Die Baumwollernte wird heute von Maschinen dominiert. Aber bis es soweit war, hat es Jahrzehnte gedauert.
Eine Baumwoll-Erntemaschine von John Deere bei der Arbeit in den USA
Aus der Kabine eines hochmodernen Cotton-Ernters Marke John Deere erscheint das Pflücken von Baumwolle heute als der einfachste Job der Welt. Man tuckert mit vier oder fünf Meilen pro Stunde herum und sieht zu, wie die leuchtend gelben Finger der riesigen Maschine acht Reihen von Kapseln gleichzeitig verschlingen.
Weiße Reihen werden auf magische Weise braun, wenn die Maschine über sie hinweg-fährt. Dann folgt die Offenbarung, wenn alle paar Minuten ein plastikverpackter Zylinder an der Rückseite herausplumpst und so an die 5.000 Pfund Baumwolle für die Weiter-verarbeitung bereitlegt.
Ein solcher Ernter kostet satte 700.000 Dollar, doch trotzdem ist er erstaunlich effizient. Man kann 100 bis 120 Acre damit pro Tag abpflücken, verglichen mit 80 mit der vor-herigen Generation von Geräten, die regelmäßig anhalten mussten, um ihren Korb mit geernteter Baumwolle in einen Anhänger zu entleeren. Es kann damit auch bei windigem Wetter weiter gearbeitet werden, da keine lose Kapseln, die vom Wind weggeweht würden, noch zur Verpackung auf dem Feld warten.
Am wichtigsten dabei ist allerdings die Tatsache, dass man nicht mehr ein halbes Dutzend Erntehelfer einstellen muss, um die wenigen Vollzeitbeschäftigten zu ergänzen. Die Suche nach zuverlässigen Saisonarbeitern für die Farmen beispielsweise in Texas gestaltet sich zunehmend schwierig.
Die Einheimischen geben die Schuld dafür den staatlichen Leistungen, die als der bessere Deal als befristete Arbeit angesehen werden. Wenn man die Ernte mit den neuen Maschinen einbringt, benötigt man nur zwei Leute dafür: einen, der den Pflücker steuert und einen für den Traktor, der die Ballen für die Egreniermaschine aufstellt. Vollzeitkräfte erledigen alles und die auch „Cotton Gin“ genannte Maschine kann bei Bedarf die ganze Nacht laufen.
Mit dieser neuen Maschine würden mindestens 1.000 Menschen verdrängt, so Experten für die Entkörnung der Baumwollfasern, an guten Tagen könne sie so viel ernten, wie früher tausend Helfer in den Zeiten der Ernte per Hand. Natürlich haben die meisten dieser Menschen die Baumwollfelder bereits vor Jahrzehnten verlassen.
Die Roboter übernahmen die Jobs – und das seit mindestens 60 Jahren. Die Geschichte, wie sich die Baumwollernte im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, erinnert daran, dass selbst Roboter sich Zeit lassen. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt.
1) Die vollständige Automatisierung war ohne jahrelange Herumbastelei unmöglich. Obwohl mechanisierte Baumwollerntemaschinen bereits in den 1920er Jahren verfügbar waren, haben sie sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Solange Farmen Arbeiter benötigten, um Unkraut und dünne Baumwollpflanzen unterzugraben, war es wirtschaftlich wenig sinnvoll sie zur Erntezeit zu ersetzen. Chemikalien, nicht Maschinen, lösten diesen Teil des Problems; der Boden zwischen den Reihen in den heutigen Feldern ist daher vollkommen kahl.
Aber auch das war noch nicht das Ende der Probleme. „Die Nebenanforderungen schienen immer weiter und weiter anzusteigen“, schrieb der verstorbene Historiker Donald Holley in seinem Werk The Second Great Emanzipation: The Mechanical Cotton Picker, Black Migration, and How They shaped the South.
Zu den Textilmaschinen mussten beispielweise zusätzliche Trockner installieren werden, weil maschinell geerntete Baumwolle mehr Feuchtigkeit enthielt. Farmer benötigten vor der Ernte chemische Entlaubungsmittel, damit ihre Ballen nicht mit Laub verschmutzt werden. Züchter mussten kürzere Pflanzen mit gleichzeitig sprießenden Samenkapseln entwickeln, die einen einzigen Erntedurchgang über die Felder ermöglichten. Bis all diese Probleme tatsächlich gelöst waren, entwickelten die Erntemaschinen nur wenig Anreize.
Menschliche Anpassungsfähigkeit und Geschick zu ersetzen, erforderte also viel mehr als nur eine einzige neue Maschine. Moderne Produktionssysteme sind sehr viel komplizierter als es externe Kommentatoren erkennen können. Roboter ersetzen möglicherweise irgendwann Menschen in einer Industriesparte, doch bis dahin kann es lange dauern.
2) Die Roboter-Übernahme hat eine Menge an neuen Möglichkeiten und Chancen geschaffen. Holley nannte sein Buch aus gutem Grund „The Second Great Emancipation“. Unkraut jäten und Baumwolle pflücken ist brutal harte Arbeit, und im amerikanischen Süden hielt ein repressives rassistisches Kastensystem viele schwarze Arbeiter an die Farmen gebunden. Die mechanisierte Baumwollernte spielte eine wichtige Rolle bei der Überwindung dieses Systems.
Die anpassungsfähigsten Landarbeiter zogen weiter in ein besseres Leben. Sie mussten beispielsweise nicht mehr als Kinder monatelang die Schule verlassen, um auf dem Feld zu arbeiten.
3) Auch wenn die Automatisierung zweifellos einen Nettogewinn darstellt, gibt es trotzdem Verlierer. Denn die Mechanisierung hat die am wenigsten Fähigen verdrängt und sie ohne markttaugliche Kompetenzen zurückgelassen. Der alte Cotton Belt der USA umfasst heute einige der ärmsten Teile des Landes, mit wenigen Arbeitsplätzen und vielen Bewohnern, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
„Die Bundesregierung hat die Mechanisierung der Baumwollproduktion stark subventioniert und koordiniert, ohne aber die Anpassungskosten der durch die Ergebnisse Geschädigten zu absorbieren“, erkannten die Ökonomen Wayne A. Grove und Craig Heinicke in einer Studie von 2003. Sie berechneten, dass der Druck der Mechanisierung dabei doppelt so stark ausfiel wie der Anstieg der Löhne in der Nachkriegszeit. Spezialeffekte wie die besondere soziale Situation der zumeist farbigen Arbeiter, stark sinkende Baumwollpreise und die oben genannten staatlichen Automatisierungs-programme verzerren diese Ergebnisse allerdings völlig.
Wie man verdrängten Arbeitnehmern helfen kann, stellt ein schwerwiegendes Problem dar. Staatliche Hilfen können Menschen vor der Armut bewahren, aber sie können sie auch ermutigen, zu lange in absteigenden Städten zu bleiben – eine Lektion für diejenigen, die das universelle Grundeinkommen als eine einfache Lösung für technologische Arbeitslosigkeit betrachten. Anpassung erfordert mehr als nur Geld.
Man sollte dabei aber keine Fehler machen. Menschen vor schwerer Handarbeit zu bewahren bedeutete immer schon Fortschritt. Er befreite die Menschen für lohnendere und produktivere Arbeitsplätze und erhöhte so den allgemeinen Lebensstandard. Heute ist der Feind vor allem die geistige Langeweile. Computer werden nicht abgelenkt oder gelangweilt. Sie machen auch Aufgaben, die Menschen nicht besonders mögen, ob sie Lymphknoten bei CT-Scans messen oder Walmart-Regale nach vergriffenen Artikeln und falschen Preisen scannen.
Radiologen und Lagerarbeiter haben heute bessere und vor allem deutlich humanere Möglichkeiten ihre Arbeitszeit zu nutzen. „Diese langweilige, sich wiederholende Aufgabe, die Regale zu scannen – wir haben noch nie jemanden getroffen, der das wirklich gerne gemacht hat. Mitarbeiter werden so sofort zu Befürwortern des Roboters“, so Martin Hitch, Chief Business Officer des Roboterherstellers Bossa Nova, gegenüber Technology Review.
Wenn solche langweiligen und betäubenden Aufgaben verschwinden, werden nur noch wenige Menschen ihren Tod betrauern, genauso wenig wie die Kinder von Feldarbeitern, die ihren Sommer damit verbringen Unkraut zu hacken und im Herbst Baumwollkapseln zu ernten.
(eigene veränderte Übersetzung eines Artikels der amerikanischen Journalistin Virginia Postrel)