Wilhelm Lautenbach: Kapitalbildung und Sparen – Teil 4

Fortsetzung von Teil 3:

Um die Wechselbeziehungen zwischen Investition, Produktionsvolumen, Einkommen und Verbrauchsquote klarzulegen, will ich zunächst auf die Bestimmungsgründe der Verbrauchsquote noch etwas näher eingehen.

Anteile von Faktorkosten, Abschreibungen und Unternehmergewinn an den abgesetzten Verbrauchsgütern
Zusammenhang zwischen Investition und Produktionsvolumen

Zunächst ist festzustellen, daß die einzelnen Wirtschaftssubjekte, welche verbrauchen, ihren Aufwand nicht nur aus Einkommen bestreiten. Ersparnisse werden verzehrt, Konsum wird durch Kredit finanziert. Aber auch diese irreguläre Finanzierung des Verbrauchs hängt wieder vom allgemeinen Geschäftsgang und Einkommensstand ab.

Bei hoher Arbeitslosigkeit und stark eingeschränkter Produktion werden viele ihre eigenen früheren Ersparnisse angreifen müssen, und der Staat wird Arbeitslose unterstützen und dabei häufig statt ordentlicher Einnahmen den Kredit in Anspruch nehmen.

Überhaupt stellt jedes Staatsdefizit einen Aufwand dar, der nicht aus Einkommen, sondern durch Konsumtion von Ersparnissen bestritten wird. Durch Vorgänge dieser Art wird die Verbrauchsquote erhöht. Wenn wir uns aber das Einkommen als die reguläre Quelle der Nachfrage nach Verbrauchsgütern ansehen, so beobachten wir, daß nicht alle Einkommensbezieher in gleicher Weise auf Veränderungen ihres Einkommens reagieren.

Wächst das Einkommen der Nichtunternehmer, so wächst ihr Verbrauch annähernd proportional. Nur dadurch, daß bei steigender Beschäftigung das Einkommen der Nichtunternehmer immer mehr aus der regulären Quelle, nämlich aus den Faktorkosten, entspringt, während bei großer Arbeitslosigkeit ein mehr oder weniger großer Teil der Unterstützungen aus einer irregulären Quelle stammt, nämlich durch Kredit finanziert wird, sinkt die Verbrauchsquote, wie wir sie definiert haben, merklich, obwohl die einzelnen Einkommensbezieher persönlich kaum mehr sparen.

Die individuelle Sparquote ändert sich wenig, wohl aber die kollektive, weil jene Ersparnis verzehrenden Akte entfallen (staatliche Konsumkredite oder Ersparnisverzehr von solchen, die kein Einkommen bezogen). Regelmäßig werden jedenfalls nur ganz wenige Prozente des Lohn- und Gehaltseinkommens insgesamt von den einzelnen Einkommensbeziehern gespart und die Schwankungen dieser Sparquote haben im großen und ganzen wenig zu besagen.

Ganz anders aber verhält es sich mit der Ersparnis aus Unternehmereinkommen, das regelmäßig die Hauptquelle der Ersparnis bildet. Man kann ohne große Übertreibung sagen, daß die Veränderungen der durchschnittlichen Verbrauchsquote im engesten Zusammenhang mit den Schwankungen des Unternehmereinkommens stehen, weil der Verbrauch der Unternehmer relativ konstant ist, jedenfalls weit weniger schwankt als ihr Einkommen.

Bei gutem Geschäftsgang verbrauchen die Unternehmer zwar im allgemeinen mehr als bei flauem Geschäft, jedoch nicht entfernt in dem Maße wie etwa die Lohn- und Gehaltsbezieher, wenn die Gesamtsumme der Löhne und Gehälter steigt.

Die Tatsache kann jeder durch eigene Beobachtung verifizieren. Sie ist psychologisch und soziologisch leicht zu erklären. Daß der Verbrauch von Henry Ford völlig unabhängig zu seinem Einkommen ist, daß mithin die Schwankungen seines Einkommens nur seinen Vermögenssand, nicht aber seine Lebenshaltung berühren, ist sonnenklar.

Je mehr man von den Spitzenreitern zur Kerntruppe oder zum Trotz des Unternehmerheeres zurückgeht, um so mehr wandelt sich freilich das Bild. Im ganzen aber kann man für die Verbrauchskurve der Unternehmer und Nichtunternehmer folgende Regel aufstellen: Die Verbrauchskurve der Nichtunternehmer läuft mit ihrem Einkommen im großen und ganzen ziemlich parallel.

Die Verbrauchsquote ist demnach in diesem Kreis ziemlich konstant und im übrigen so hoch, nämlich sicher über 95 % des Einkommens im Gesamtdurchschnitt, daß sie für die Veränderung der allgemeinen Verbrauchsquote keine große Bedeutung haben kann.

Hingegen zeigt der Verbrauch der Unternehmer eine gewisse Trägheit, auch wenn die Einkommenskurve stark schwankt. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Verbrauchsquote der Unternehmer (verstanden als Verhältnis von Verbrauch zum Einkommen) fast ebenso stark schwankt wie das Einkommen selbst, natürlich in entgegengesetzter Richtung: bei niedrigem Einkommen ist ihre Verbrauchsquote hoch, bei hohem niedrig.

Diese Schwankungen in der Verbrauchsquote der Unternehmer oder, anders ausgedrückt, die Tatsache, daß die Einkommensschwankungen weniger den Verbrauch als die Vermögensbildung der Unternehmer beeinflussen, ist aber nicht etwa ausschließlich psychologisch zu erklären, sondern hier wirkt ein sozialökonomisches Gesetz mit, das sich durchsetzt, einerlei wie auch immer die Unternehmer im ganzen zum Verbrauch geneigt sein mögen.

Die Ersparnis der Unternehmer im ganzen ist nämlich völlig unabhängig von ihrem Verbrauch. Das klingt paradox, ist aber – wenigstens in der geschlossenen Wirtschaft –, wie leicht zu zeigen ist, völlig gewiß. Wir haben uns nur klarzumachen, wodurch denn das Gesamteinkommen der Unternehmer bestimmt wird.

Das Einkommen der Unternehmer ist ihr Anteil am Sozialprodukt (Nettoprodukt). Dieser Anteil ist der Rest, der nach Abzug des Anteils der Nichtunternehmer vom Gesamtprodukt übrig bleibt. Der Anteil der Nichtunternehmer zerfällt in zwei Teile, den verbrauchten und den ersparten Teil.

Demnach ergibt sich folgende entwickelte Gleichung für das Unternehmereinkommen, wenn wir berücksichtigen, daß das Sozialprodukt ebenfalls zerfällt in die beiden Teile: Verbrauch + Neuinvestition:

Unternehmereinkommen = Gesamtverbrauch
– Verbrauch der Nichtunternehmer
+ Neuinvestition
– Ersparnis der Nichtunternehmer

oder einfacher:
Unternehmereinkommen = Unternehmerverbrauch + Neuinvestition
– Ersparnisse von Nichtunternehmern.

(Hierbei ist die Höhe der Ersparnisse der Nichtunternehmer als Nettobetrag verstanden und definiert als Unterschied zwischen Gesamteinkommen der Nichtunternehmer und ihren Gesamtausgaben für den Verbrauch.) Die hier entwickelte Gleichung für das Unternehmereinkommen hat den Charakter einer Bestimmungsgleichung.

Das Unternehmereinkommen wird in seiner Höhe tatsächlich durch die drei Faktoren:
Eigenverbrauch der Unternehmer, Neuinvestition und Ersparnis der Nichtunternehmer bestimmt.

Daraus ergibt sich, daß die Unternehmer, wenn sie mehr verbrauchen, mehr verdienen, während die Nichtunternehmer, wenn sie mehr verbrauchen, ihr festgegebenes Einkommen verzehren. Umgekehrt können die Unternehmer auch nicht dadurch, daß sie insgesamt weniger konsumieren, mehr sparen, sondern wenn sie insgesamt weniger konsumieren, vermindert sich ihr Einkommen (bei gegebener Produktion).

Weiter hier demnächst mit Teil 5.

Auszug aus einem Vortrag von Wilhelm Lautenbach vom 28. Oktober 1937, gehalten im „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes von 1821“ – aus altdeutscher Schrift übertragen durch C.G.BRANDSTETTER.