Neue Daten enthüllen die verborgenen Mechanismen des Zusammenbruchs des Römischen Reiches.
Römische Denare im Museo de Albacete in Spanien
Die Gründe für den Untergang des Weströmischen Reiches waren bisher für die modernen Historiker ebenso wie für die Römer selbst ein Rätsel geblieben.
Jüngste Daten aus dem Kern des grönländischen Eises liefern uns jedoch neue Hinweise zum Zusammenbruch des Imperiums, die zudem auch zeigen, wie schnell und brutal er erfolgte – ein wahrer „Seneca-Effekt„. Könnte unsere Zivilisation den gleichen Weg gehen?
Die alten Römer selbst verstanden ebenfalls nie, was sie traf. Aber auch spätere Historiker nicht: Es gibt buchstäblich Hunderte von Theorien darüber, was den Untergang des Römischen Reiches verursacht hat.
1984 listete Demandt 210 von ihnen auf, die vom moralischen Niedergang bis zur Verbreitung des Christentums reichten. Einige Historiker behaupten heute noch, der Zusammenbruch sei ein „Mysterium“ und einige führen ihn auf das unwahrscheinliche Anhäufen mehrerer unabhängiger Faktoren zurück, die irgendwie gleichzeitig passierten.
Warum aber ist etwas, was so massiv war wie der Fall des westlichen Imperiums so schwer zu verstehen? Es gibt sicherlich mehr als einen Grund dafür, doch einer der wichtigsten ist schlicht der Mangel an Daten.
Wir haben kaum schriftliches Material über die letzten Jahrhunderte des Imperiums und es sind nur sehr wenige quantitative Daten bei uns angekommen. Die Dinge ändern sich jedoch. Die moderne Archäologie liefert erstaunliche Ergebnisse, die viel über die Mechanismen des Zusammenbruchs des alten Reiches aussagen.
Schauen Sie sich zum Beispiel diese Grafik an: (aus Sverdrup et al., 2013):
Aktuelle Daten von McConnell et al. zur Bleiverunreinigung liefern ein detaillierteres Bild (siehe auch Peter Turchins Blog).
Das Schöne an Daten ist, dass wir nicht mehr über vage Konzepte wie den „Mangel an Charakterstärke“ sprechen müssen, einen Faktor, der tatsächlich mal als Ursache für den Sturz vorgeschlagen wurde. Nein, die Daten sind da, und sie sind eindeutig und klar. Sie zeigen, dass das römische Reich, als es im 5. Jahrhundert offiziell verschwand, bereits eine leere Hülle war.
Der eigentliche Zusammenbruch ereignete sich im 3. Jahrhundert, als die römische Wirtschaft nicht mehr funktionierte, wie die Daten zur Bleiproduktion belegen – als ein Nachweis für die industrielle Aktivität des Reiches.
Nun die große Frage: Die Daten sagen uns, wie der Zusammenbruch stattgefunden hat, aber warum ist er aufgetreten? Hier stehen wir vor einem für komplexe Systeme typischen Problem. Diese Systeme werden von dem Phänomen „Rückkopplung“ dominiert, welches die Auswirkungen einer kleinen, fast nicht nachweisbaren Störung stark verstärken kann.
Zum Beispiel ist es verlockend zu behaupten (und viele Leute taten es auch), dass das Römische Reich zusammengebrochen sei, weil es von den eindringenden Barbaren überwältigt wurde. Aber das ist nicht der Fall: Die Barbaren sind in ein bereits geschwächtes Römisches Reich eingedrungen, wie die Daten deutlich zeigen.
Was war der Strohhalm, der den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Imperiums auslöste? Der wahrscheinlichste Schuldige ist die Abwertung des römischen Denars. Wie Sie in der Abbildung von McConnell oben sehen können (siehe die roten Punkte), hat der Silbergehalt in der Denar-Münze in gleicher Weise nachgegeben wie die Bleiproduktion.
Die Römer konnten sicherlich ohne Blei überleben, aber wäre das auch ohne die Währung möglich gewesen, die das ganze System zum Funktionieren gebracht hatte? Kein Geld zu haben bedeutet, dass niemand etwas kaufen kann. Und wenn niemand etwas kauft, kann auch niemand etwas verkaufen. Und wenn niemand verkauft, produziert auch niemand. Der Zusammenbruch der Produktion von Edelmetallen könnte genau das Element sein, welches wir suchen: die Störung, die dem Imperium den Rücken gebrochen hat.
Natürlich war die Abwertung des Denars keine freiwillige Wahl: Es musste eine Notwendigkeit dafür gegeben haben. Und dieser offensichtliche Faktor könnte die Auszehrung der Minen gewesen sein, vorausgesetzt, sie wird richtig gedeutet.
Wir haben kaum direkte Daten über die Produktion der römischen Minen, aber wir wissen, dass deren fortschreitende Erschöpfung die Römer gezwungen hatte, immer tiefer und tiefer in die Adern der Edelmetalle vorzudringen, die sie in Spanien abgebaut haben. Das erforderte immer teurere Verfahren und Geräte.
Das Bergbausystem wurde nach und nach zu einer fürchterlich kostspieligen Belastung für die römische Wirtschaft, und irgendwann musste etwas nachgeben. Wir wissen nicht genau, was den Rücken des römischen Bergbaus gebrochen hat – vielleicht eine politische Krise oder die Antoninische Pest, doch bis zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurden die Minen aufgegeben.
Die Pumpen funktionierten nicht mehr, die Schächte wurden mit Wasser geflutet und die Produktion von Edelmetallen eingestellt. Ohne ständige Versorgung mit Edelmetallen verschwand das römische Gold, mit dem Luxusartikel aus China gekauft wurden. Ohne Gold konnte das römische Wirtschaftssystem nicht funktionieren – zumindest nicht auf die gleiche Weise wie zuvor.
Beachten Sie, dass Aufzehrung nicht dasselbe bedeutet wie wenn etwas völlig verschwinden würde. Die römischen Minen enthielten sicherlich noch etwas wertvolles Erz als sie aufgegeben wurden. Für die Römer war es einfach zu teuer, es noch zu fördern.
Erst viel später, im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ermöglichte es die Verfügbarkeit moderner Technologien, die Ausbeutung dieser alten Minen wieder aufzunehmen. Beachten Sie auch, wie anders der Fall bei der Bleiproduktion aussah: Im Spätmittelalter wurde weltweit mehr Blei produziert als zu Zeiten des Römischen Reiches. Der Abbau war also kein wichtiger Faktor für den Rückgang der Bleiproduktion.
Man kann also heute nachvollziehen, wie das römische System in einer Kaskade von mehreren Effekten versank, die durch die Erschöpfung ihrer Edelmetallminen verursacht wurde. Sie erfolgte langsam und konnte weder von den Römern selbst noch von modernen Historikern erkannt werden. Aber sie war unvermeidlich: Keine Mine kann in alle Ewigkeit fördern…
aus Cassandra’s Legacy: New Data Reveal the Hidden Mechanisms of the Collapse of the Roman Empire
Einer der Hauptgründe für das Ende Roms ist für viele Apologeten der freien Marktwirtschaft die angebliche galoppierende Inflation, ausgelöst durch den Wertverlust der römischen Währung, hauptsächlich des Silber-Denars durch eine ständige Edelmetall-Verringerung in den Münzen.
Doch obwohl der Wertverlust des Denars zwischen 100 v. Chr. und 300 n. Chr. (also in 400 Jahren!!!) nahezu 95 Prozent betraf (siehe Quelle) kann von einer Hyperinflation aufgrund des exorbitant langen Zeitraums wohl eher nicht die Rede sein. Die tatsächliche Entwertung der Währung dürfte dagegen in einer ähnlichen Art und Weise wie heute erfolgt sein.
Im Alltag der Römer sollte sich daher diese Geldentwertung zumeist nicht wirklich bemerkbar gemacht haben. Es wird auch zu Zeiten des römischen Reiches ähnlich wie heute Populisten gegeben haben, die durch das Verbreiten von übertriebenen Infla-tionswarnungen vor allem ihr eigenes Wohl im Auge hatten.
Als Krisenanzeichen aber dürfte diese Wertverringerung des Denars eher untauglich sein, ganz im Gegenteil könnten wachsende Löhne und steigende Preise auf eine immer noch zunehmende Prosperität hinweisen, die erst durch das Drama der nicht mehr genügend ertragreichen Silber- und Goldminen Spaniens einen herben Dämpfer erlitt.
Erst der Mangel an Geld in Form von Edelmetallmünzen brachte die Wirtschaft Roms offenbar tatsächlich zum Erliegen.
So sind viele schöne Theorien über die Inflation als Hauptschuldige für den Untergang des römischen Reiches eher in das Reich der Fantasie zu verweisen. Stattdessen sollte man auf die Gefahren einer mit Edelmetall gedeckten Währung (wie etwa dem Goldstandard) hinweisen, für die das Ende des Impe-rium Romanums ein bezeichnendes Beispiel darstellt.
Begrenzt nämlich das schlichte (Nicht-)Vorhandensein von Gold oder/und Silber die Möglichkeiten zur Erweiterung der Geldmenge, so kann in einer wachsenden Wirtschaft (die heutigen Ökonomien sind nun mal darauf angewiesen, um eine Verringerung des Wohlstandes zu verhindern) irgendwann das notwendige Geld schlicht ausgehen.
Umgekehrt bedeutet ein Schrumpfen der Geldmenge logischerweise dann auch einen Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeiten mit allen damit verbundenen negativen Konsequenzen (geringere Nachfrage und Ansteigen der Arbeitslosigkeit).
Dies war übrigens einer der Gründe, weshalb John Maynard Keynes den Goldstandard auch als „barbarisches“ Relikt bezeichnete. Denn sowohl in der Antike als auch bis weit ins Mittelalter hinein bestimmten die Edelmetallvorräte der Herrscher über Krieg und Frieden. Gab das eigene Land nicht mehr genügend Gold und Silber her, musste es im Zweifelsfalle mit Gewalt bei den Nachbarn besorgt werden um die eigene Machtbasis zu sichern.
Um eben solche katastrophalen Folgen des Zu- und Abflusses von Edelmetallen zu beenden wurde letztendlich das Papier- bzw. Fiatgeld eingeführt. Denn gerade die diversen Finanz- und Wirtschafts-krisen (vor allem jene von 1929 haben in eindeutiger Art und Weise die Schwächen von Gold- und Silberbindungen offengelegt.
Und schon Walter Bagehot wies bereits 1873 in seinem Werk Lombard Street darauf hin, dass solche Krisen nur durch die nahezu unbegrenzte Bereit-stellung finanzieller Liquidität wirklich beendet werden können.
Das römische Beispiel sollte auch der Europäischen Union eine Warnung sein, dass die derzeitig gern vollzogene Austeritätspolitik gewaltige Risiken mit sich bringt.
Denn Sparen bei den Staatsausgaben ist im Krisenfalle nichts anderes als die Reduzierung des zur Verfügung stehenden Geldes. Die Römer hatten keine andere Wahl, da ihnen die Edelmetalle für ihre Münzen definitiv ausgingen, die Folge war der Untergang ihres Imperiums.
Die Euro-Staaten heute besitzen allerdings dank moderner Geldpolitik Möglichkeiten diesem Schicksal zu entgehen. Sie müssen nur genutzt werden…