Leistungsbilanz und Kapitalbilanz – wer dominiert?

Eine der umstrittenen Fragen der verschiedenen Schulen der Volkswirtschaftslehre ist die nach der Dominanz von Kapital- oder Leistungsbilanz.

Handelsungleichgewichte
mit freundlicher Genehmigung von diekriseverstehen.net
Grafik ursprünglich aus Spiecker, F. (2012): Vortrag im Bruno Kreisky Forum, Wien

Bei wikipedia liest sich das in etwa so:
Betrachtet man die Problematik der Kausalität dieser beiden wichtigen ökonomischen Kenngrößen im Sinne einer Beziehung von Ursache und Wirkung, so stellen sich zwei mögliche Sichtweisen dar:
Exporterfolge führen zu einer negativen Kapitalbilanz, niedrigen Nettoinvestitionen und daraus folgend zu schwachem Wachstum.
Oder entgegengesetzt:
Der Abzug von Kapital führt zu geringer Inlandsnachfrage und zugleich erhöhter Auslandsnachfrage. Der Absatz folgt der Nachfrage und erzeugt damit Exportüberschüsse. Die Nettoinvestitionen bleiben gering, ebenso wie das Wachstum…

Im Grunde aber kann man dieses Dilemma doch mit einer entsprechenden Diagnose der Eurokrise auflösen:

Angenommen, der Kapitalexport wäre wirklich entscheidend für die Exporterfolge, hätten die deutschen Sparer doch 2011 und 2012 mit dem Klammerbeutel gepudert sein müssen, wenn sie nach Offenbarung der finanziellen Unzuverlässigkeit der Defizitländer diese weiterhin auf Pump finanziert hätten. Schließlich war doch klar abzusehen, dass es mit der Rückzahlung äußerst problematisch werden würde…

Tatsächlich aber ging der Kapitalexport in die Südlander auch in 2011 und in der ersten Hälfte 2012 fleißig weiter, nun aber hauptsächlich über die TARGET-Salden der Europäischen Zentralbank…

Das TARGET-System aber finanziert innereuropäische Transaktionen erst dann, wenn die privaten Finanzierungen dieser Transaktionen ausfallen, d. h. wenn die realwirtschaftlichen Vereinbarungen bereits längst getroffen wurden…

Zudem bildete das TARGET-System auch noch die Kapitalflucht aus den südeuropäischen Staaten vor allem nach D ab, per Saldo wurden also aus Südeuropa Erparnisse abgezogen…(was der Theorie der dominierenden Kapitalbilanz aber dann völlig den Boden entzieht)

Das heißt aber dann zusammen nichts anderes, als das den Kapitalströmen die realen Güterströme vorweggegangen sein müssen…also der Kapitalmarkt dem Gütermarkt folgte (und nicht umgekehrt) und lediglich die Art der Finanzierung sich geändert hatte…

Schlussfolgerung? Es waren und sind die durch die unterschiedlichen Entwicklungen bei den Lohnstückkosten entstandenen Leistungsbilanzungleichgewichte, die das eigentliche Problem der Eurozone darstellen. Die als angebliche Ursache monierten Kapitalströme sind lediglich die Folge dieser Problematik…

D. h. aber nichts anderes, als das Deutschland aufgrund der niedrigen Lohnstückkostenentwicklung und der darauf folgenden inländischen Investitionsschwäche mit seinen Ersparnissen den eigenen Export in die Südländer finanziert hat, diese sich daher wegen der nicht vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit bei uns verschulden mussten und der deutsche Steuerzahler nun die Rechnung bezahlen soll…