Wilhelm Lautenbach: Kapitalbildung und Sparen – Teil 1

Kaum eine andere Frage der Nationalökonomie ist so verwickelt und zugleich so um- stritten wie das Problem der Kapitalbildung und des Sparens.

Bundesarchiv Bild 183-1982-0114-501, Berlin, Jägerstraße, Reichsbank
Die Reichsbank in der Werderstraße, Berlin 1933

Eine richtige und plastische Anschauung von dem Sachverhalt gewinnt man nur, wenn man sich den ganzen Wirtschaftskreislauf vorstellt, und so würde eine erschöpfende Behandlung des Problems eine Darlegung der gesamten ökonomischen Theorie, besonders der Geld- und Kredittheorie, erfordern.

Ich will mich auf einen bestimmten Aspekt des Problems beschränken, und zwar auf die Frage, welchen Einfluss Kapitalbildung und Sparen auf das Volumen von Produktion und Beschäftigung haben.

Diese Frage ist von der neueren Theorie in den Vordergrund gestellt worden, und sie hat sich als besonders fruchtbar erwiesen, weil sie auf das Verhältnis von Kapitalbildung im volkswirtschaftlichen Sinne zum individuellen Sparen ein ganz neues Licht warf. Den Unterschied zwischen der Anschauung der traditionellen und der neueren Theorie will ich in wenigen Strichen skizzieren.

Wir müssen uns dabei zunächst einmal über die Begriffe verständigen. Das Wort Kapital ist doppelsinnig. Diese Doppelsinnigkeit ist die Hauptquelle unendlicher Verwirrungen und Missverständnisse, und sie ist schuld daran, dass das Kapital zu einer der beliebtesten politischen Streitfragen geworden ist.

Kapital ist einmal eine Kategorie der Produktion und bedeutet dann dasselbe wie Investition. Unter Investition verstehen wir alles, was zur technischen Ausstattung der Volkswirtschaft gehört, den gesamten von Menschenhand geschaffenen Produktionsapparat: Fabriken, Maschinen, Kraftanlagen, aber darüber hinaus Verkehrsmittel wie Wege, Eisenbahnen, Kanäle, Schiffe und langdauernde Nutzungsgüter wie Wohnhäuser, und endlich auch die Vorräte in der Hand von Unternehmungen.

Wenn volkswirtschaftlich von Kapitalbildung gesprochen wird, so hat man Kapital in diesem Sinne, also als Produktionsbegriff zu verstehen. Gegenüber dem Produktionsbegriff des Kapitals, der an das Objekt, die Substanz, anknüpft und deswegen auch als „reales Kapital“ qualifiziert wird, gibt es noch den Verteilungsbegriff, das „nominelle Kapital“. Das sind alle Vermögenstitel oder Ansprüche, die letztlich eine Beteiligungsquote am volkswirtschaftlichen realen Kapital darstellen.

Man kann sich den Sachverhalt am besten am Bilde einer volkswirtschaftlichen Kapitalbilanz klarmachen. In dieser Bilanz würden auf der linken Seite unter den Aktiven die realen Vermögenswerte in Gestalt von Produktionsanlagen, Warenvorräten oder dauernden Nutzungsgütern verzeichnet sein.

Die andere Seite, die Passivseite, gäbe Aufschluss darüber, wem eigentlich, wirtschaftlich gesehen, die realen Vermögenswerte gehören. Wir erfahren, wieweit die Aktiven Eigenkapital des Besitzers der realen Vermögenswerte und wieweit sie Fremdkapital sind.

Mit anderen Worten: Die linke Seite einer volkswirtschaftlichen Kapitalbilanz gäbe Aufschluss darüber, was an realem Kapital da ist, die rechte darüber, wie sich das so geschaffene Vermögen auf die verschiedenen Wirtschaftssubjekte verteilt. Gewöhnlich pflegt man den Zusammenhang auch noch in einer anderen Form auszudrücken, indem man sagt: Die rechte Seite der Kapitalbilanz, die Passivseite, zeigt, wie die realen Vermögenswerte, welche die linke Seite ausweist, finanziert worden sind, aus wessen Mittel die Investitionskosten bestritten worden sind.

Diese Erklärung ist zwar richtig, aber nicht ohne Tücke. Sie leistet einem weitverbreiteten Irrtum Vorschub, nämlich der – fehlerhaften – Annahme, dass die Investitionen aus vorher ersparten Mitteln finanziert werden, oder, anders ausgedrückt, dass erst gespart und dann investiert werde.

Auszug aus einem Vortrag von Wilhelm Lautenbach vom 28. Oktober 1937, gehalten im „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes von 1821“ – aus altdeutscher Schrift übertragen durch C.G.BRANDSTETTER.

Weiter geht es hier demnächst mit Teil 2 dieser kleinen Reihe.

Zu dieser Thematik siehe auch den Beitrag Alternative Wirtschaftstheorie – Teil 4: Die Zusammenhänge zwischen Investieren und Sparen.