Was ist eigentlich der Postkeynesianismus?

John Maynard Keynes‘ Werk von 1936 Die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes gilt als ein Versuch, die klassische Theorie zu überwinden und die Art und Weise zu revolutionieren, wie Ökonomen über die Wirtschaft nachdenken.


Unsicherheit statt Risiko als bestimmende Prämisse

Wirtschaftswissenschaftler, die auf Keynes‘ General Theory aufbauen, um die ökonomischen Probleme der Weltwirtschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu analysieren, werden als „Post-Keynesianer“ bezeichnet.

Keynes „Prinzip der wirksamen Nachfrage“ (1936, Kap. 2) erläuterte, dass die der klassischen Theorie zugrunde liegenden Axiome nicht auf ein geldbasiertes, unternehmerisch geprägtes Wirtschaftssystem anwendbar seien. Folglich sei diese „Lehre der Mainstream-Theorie“ irreführend und in ihren Auswirkungen katastrophal, wenn wir versuchen, sie auf die Tatsachen der Praxis anzuwenden“(Keynes 1936, S. 3). Um eine ökonomische Theorie für eine Geldwirtschaft zu entwickeln schlug Keynes vor, drei grundlegende Axiome der klassischen Ökonomie zurückzuweisen (1936, S. 16).

Leider sind diese Grundsätze, deren Abschaffung Keynes nahelegte, immer noch ein wichtiger Teil der Mainstream-Wirtschaftstheorie des 21. Jahrhunderts. Post-Keynesianer haben aber gerade diese von Keynes monierten drei Axiome über Bord geworfen. Bei den betroffenen Grundsätzen handelt es sich um das ergodische Axiom der berechenbaren Zukunft, das Brutto-Substitutionsaxiom (die Austauschbarkeit aller Produktionsfaktoren) und den Grundsatz des neutralen Geldes … Nur wenn diese Axiome abgeschafft werden, kann ein Modell entwickelt werden, welches folgende Eigenschaften aufweist:

• Geld ist sowohl in der langen und der kurzen Frist wichtig, was bedeutete, Änderungen in der Geldmenge können Entscheidungen beeinflussen, die das Beschäftigungsniveau und die reale Wirtschaftsleistung bestimmen.

• Wenn sich das Wirtschaftssystem von einer unwiderruflichen Vergangenheit zu einer unsicheren Zukunft bewegt, erkennen die Entscheidungsträger dass sie unter unsicheren Bedingungen wichtige, kostspielige Entscheidungen treffen, wobei zuverlässige rationale Berechnungen in der Zukunft unmöglich sind.

• Menschen und Organisationen treten in Geldverträge ein. Diese Geldverträge sind eine menschliche Einrichtung, die entwickelt wurde, um zeitaufwändige Produktions- und Austauschprozesse effizient zu organisieren. Der Geldlohnvertrag ist der allgegenwärtigste dieser Verträge.

• Die Arbeitslosigkeit und nicht die Vollbeschäftigung ist eine gemeinsame Laissez-faire-Situation in einer marktorientierten, monetären Produktionswirtschaft.

• Das ergodische Axiom postuliert, dass alle zukünftigen Ereignisse statistisch vorhersehbar seien, d. h. dass die Zukunft aus einer Analyse bestehender Marktdaten genau prognostiziert werden kann. Infolgedessen bedeutet dieser Grundsatz, dass das Einkommen, das auf irgendeinem Beschäftigungsniveau erwirtschaftet wird, entweder ausschließlich für produzierte Waren für den heutigen Verbrauch oder für den Kauf von Investitionsgütern ausgegeben wird, die zur Herstellung von Waren für den (bekannten) zukünftigen Verbrauch der heutigen Sparer verwendet werden.

Mit anderen Worten, die orthodoxe Theorie geht davon aus, dass alle Einkommen immer sofort für bereits erstellte Güter ausgegeben werden, so dass es nie einen Mangel an effektiver Nachfrage nach Dingen gibt, die die Industrie bei Vollbeschäftigung produzieren kann… Die Post-Keynesianische Theorie lehnt das ergodische Axiom ab.

In der post-keynesianischen Theorie…erkennen die Menschen, dass die Zukunft unsicher ist (nichtergodisch) und nicht zuverlässig vorhergesagt werden kann.

Paul Davidson

Die Finanzkrise von 2007-08 traf die meisten Laien und Ökonomen völlig überraschend. Was aber ging mit unseren makroökonomischen Modellen schief, da sie den Zusammenbruch offensichtlich nicht vorhersagen oder sogar nur denkbar machen konnten?

Es gibt viele, die es gewagt haben, Antworten auf diese Frage zu finden. Und sie haben eine Vielzahl von Antworten entdeckt, angefangen von der übertriebenen Mathematik der Ökonomie bis hin zu irrationalen und korrupten Politikern.

Aber die Wurzel des Problems geht eigentlich viel tiefer. Es bezieht sich letztlich darauf, wie wir die Daten betrachten, mit denen gearbeitet wird. In der „modernen“ Makroökonomie – mit DSGE-Modellen, der Neoklassischen Synthese, der Neoklassischen Theorie an sich und dem Neokeynesianismus – werden Variablen wie von einem bekannten „Datenerzeugungsprozess“ behandelt, der sich im Laufe der Zeit entfaltet und mit dem wir daher Zugang zu massenweise historischen Zeitreihen haben.

Wenn wir nicht davon ausgehen, dass wir den „Datenerzeugungsprozess“ kennen – wenn wir also nicht das „echte“ Modell haben – kollabiert allerdings das gesamte „Gebäude“. Und natürlich muss es das auch, denn wer glaubt schon ehrlich daran, dass wir Zugang zu diesem mythischen Heiligen Gral haben sollten, dem Verfahren der Datenerzeugung?

Die „moderne“ Makroökonomie hatte offensichtlich die Ungeheuerlichkeit der Probleme nicht vorhersehen können, die die „effizienten“ unregulierten Finanzmärkte erzeugten. Warum? Weil sie auf dem Mythos aufbaut, dass wir den „Datenerzeugungsprozess“ kennen und wir die Variablen unserer sich entwickelnden Volkswirtschaften wie aus einem Kessel mit bekannten stochastischen Wahrscheinlichkeitsfunktionen ziehen und Abweichungen damit erklären können.

Dies ist in etwa so als wolle man bei einer Urlaubsreise genau wissen, dass die Chance auf sonniges Wetter mindestens 30% beträgt, was für uns genug ist zu entscheiden, ob man nun seine Sonnenbrille mitnimmt oder nicht. Man sollte also in der Lage sein, den erwarteten Nutzen basierend auf der gegebenen Wahrscheinlichkeit von sonnigem Wetter zu berechnen und eine einfache Entscheidung von entweder-oder zu treffen. Die Unsicherheit wird auf ein Risiko reduziert.

Aber wie Keynes in seiner monumentalen Abhandlung über Wahrscheinlichkeit (1921) überzeugend argumentierte, erscheint dies nicht immer möglich. Oft wissen wir es einfach nicht. Nach einem Modell ist die Chance auf sonniges Wetter vielleicht irgendwo um die 10% und nach einem anderen – aber gleich gutem – Modell beträgt sie möglicherweise etwa rund 40%. Aufgrund dieser Einschätzungen können wir keine genauen Zahlen aufstellen. Wir können auch keine Mittelwerte oder Abweichungen berechnen. Es gibt schlicht keine gegebenen Wahrscheinlichkeitsrechnungen, auf die wir uns verlassen könnten.

Am Ende ist das einfach alles, um das es eigentlich geht. Wir alle wissen, dass viele Aktivitäten, Beziehungen, Prozesse und Ereignisse genau diesem keynesianischen Unsicherheitstyp entsprechen. Die Daten geben nicht eindeutig eine Entscheidung als die einzige „rationale“ her. Weder der Ökonom noch das handelnde Individuum können genau vorgeben, wie die Menschen entscheiden werden, wenn sie mit Unsicherheiten und Unklarheiten konfrontiert werden, die als ontologische Tatsachen darstellen, wie diese Welt funktioniert.

Einige Makroökonomen wollen aber trotzdem weiterhin ihren bekannten Hammer benutzen können. So beschließen sie, einfach so zu tun, als ob die Welt wie ein Nagel aussieht und eben so zu tun, als ob Ungewissheit auf das Risiko reduziert werden kann. So konstruieren sie ihre mathematischen Modelle aufgrund dieser Annahme. Das Ergebnis: Finanzkrisen und wirtschaftliche Verwüstung.

Wie viel besser – und wie viel größer wäre die Chance, dass wir uns nicht in den tröstenden Gedanken hineinziehen lassen, alles zu wissen und alles für messbar zu halten und wir damit alles unter Kontrolle haben – wenn wir einfach nur zugeben können, dass wir oft einfach nicht genug wissen und wir mit dieser Ungewissheit so gut leben müssen wie es eben geht.

Die Menschen zu täuschen und sie glauben zu machen, dass man mit einer unbekannten wirtschaftlichen Zukunft auf eine Weise umgehen kann, die dem Spielen an Roulette-Rädern ähnelt, stellt nur für eine Sache ein sicheres Rezept dar – für ein ökonomisches Desaster.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des schwedischen Ökonomen Lars Syll)