Pareto und der libertäre Weg zur Diktatur

Eine Situation, in der es keine Möglichkeit gibt einige Leute besser zu stellen ohne dass jemand gleichzeitig schlechter gestellt wird, wird oft als „Pareto optimal“ nach dem italienischen Wirtschaftswissenschaftler und politischen Theoretiker Vilfredo Pareto benannt, der das zugrunde liegende Konzept entwickelt hat.

Transformationskurve - Effizienzbereiche und Realisierungsmöglichkeiten im Modell
Pareto-Optimum als Transformationskurve zweier Güter

„Pareto optimal“ ist wohl die irreführendste Bezeichnung der Wirtschaftswissenschaften (und es gibt dafür viel Anwärter). Bevor dies hier näher erläutert wird, ist es allerdings notwendig, sich mit der weiteren Gedankenwelt Paretos auseinanderzusetzen, welche ihn am Ende sogar dazu führte, den Faschismus zu umarmen.

Pareto versuchte die die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts dominierende Version des Liberalismus zu untergraben, nach der der optimale (wünschenswerteste) wirtschaftliche Erfolg derjenige war, welcher am meisten dazu beitrug, das menschliche Glück zu steigern, oft (wenn auch etwas locker) zusammengefasst als „das höchste Gut für die größte Anzahl“. Diese insbesondere durch den großen Philosophen und Ökonomen John Stuart Mill entwickelte Theorie ist eine von Natur aus egalitäre Doktrin.

Die egalitären Implikationen dieses klassischen Rahmens spiegeln die Tatsache wider, dass die Bedürfnisse der Armen dringlicher sind als die der Bessergestellten. Daher wird auch das Glück der Gemeinschaft als Ganzes vor allem durch Richtlinien erhöht, die vor allem den ärmsten Mitgliedern der Gemeinschaft zugute kommen, auch wenn diese Leistungen zu Lasten der Bessergestellten gehen.

Daraus folgt, dass ein hohes Maß an Einkommensumverteilung sozial wünschenswert ist und das große Ansammlungen von individuellem Reichtum, die nur geringfügig zum Glück einer kleinen Anzahl von Menschen beitragen, an sich unerwünscht sind, auch wenn sie in einigen Fällen ein Nebenprodukt erwünschter Politik sein mögen.

Paretos größte Leistung, welche durch eine große Anzahl Ökonomen des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt wurde, war es zu zeigen, dass man Wirtschaftsanalysen auch ohne die Berufung auf den Begriff des Nutzens vornehmen könne. Daher wäre es auch möglich, zwischenmenschliche Vergleiche des Glücks, die unweigerlich zu dem Schluss führen würden, dass ein gerechte Umverteilung von Vorteil wäre, generell als „unwissenschaftlich“ abzuwehren.

Doch Pareto begnügte sich nicht nur mit einem Angriff auf die wirtschaftlichen Auswirkungen von Mills Ansatz. Mills philosophischer Rahmen implizierte auch seine Unterstützung für die politische Demokratie, einschließlich der Befreiung der Frauen. Da in der klassischen Analyse das Wohlergehen jedes Einzelnen gleichermaßen zählte, sollte auch der politische Prozess so weit wie möglich jedem das gleiche Gewicht zuerkennen.

Pareto kehrte diese Argumentation um mit der Begründung, dass eine hoch ungleiche Einkommensverteilung unvermeidlich und wünschenswert wäre; er regte stattdessen ein Potenzgesetz über die statistische Verteilung an, welches auch seinen Namen trägt. Das Paretoprinzip kann als die 80-zu-20-Regel zusammengefasst werden, nach der 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Reichtums besitzen.

Der vermeintliche Konstanz der Einkommensverteilung impliziert, dass jeder Versuch einer Umverteilung im wesentlichen vergeblich sein muss. Auch wenn es das Ziel wäre, die Armen auf Kosten der Reichen profitieren zu lassen, würde der Effekt einfach nur der sein, einige Leute auf Kosten der momentan noch Reichen Neureich zu machen.

Pareto nannte diesen Prozess „die Zirkulation der Eliten“. (In seinem dystopischen Klassiker 1984 ließ Orwell seinen trotzkiartigen Charakter Emmanuel Goldstein das gleiche Gedankengut als Ausgangspunkt der Theorie des oligarchischen Kollektivismus präsentieren. Orwell leitete diese Idee fast sicher von James Burnham ab, einem Bewunderer von Pareto, dessen Arbeiten Orwell als die Verkörperung der „Verehrung der Macht“ ansah).

All dies führte dazu, dass Pareto einer der ersten Befürworter einer politischen Position aus der Kombination einer extrem freien Marktposition in wirtschaftlichen Fragen mit einer Feindseligkeit gegenüber dem politischen Liberalismus und der Demokratie wurde. Pareto begrüßte den Aufstieg von Mussolinis faschistischem Regime, und er akzeptierte auch eine „königliche“ Nominierung Mussolinis für den italienischen Senat. Er starb jedoch 1923, weniger als ein Jahr nachdem Mussolini die Regierung übernommen hatte.

Pareto war jedoch nicht wirklich ein Faschist. Vielmehr entwickelte er eine Version des Liberalismus ähnlich der seiner berühmteren Nachfolger Hayek und Mises, die beide für mörderische Regimes arbeiteten, welche durch die Unterdrückung von demokratischen sozialistischen Parteien an die Macht gekommen waren. Wie Pareto, können weder Hayek noch Mises tatsächlich als Faschisten bezeichnet werden – sie interessierte der Nationalismus oder die Ausübung der Macht um ihrer selbst willen nicht.

Vielmehr war ihre Marke des Liberalismus demokratiefeindlich und gleichgültig gegenüber der politischen Freiheit, so dass sie natürliche Verbündete jedes autoritären Regimes wurden, welches sich an die marktgläubige Orthodoxie der Wirtschaftswissenschaften hielt. (Unterstützer von Hayek und Mises beschreiben sich häufig selbst als „libertarians“, aber ihre Allianz mit brutalen Diktatoren macht aus dem Begriff ein Zerrbild – weshalb sie spöttisch als „shmibertarian“ bezeichnet werden).

Nun zurück zur „Pareto-Optimalität“, und warum das so ein irreführender Begriff ist. Eine Situation als „optimal“ zu beschreiben impliziert, dass es sich dabei um das eindeutig beste Ergebnis handelt. Wie wir sehen werden ist dies nicht der Fall. Pareto und seine Anhänger wie Hazlitt versuchen stattdessen, die einzigartige gesellschaftliche Erwünschtheit der freien Marktwirtschaft schon allein per Definition und nicht durch tatsächliche Demonstration festzusetzen.

Wenn das wahr wäre, dann wäre auch nur das Marktergebnis verbunden mit der bestehenden Verteilung der Eigentumsrechte Pareto optimal. Hazlitt, wie viele spätere Befürworter des freien Marktes, ging implizit davon aus, dass dies so der Fall sei. In Wirklichkeit aber gibt es unendlich viele mögliche Zuordnungen von Eigentumsrechten, und unendlich viele Zuweisungen von Waren und Dienstleistungen, die die Definition von „Pareto-Optimalität“ zu erfüllen. Eine sehr egalitäre Zuordnung kann Pareto optimal sein. Ebenso wie jede Allokation, in der eine einzige Person den gesamten Reichtum besitzt und alle anderen auf das Existenzminimum reduziert sind.

Angesichts der Unangemessenheit, grundlegend unfaire Zuweisungen als „optimal“ zu bezeichnen, haben einige Ökonomen stattdessen die Beschreibung „Pareto-effizient“ verwendet, aber das ist nicht viel besser. Es entspricht weder dem üblichen Sinn von „effizient“ noch der Bedeutung, mit der dieser Begriff häufig in der Ökonomie verwendet wird, welche aber in einer anderen Art und Weise genauso irreführend ist.

Das Konzept der Opportunitätskosten eröffnet uns dagegen einen besseren Weg, um über die Möglichkeiten nachzudenken, wie man einige Leute besser stellen kann, ohne andere gleichzeitig zu benachteiligen. Wenn solche Möglichkeiten existieren, dann ergeben sich auch potenzielle Vorteile, die keine Opportunitätskosten haben. Umgekehrt bedeutet das dann, wenn positive Opportunitätskosten für jeden Nutzen existieren, dass wir niemanden besser stellen können, ohne damit andere schlechter zu stellen. So könnte dann eine Situation einfach als „Pareto optimal“ beschrieben werden, in der alle Opportunitäts- kosten positiv sind.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen John Quiggin)