John Maynard Keynes lag schon richtig mit seiner Vorhersage, dass wir weniger arbeiten werden, doch er überschätzte, wie lange dieser Trend tatsächlich anhalten würde.
Freizeit-Vergnügen im Garten
„Drei Stunden am Tag sind genug“, schrieb Keynes 1930 in seinem Essay „Economic Possibilities for our Grandchildren“ (dt.: Die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder).
Dieser Aufsatz fesselt seine Leser auch heute noch, vor allem dank seiner fabelhaften, aber durchaus richtigen Prognose, dass es in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften Menschen im Jahr 2030 bis zu acht Mal besser gehen sollte als im Jahr 1930 – gekoppelt mit einer Vorhersage, die dagegen spektakulär falsch zu sein scheint, nämlich dass wir nur noch 15-Stunden-Wochen arbeiten würden.
Im Jahre 2008 gaben die beiden Ökonomen Lorenzo Pecchi und Gustavo Piga ein Buch heraus, in dem bekannte Wirtschaftswissenschaftler über Keynes‘ Essay nachdachten. Einer der Beteiligten, Benjamin Friedman von der Harvard University, griff vor kurzem noch einmal die Frage auf, wo Keynes falsch gelegen habe und produzierte dabei eine zum Nachdenken anregende Antwort.
Erstens, es lohne sich durchaus, die Art und das Ausmaß von Keynes‘ Fehler etwas näher zu untersuchen. Er hatte nämlich recht bei seiner Vorhersage, dass wir weniger arbeiten würden. Wir treten heute später ins Arbeitsleben ein, nach langen und nicht-immer-mühsamen Studiengängen. Wir genießen frühere Pensionierungen.
Die Arbeitswoche selbst wird immer kürzer. In der nicht-landwirtschaftlichen Beschäftigung in den USA dauerte die Woche im Jahr 1930 69 Stunden – das entspricht einer Arbeitszeit von 11 Stunden pro Tag, aber nur drei Stunden am Sonntag. Bis 1930 verringerte sich eine Vollzeitarbeitswoche auf 47 Stunden; mit jedem Jahrzehnt arbeiteten die amerikanischen Arbeiter 2 Stunden weniger pro Woche.
Aber Keynes hatte schlicht überschätzt, wie schnell und wie lange sich dieser Trend fortsetzen würde. Bis 1970 betrug die Arbeitszeit pro Woche nur noch 39 Stunden. Wenn die Arbeitswoche so weiter geschrumpft wäre, würden wir jetzt 30-Stunden-Wochen arbeiten, und vielleicht 25-Stunden-Wochen bis 2030. Doch um 1970 herum stoppte diese Verkürzung. Aber warum?
Eine naheliegende Antwort wäre, dass die Leute einfach nie zufrieden sind: vielleicht wird ihr Wunsch zu konsumieren von Werbung und Anzeigen entzündet; vielleicht liegt es auch nur daran, dass man immer ein besseres Auto, einen tolleren Anzug oder eine geschmackvollere Küche als die Nachbarn besitzen will. Da aber auch diese Mitmenschen immer wohlhabender werden, gibt es an diesem Prozess nichts, was einem eine Auszeit davon gönnen könnte.
Kein Zweifel, an dieser Ansicht ist viel dran. Doch Friedman wählt noch einen anderen Blickwinkel. Anstatt zu fragen, warum Keynes die Einkommen so richtig, aber die Freizeit so falsch eingeschätzt hatte, weist er darauf hin, dass Keynes vielleicht das Einkommen anders betrachtete, als wir es in der Regel heute tun. Denn während die US-Wirtschaft bis zur Krise 2007 kräftig wuchs, begannen die mittleren Haushaltseinkommen bereits lange vorher zu stagnieren – tatsächlich ab etwa 1970.
Die Lücke zwischen dem Wachstum der Wirtschaft und der Zunahme des mittleren Haushaltseinkommen wird durch einen Flickenteppich von verschiedenen Faktoren erklärt, einschließlich einer Veränderung in der Natur der Haushalte selbst, es muss mehr Einkommen abgezweigt werden, um die Kosten im Gesundheitswesen tragen zu können und ein zunehmender Anteil der realisierten Erträge sammeln sich bei den Topverdienern an.
Kurz gefasst sind die Fortschritte in Richtung der 15-Stunden-Woche vielleicht deshalb ins Stocken geraten, weil die typischen US-Haushalts-Einkommen ebenso ins Stocken geraten sind. Die Einkommen der Haushalte begannen zur gleichen Zeit zu stagnieren, als die Arbeitswoche aufhörte zu schrumpfen.
Diese Idee erscheint sinnvoll, aber sie erklärt noch nicht, was bei den höheren Einkommensgruppen geschieht. Da ihre Einkommen nicht stagnieren – sie sind weit davon entfernt – könnte man erwarten, dass sie einige der Vorteile der sehr hohen Stundenlöhne in Form von kürzeren Arbeitstagen und längeren Wochenenden in Anspruch nehmen würden. Doch dem ist anscheinend nicht so. Nach Recherchen der beiden Ökonomen Mark Aguiar und Erik Hurst aus dem Jahr 2006 – eine schöne Momentaufnahme des Lebens vor der großen Rezession – genossen Bezieher höherer Einkommen weniger Freizeit.
So hat sich das Puzzle in eine andere Form gebracht. Gewöhnliche Menschen frönen ein gewisses Maß an Einkommensgewinnen und mehr Freizeit, so wie Keynes es vorhergesagt hatte – aber doch eher weniger von beidem, als wir seiner Prognose nach hätten erwarten können.
Die Wirtschaftseliten verkörpern dagegen auch weiterhin eine Art Paradoxon: sie erhalten alle Einkommensgewinne, die Keynes vorhergesagt hatte und auch noch mehr, aber eben auf Kosten einer begrenzten Freizeit.
Der wahrscheinliche Grund dafür ist wohl, dass es in vielen Karrieren schwer ist, in die oberen Ränge durchzubrechen, ohne dabei lange Stunden zu investieren. Es ist offenbar nicht so einfach, es nur mit einer 20-Stunden-Woche in die C-Suite zu schaffen, egal wie talentiert man ist. Und weil die Einkommensverteilung stark verzerrt ist, sind die Einsätze hoch: 70 Stunden pro Woche arbeiten als wäre es noch 1830 bedeutet eben die Vorrausetzung für einen sechsstelligen Bonus, während 35 Stunden pro Woche für die Karriere viel zu wenig sind.
Die Folgen all dieser Verteilungskonflikte können dann auch an eher unerwarteten Orten auftauchen. Wie eine aktuelle Forschungsarbeit der Wirtschaftswissenschaftlerinnen Lena Edlund, Cecilia Machado und Maria Micaela Sviatschi nachweist, waren die städtischen Zentren in den USA die unerwünschten Lebensräume in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Die Leute zahlten lieber eine Prämie, um in den Vororten leben zu können und pendelten in die Stadtzentren zur Arbeit.
Heute hat sich diese Situation total verändert. Warum? Die Antwort lautet nach Edlund und ihren Kolleginnen, dass wohlhabende Menschen keine Zeit mehr zum Pendeln haben. Sie zahlen dagegen lieber mehr für beengte Apartments im Stadtzentrum, wenn sie dadurch Zeit sparen können.
Wenn es aber nur ein begrenztes Angebot an Apartments im Stadtzentrum gibt, und Ihre wohlhabenden Kollegen ihnen diese wegschnappen, was können sie dagegen tun? Härter arbeiten. Häuser wie Keynes‘ elegantes Stadthaus in Bloomsbury kosten heute einige Millionen Pfund. Drei Stunden am Tag sind dafür bei weitem nicht genug.
(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des britischen Ökonomen Tim Harford)