Die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen an die Gewerkschaften – Teil 3: „Haltepflöcke von Papier-Währungen bei freien Wechselkursen“

Nachdem wir in Teil 1 dieser Serie die Beschränkung der Individualkonkurrenz der Arbeitnehmer untereinander sowie in Teil 2 die Funktion des Schutzwalles gegen menschenunwürdige Unterbietungskonkurrenz als wichtige fundamentale Grundpfeiler der ordnungspolitischen Legitimation der Gewerkschaften identifiziert hatten, soll hier nun auf eine sehr bedeutende makroökonomische Aufgabe der Arbeitnehmervertreter eingegangen werden.

Gewdemonstration

Jeder Student der Volkswirtschaftslehre lernt schon immer, dass in Märkten mit einem freiem Spiel von Einzelpreisen durch die Veränderungen realwirtschaftlicher Knappheits-relationen lediglich die Beziehungen zwischen den Geldpreisen der einzelnen Waren und Leistungen festgelegt werden.

Das absolute Niveau dieser Geldpreise (und damit auch der wirkliche reale Wert des Geldes) dagegen bleibt erst einmal unbestimmt. Der Ökonom Wolfgang Stützel schrieb dazu in seinem Buch „Marktpreis und Menschenwürde“, dass nach den Thesen der klassischen Nationalökonomie dieses absolute Niveau aller Geldpreise ausschließlich dadurch bestimmt würde, dass irgendjemand für eine wichtige Güterart selbstständig festlegt, wie viele Geldeinheiten man für ein Gut dieser Art zukünftig aufwenden müsse (also ein das Preisniveau bestimmender Leitpreis).

Gold- und Silberstandard bestimmten den Wert der Währung
In den Phasen der durch Edelmetalle (Gold oder Silber) gedeckten Umlaufwährungen entsprach dieser Leitpreis dem Preis des Währungsmetalls in nationalen Währungs-einheiten. Dies war die Zeit des Gold– oder Silberstandards, bei denen der Gesetzgeber den Leitpreis national bestimmte. So wurde beispielsweise nach der deutschen Hyperinflation festgelegt, dass aus einem Kilogramm Feingold 279 Münzen als 10-Markstücke mit einem Mischungsverhältnis von 900 Teilen Gold und 100 Teilen Kupfer zu prägen seien (eine 10-Mark-Münze also einen Metallgehalt von 1/279 kg Gold haben sollte = „Münzfuß“).

Diese im Münzgesetz des Deutschen Reiches vom 30. August 1924 festgehaltene Regelung verpflichtete die Reichsbank als zentrale Notenbank dazu, gegen eingereichte Banknoten Münzen mit dem entsprechenden Metallgehalt herauszugeben. Damals erwartete man, dass eine Veränderung dieses Leitpreises (also bspw. eine Verschlechterung des Verhält-nisses Mark je kg Gold) einen entsprechend begründeten Einfluss in etwa gleicher Höhe auch auf alle anderen Geldpreise haben würde.

Doch spätestens seit dem „Nixon-Schock“ am 15. August 1971 gibt es in der westlichen Welt keine feste Währungsverankerung dieser Art mehr. Dank des Bretton-Woods-Systems hatte sich die amerikanische Notenbank FED bis dahin dazu verpflichtet, gegen 35 (später 42) US-Dollar je Feinunze Gold Dollar-Guthaben in Gold einzulösen. Diese Zusage nahm der damalige US-Präsident Richard Nixon an jenem Tag zurück.

Seitdem sind auch die Währungen der europäischen Länder definitiv nur noch „Papierwährungen“, für Deutschland endeten jedwede Wechselkursfixierungen zu anderen Währungen spätestens am 1. März 1973, als die Bundesbank sich endgültig weigerte, US-Dollar zu vorab festgelegten Interventionskursen aufzukaufen.

Dies führte zu einer radikalen Veränderung der Währungssysteme. Nach dem Wegfall der Edelmetall-Bindung können inflationäre Steigerungen aller Preisniveaus in einer Volkswirtschaft nur noch durch andere „Haltepflöcke“ der Papierwährungen verhindert werden. Als einzig übriggebliebene Stützpfeiler verbleiben damit alle diejenigen Einzelpreise, die auch für künftige Zeiten vertraglich oder gesetzlich fixiert sind (sogenannte temporale Preisfixierungen = Preise können über mehrere Perioden nicht geändert werden).

Neben volkswirtschaftlich eher unwichtigen Preisen wie den Auszeichnungen in Versandhauskatalogen oder öffentlich-rechtlichen Gebühren gehören dazu in erster Linie die durch Tarifverträge auf den Arbeitsmärkten fixierten Lohnsätze als die mit Abstand wichtigste Komponente. Gerade den Löhnen/Lohneinkommen als entscheidendem Kostenanteil der Preise sowie größtem Bestandteil des Volkseinkommens (70 %) kommt wegen der Loslösung aller anderen Verankerungen die Funktion der „Leitpreise“ zu.

Stützel schrieb dazu eindeutig weiter:

Das weist allen für die Bestimmung solcher Preise zuständigen Stellen dieselbe Funktion zu, wie sie früher dem Münzgesetzgeber zugewiesen war:
Sie entscheiden über den inneren Wert einer Währungseinheit.

Selbst Notenbanken vermögen mit all ihrer Zins- und Geldmengen-Politik die allenthalben in der Welt in Gang gekommenen Inflationsprozesse nur insoweit zu bremsen, soweit ihre Bremssignale von all denen, die über die eigentlichen Leitpreise (oder „transtemporalen Preisfixierungen“) bestimmen, voran die Tarifpartner, tatsächlich respektiert werden.

Stützel, Marktpreis und Menschenwürde (1982), S. 83

Tarifpartner als funktionelle Nachfolger des Münzgesetzgebers
Mit dem Wegfall der Währungsbindungen an Edelmetalle und dem damit verbundenen Übergang zu einem System flexibler Papiergeldwährungen ging eine weitere, ökonomisch sehr wichtige Aufgabe an die Gewerkschaften über.

Sie übernahmen eine gravierende Zwischenfunktion in einem „Preisniveau-Steuerungsmechanismus“, dessen Bedeutung eigentlich bis heute nicht hoch genug angesiedelt werden kann und doch fast völlig vergessen ist.

Ohne die planmäßig vorgesehene Ausführung dieser Funktion wird es allen staatlichen Institutionen (bspw. der Zentralbank oder dem Finanzministerium) unmöglich gemacht, ihren verfassungsrechtlichen Auftrag der Sicherung der Preisniveaustabilität überhaupt zu erfüllen.

Wolfgang Stützel erweiterte diese Rolle der Gewerkschaften noch:

In verhältnismäßig kleinen Ländern mit sehr starker Außenhandelsverflechtung haben Leitpreis—Funktion (da sie
„exogen determiniert“ sind) außer den heimischen Nominallöhnen
vor allem die über den Wechselkurs auf Inlandswährung umgerechneten Auslandspreise der Ein- und Ausfuhrgüter.

Prompt geraten die für die Tariflöhne verantwortlichen Personen einschließlich der Gewerkschaften in die Rolle der Instanzen, die in unserer Marktwirtschaft über die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes mitentscheiden.

Stützel, Marktpreis und Menschenwürde (1982), S. 84

Schon vor über 30 Jahren wies Stützel darauf hin, dass unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es längst nicht mehr die Preise der Edelmetalle sondern ganz andere Preise seien, die in einem Papierwährungssystem die Funktion der „preisniveaubestimmenden Leitpreise“ übernommen hätten und kein Goldstandard sondern ein Wage(=Lohn)-standard den inneren Wert einer Währungseinheit bestimmten, womit den Gewerkschaften und somit den Tarifpartnern seitdem auch eine gewichtige Mitverantwortung für Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung übertragen worden ist.

Aus heutiger Sicht kann man auf diesen Zusammenhang, der heute nahezu vergessen ist und nur noch von Außenseitern der Wirtschaftswissenschaften wie Heiner Flassbeck und Co. vertreten wird, nicht oft genug hinweisen.

Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Lohnstückkosten
Wenn man aber nun in der volkswirtschaftlichen Betrachtung letzten Endes der Ansicht Wolfgang Stützels folgt und die Löhne aufgrund obiger Analyse als den zentralen Faktor anerkennt, der neben der Fixierung der „Leitpreise“ auch über die Produktionskosten bestimmt, dann ergibt sich bei einem starken Wettbewerb zwischen den Unternehmen die Entwicklung der Angebotspreise aus dem Zusammenspiel von Lohnentwicklung und Produktivitätsentwicklung, also aus dem Zuwachs der Lohnstückkosten.

Damit steht aber auch fest: Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten sind der Motor der gesamtwirtschaftlichen Inflationsrate, diesen Zusammenhang hatte ich schon in einem früheren Beitrag versucht zu erklären.

Da aber dann wie oben erläutert die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte, die die Unternehmen eines Landes an den internationalen Märkten anbieten, von deren Preis abhängt, ist die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung (und damit auch die Rolle der Gewerkschaften) natürlich von zentraler Bedeutung für die Frage, wie ein Land beim Außenhandel abschneidet, ob es mehr exportiert als importiert (d.h. ob es einen positiven oder negativen Saldo hat) und wie sich der Saldo seiner Handelsbilanz verändert.

Findet ein großer Teil des internationalen Handels auch noch mit Ländern statt, die dieselbe Währung haben, fallen Wechselkursänderungen zur Erklärung von Veränderungen in der Wettbewerbsfähigkeit weg. Und dann sind die gesamt- wirtschaftlichen Lohnstückkosten im Vergleich zu denen der Währungspartnerländer der wichtigste verbleibende Faktor, der darüber entscheidet, ob ein Land auf Dauer Handelsüberschüsse oder -defizite erzielt.

Damit wären wir dann auch bei dem wichtigsten Grund für die Entstehung der Eurokrise, über die Auswirkungen deutscher Tarifentscheidungen und falscher Wirtschaftspolitik habe ich bereits in der Geschichte vom „kranken Mann“ Europas geschrieben.

Zusätzlich gibt es auch noch einen informativen Foliensatz von Heiner Flassbeck zu diesem Themenkomplex.