Saldenmechanik – erklärende und vertiefende Beispiele

Wie in dem Beitrag Volkswirtschaftliche Saldenmechanik ja bereits angesprochen, soll es in diesem Artikel vor allem um Beispiele zum besseren Verständnis der Saldenmechanik gehen.

Sparparadoxon
Saldenmechanik und Sparparadoxon: Wenn alle sparen, steht sofort die Wirtschaft still
Grafik: Wolfgang Waldner

Hier ein einfaches Beispiel aus dem Buch „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik“ von Wolfgang Stützel (1978, S. 44):

Eine Gesellschaft von zehn Personen sitze um einen runden Tisch. Jede habe einen bestimmten Anfangsbestand an Spielmünzen. Der Gesamtbestand bleibe gleich. Jeder der Beteiligten schiebe den übrigen je nach unserer Verfügung wechselnde Mengen von Spielmünzen zu. Wir verfügen nun zunächst willkürlich, daß nur die Höhe der „Ausgaben“ unabhängige Variable sei, die einzelnen also auf die Höhe ihrer Einnahmen keinen willkürlichen Einfluß nehmen, und wir unterstellen außerdem, daß jeder einzelne seine Ausgaben ganz gleichmäßig auf die übrigen verteilt. Dann gelten:

Partialsatz: Bei jedem Spieler wird durch die Vermehrung der Ausgaben der Kassenbestand kleiner, als er wäre, wenn er seine Ausgaben nicht vermehren würde.

Größenmechanik: Jede Person (oder Gruppe) verkleinert nur in dem Falle und in dem Maße ihre Kasse, in dem sie ihre Ausgaben stärker vermehrt (oder weniger vermindert) als die Komplementärgruppe.

Globalsatz: Die Gesamtheit kann durch Vermehrung ihrer Ausgaben ihren Kassenbestand nicht verändern.

Anhand dieses Beispiels lassen sich dann auch noch zwei Fachbegriffe zur Saldenmechanik näher erläutern:

Vorsprungs- und Nachhinkeeffekte
Da die im Satz zur Größenmechanik gemeinten effektiven Veränderungen offensichtlich stets dann, aber auch nur dann eintreten, wenn die in Frage stehende Gruppe gegenüber ihrer Komplementärgruppe einen Vorsprung erzielt (oder erleidet), oder auch gegenüber den übrigen „nachhinkt“, sprechen wir auch zuweilen von der Mechanik der Vorsprungs- und Nachhinkeeffekte.

Dabei versteht es sich nach den bisherigen Ausführungen von selbst, daß sich Vorsprungseffekt und Nachhinkeffekt strikt wechselseitig bedingen: Eine Gruppe erzielt oder erleidet immer dann und nur dann einen Vorsprungseffekt, wenn die Komplementärgruppe den entsprechenden Nachhinkeffekt erzielt bzw. erleidet und umgekehrt.

Sätze aus der Mechanik der Vorsprungs- und Nachhinkeffekte sind für die Einzelplanungen von Haushalten, Betrieben, Banken und öffentlichen Stellen nur dann von Bedeutung, wenn die planende Instanz
1. damit rechnen kann, daß das Verhalten der übrigen wesentlich von ihrem eigenen Verhalten abhängt, und zugleich
2. das wahrscheinliche Verhalten der übrigen voraussehen und seine Auswirkungen beurteilen kann.
(Stützel 1978, S. 27)

Hiermit aber kommen wir in den Bereich der Oligopole (wenige Anbieter bestimmen einen Markt) oder gar der Monopole (ein einziger Anbieter bestimmt den Markt). Es ist nämlich zu unterscheiden, ob einzelne oder Gruppen von Wirtschaftssubjekten ihre Dispositionen nur auf die Logik der direkten Größenbeziehungen (Partialsätze) stützen oder sich aber die Mechanik der Vorsprungs- und Nachinkeffekte zu Nutze machen wollen.

Damit lässt sich dann auch festlegen, ob ein Angebot in einer Konkurrenzsituation entsteht oder aber als oligopolistisch oder gar monopolistisch bezeichnet werden kann. Stützel zufolge sind diese Grundsätze der effektiven Größenveränderungen über die betriebswirtschaftliche Einzelplanung hinaus auch für die volkswirtschaftliche Theorie von sehr großer Bedeutung (S. 28):

-So beruht z. B. die (nie sichere, nur mögliche) effektive Vergrößerung eines Gesamtvermögens durch Einschränkung der Konsumausgaben auf einem reinen Vorsprungseffekt (Sparen im Sinne der Bildung eines Einnahmeüberschusses ist ein Partialbegriff. Was für den einzelnen sich als „Sparen“ in diesem Sinne darstellt, ist beim Blick auf die Gesamtwirtschaft lediglich eine Geldvermögensumschichtung von der Komplementärgruppe zu den Sparern).

-Weiter beruht der effektive Gesamtbedarf einer Wirtschaft an kredit für Investitionen allein auf Vorsprungseffekten.

-Ebenso ist die Gesamtnachfrage des Banksystems am Geldmarkt im wesentlichen eine Funktion von Vorsprungseffekten usw. usf.

„Gleichschritt“
Bedeutsam ist noch der von Stützel sogenannte Fall des Gleichschritts: Dieser liegt dann vor, wenn bei den (einzelnen oder Gruppen von) Wirtschaftssubjekten keinerlei Vorsprungseffekte vorliegen.

Anders gesagt: „Gleichschritt herrscht, wenn zufällig für jede Einzelwirtschaft dasselbe gilt, was für die Gesamtheit von vornherein gilt“ (Stützel 1978, S. 29).

Bezogen auf das obige Beispiel von Einnahmen und Ausgaben beim Münzspiel bedeutet es:


Gleichschritt herrscht, wenn bei jeder Einzelwirtschaft die Eingänge gerade so hoch sind wie die Ausgänge, also gerade keine Salden auftreten.
Als ‚gleichschrittige Veränderung‘ aber wollen wir einen Verlauf bezeichnen, in dem der ‚input‘ (Eingang) jeder Einzelwirtschaft gerade um den gleichen absoluten (nicht prozentualen) Betrag wächst (schrumpft) wie der ‚output‘ (Ausgang), so daß der Saldo gleich groß bleibt.

(Stützel 1978, S. 50)

Mit dem Fall, dass alle Betriebe „im Gleichschritt“ disponieren würden, also die Preise von allen im gleichen Maße heraufgesetzt oder eben nicht geändert würden, entfiele die ganze Problematik.

Da bräuchte dann niemand auf Vorsprungseffekte zu setzen oder die Nachhinkeffekte zu fürchten, die ihn sonst zwingen würden, sich an die Partialsätze zu halten, obwohl sich die Situation für die Gesamtheit nicht verbessern würde.

Aufgrund der normalerweise herrschenden Konkurrenzsituation kann aber eigentlich niemand mit so einem Gleichschritt rechnen, es sei denn, er könnte ein Kartell oder eine Monopolsituation herbeiführen.

Konkurrenzparadoxon
Einer der klassischen Fälle zur theoretischen Anwendung der saldenmechanischen Schemata ist das sogenannte „Konkurrenzparadoxon“. Damit wird in der Volkswirtschaft eine Situation bezeichnet, in der sich Maßnahmen, die für ein einzelnes Wirtschaftsobjekt oder für eine Gruppe von Wirtschaftsobjekten Wettbewerbsvorteile bieten, aufheben, wenn sich die Gesamtheit ebenso verhält. In der Regel ist dann im Endeffekt der erzielte Vorteil aller geringer als zuvor (siehe wikipedia: Konkurrenzparadoxon).

Es ist dabei hervorzuheben, dass die Entscheidungen der einzelnen in einer Konkurrenzsituation durchaus als „rational“ und „richtig“ anzusehen sind, weil sie ja ohne Kenntnis des Gesamtergebnisses versuchen, sich durch ihre Dispositionen besser zu stellen als ohne sie. Dass es dabei im Endeffekt für alle zumeist anstelle von höheren nur niedrigere Gewinne gibt, erklärt somit die Verwendung des Bergriffs „Paradoxon“.

Es gibt eine ganze Anzahl von Beispielen für das Vorkommen von Konkurrenzparadoxa:

so z. B. im Bereich der Werbung: Jeder einzelne Unternehmer kann durch Werbung seinen Absatz ausdehnen, für ihn ist Reklame also sinnvoll. Bleibt die Gesamtnachfrage allerdings gleich, so erhöhen alle Unternehmer nur ihre Werbeausgaben, der Absatz aller ändert sich nicht, durch höhere Kosten sinken die Gewinne.

Beim Ladenschluss: Für einen einzelnen Betrieb kann es sinnvoll sein, durch längere Öffnungszeiten seinen Absatz ausdehnen zu wollen. Wenn aber alle anderen bei unveränderten Konsumausgaben nachziehen, so bleibt der Gesamtabsatz gleich, es steigen wiederum nur die Kosten.

Auf die Auswirkungen dieses Paradoxons im Bereich der internationalen Lohnpolitik, also beim sogenannten „Wettbewerb der Nationen“, werde ich noch in einem gesonderten Artikel näher eingehen.

Sparparadoxon
Auch das Sparparadoxon gehört zu den allgemeinen Anwendungsfällen der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik. Dabei geht es um Sparen durch die Kürzung der Ausgaben, was für den Einzelnen immer zu einem Einnahmeüberschuss, also einer Ersparnis von Geld führt. Sobald aber die Gesamtheit (also die Summe aller einzelnen Wirtschaftsobjekte) an den Ausgaben spart, sinken nur die Einnahmen in der Gesamtwirtschaft:

Sparparadoxon
Ausgabenkürzungen mindern anderer Sektoren Einnahmen und initiieren Spardruck
Grafik: Wolfgang Waldner

In der von Stützel entwickelten „Theorie wirtschaftlicher Gesamtgefüge“ bedeutet das:

Partialsatz: Je geringer die Ausgaben, desto größer der Einnahmeüberschuss.

Größenmechanik: Der Ausgabenrückgang einer Gruppe der Ökonomie kann nur dann zu einem Einnahmeüberschuss führen, wenn die Komplementärgruppe einen Ausgabenüberschuss vor- und hinnimmt.

Globalsatz: Ein allgemeiner Ausgabenrückgang führt immer zu einem Einnahmerückgang und nie zu einem Einnahmeüberschuss.

siehe wikipedia: Sparparadoxon und ACEMAXX-ANALYTICS: Spar-Paradoxon

Auch für das Auftreten von Sparparadoxa lassen sich in der Wirtschaftsgeschichte eine ganze Anzahl von Fällen ausmachen, aktuell sind z. b. die Auswirkungen der Austeritätspolitik der Europäischen Union in den Krisenländern ein geradezu klassisches Beispiel.

Zur weiteren Vertiefung des Themas möchte ich zudem noch folgende Seiten empfehlen:
Wolfgang Waldner: Die Saldenmechanik
Jörg Buschbeck: Guthabenkrise