabei nicht viel schlimmer ab als die anderen Krisenländer, und ein echter Abwärtstrend ist nur schwer zu entdecken. Die Reformbemühungen waren nicht sehr stark, und passten wohl auch nicht zu einer Wirtschaft, die durch eine solch schreckliche Krise gehen musste. Die Tatsache, dass nach vier Jahren Anpassungsprogramm dieses Landes immer noch etwa 24% des BIP für den sozialen Schutz ausgibt, wäre ein Beweis dafür, dass ihm nicht zu trauen sei. Dies sei demnach nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Griechen einmal mehr ihre europäischen Mitbürger nicht ernst nähmen, und dass sie wollen, dass diese für ihre Renten zu zahlen haben.

Doch halt. Haben wir nicht gerade von einer „schrecklichen Krise“ gesprochen? Was war das hinter der ganzen Geschichte von Kennzahlen, Nennern und Zählern? Das Verhältnis ist heute auf dem gleichen Niveau wie 2009. Aber was ist mit den tatsächlichen Ausgaben? Es gibt einen einfachen Weg, dies zu überprüfen. Multipliziert man jede der Linien oben mit dem Wert des BIP, so ergibt sich folgendes Ergebnis (normalisiert auf 2009 = 100, da die Ländergrößen zu unterschiedlich sind):

Öffentliche Sozialausgaben der Krisen-Staaten in % des BIPs - Basis 2009=100

Das Bild sieht nun ganz anders aus, oder? Griechenland, dessen Krise wesentlich tiefer war als die in den anderen Ländern, hat die Sozialausgaben in 5 Jahren um 25 % gekürzt (Saraceno rechnete mit den laufenden Ausgaben, ohne einen Deflator zu verwenden. Trotzdem war er überzeugt davon, dass damit auch kein wesentlich anderes Ergebnis herausgekommen wäre).

Nun, falls Sie es noch nicht bemerkt haben, haben die Sozialausgaben auch eine wichtige Rolle als automatischer Stabilisator in einer Volkswirtschaft: Sie unterstützen die Einkommen, wodurch Härten erträglicher werden, und legen damit die Grundlage für eine wirtschaftliche Erholung. In einer Krise sollte diese Linie daher nach oben und nicht nach unten weisen. Dieses Bild ist damit ein weiteres Beispiel für die griechische Tragödie und die Dummheit der Politik, an der die Troika weiterhin festhält.

Nebenbei fällt auf, wie die Ausgaben von 2005 bis 2009 als Reaktion auf die globale Finanzkrise gestiegen sind. Ein weiterer Beweis dafür, dass sinnvolle Maßnahmen in der Frühphase der Krise umgesetzt wurden, und dass wir nur in der zweiten Phase verrückt spielen.

Ah, und natürlich das tugendhafte Deutschland, das Modell, dem letztlich alle folgen sollen, wird mit der schwarzen Linie dargestellt. Eigentlich selbsterklärend…

Man mag einwenden, dass die Fokussierung auf die Sozialausgaben vielleicht etwas irreführend sein kann. Es gibt mehr zu beachten bei der Beurteilung der Belastung des Sozialstaats für die Wirtschaft als nur die Konzentration auf die Ausgaben. Während Griechenland seine Aufwendungen immer mehr gekürzt hat, ist der Sozialstaat dabei allerdings nicht besser geworden; die Fähigkeit des Staates, Steuern zu erheben konnte nicht gesteigert werden, die ineffiziente öffentliche Verwaltung und die Vetternwirtschaft sind stärker als je zuvor.

Ja, jemand sollte sich um all das kümmern. Doch genau das tut Yanis Varoufakis, indem er fordert: aufhören danach zu fragen, wie Griechenland seine Ausgaben weiter zusammenstreichen kann, und stattdessen die finanziellen Einschränkungen aufzuheben, die sinnvolle mittelfristige Reformanstrengungen verhindern. Reform bedeutet nicht nur Ausgabenkürzungen. Reform ist auch die Reorganisation der Verwaltungsmaschine, die Beseitigung von Verschwendungs-Programmen, die Neugestaltung von Anreizen. All das ist eine Milliarde Mal schwieriger für eine Regierung, die sämtliche Energien darauf verwenden muss, Geld zu finden, um seine Schulden zu bezahlen.

Wirkliche Reform ist ein mittelfristiges Ziel, welches Zeit braucht, und manchmal Ressourcen. In einem Satz, Reformen sollten nicht weiter nur mit Sparen und Austerität verbunden werden.