S04: die langen Schatten der Vergangenheit

So etwas nennt man wohl einen Rückfall in alte Zeiten. Mehr als zwanzig Minuten spielte die Schalker Mannschaft am Freitag Abend in Wolfsburg, als habe es keine Sommerpause, keinen Trainerwechsel und keine neuen Spieler gegeben.

Volkswagen-Arena Gästeblock

Es war wie eine Art Deja vu: immer wieder erwischte ich mich in dieser Phase, wie ich verstohlen auf der Gelsenkirchener Bank nach Ex-Trainer Roberto Di Matteo Ausschau hielt. Denn genauso wie unter dem Schweizer traten die Blauen in der Volkswagen-Arena gegen die „Wölfe“ aus der Autostadt an.

Ohne offensives Pressing, träge und viel zu weit weg von den Gegenspielern und ohne eigene Ambitionen, die Initiative zu ergreifen, ließen die Schalker diese Minute so dahinrinnen. Diese Passivität kam dagegen dem Gegner sehr gelegen. Waren die Wolfsburger ohne de Bruyne und Perisic möglicherweise verunsichert, so taten die Gelsenkirchener alles, damit das nicht zum Tragen kam.

So war dann das 1:0 der VW-Städter nur eine Frage der Zeit und das direkte Resultat aus der seltsamen Passivität der Blau-Weißen. 20(!)-mal ließen die Wolfsburger den Ball durch die eigenen Reihen tanzen, ohne dass ein Schalker auch nur in dessen Nähe kommen konnte.

Julian Draxler, offensiv mit wenigen gekonnten Aktionen, verweigerte gegen die rechte Seite der „Wölfe“ jegliche Defensivarbeit und sah zu, wie Christian Träsch und der Portugiese Vieirinha als rasender D-Zug den bemitleidenswerten, allerdings auch völlig indisponierten Sead Kolasinac in seinem ersten Saisonspiel überrannten.

Träsch konnte ungehindert wie auf dem Trainingsplatz flanken und den Ball dem Niederländer Bas Dost maßgerecht servieren, der keine Mühe mehr hatte, gegen die überraschten Joel Matip und Roman Neustädter einzunetzen. Erst dann wurden die Schalker wach und kamen besser ins Spiel, doch nutzten Sane, Huntelaar und nach der Pause Johannes Geis ihre Chancen nicht.

Schließlich machte Kolasinac die Idee seiner Aufstellung völlig zur Farce: das Foul an Luiz Gustavo im eigenen Strafraum war so etwas von unnötig, und nach dem verwandelten Strafstoß von Ricardo Rodriguez sorgte Timm Klose zwei Minuten später für die Vorentscheidung.

Diese klare Niederlage, die zwar um einige Tore zu hoch ausfiel, hat am Schalker Markt für einige Ernüchterung gesorgt. Sicherlich war man immer bemüht gewesen, darauf hinzuweisen, dass man erst am Anfang eines schwierigen und vor allem auch langfristigen Prozesses stehe. Trotzdem hatten der klare Sieg in Duisburg und der Auswärts-Erfolg bei Werder Bremen doch eine gewisse Euphorie ausgelöst (wie das Auf Schalke nun mal leider so üblich geworden ist).

Doch spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass in Gelsenkirchen Wunder (mal wieder) nicht vom Himmel fallen und Trainer und Mannschaft einfach Zeit brauchen, um eine wirklich funktionierende Einheit zu bilden und die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln.

Jeder lernt normalerweise aus seinen Fehlern und da dürften Andre Breitenreiter und der FC Schalke 04 keine Ausnahme darstellen. Das Experiment mit Sead Kolasinac als Linksverteidiger und Dennis Aogo im defensiven Mittelfeld kann wohl erst einmal als gescheitert angesehen werden. Warum Breitenreiter nicht mit Aogo auf Links und Goretzka oder Höger auf der „Sechs“ weitermachen wollte, ist nur schwer nachzuvollziehen.

So aber machte Breitenreiter in Wolfsburg die linke Seite unnötig auf und ermöglichte es so dem Tandem Träsch/Vieirinha, die spielentscheidenden Akzente zu setzen. Unverständlich auch, warum der Trainer „Kola“ nach dem Elfmeter nicht herausnahm und seinen Fehler korrigierte. Ebenso wenig schlüssig war für mich die Auswechselung von Leroy Sane, der zwar (wie so viele andere übrigens auch) in der Defensive mit einigen unnötigen Ballverlusten „glänzte“, aber nach vorn noch die meisten Ideen entwickeln konnte.

Als einzige Erklärung fällt mir eigentlich nur ein, dass Breitenreiter noch im „Probiermodus“ agiert, jeden Spieler einmal unter Wettbewerbsbedingungen beobachten will, um dann „seine“ Mannschaft finden zu können. Das kann möglicherweise wichtiger sein als die Punkte aus Wolfsburg, immerhin als souveräner Tabellenzweiter der letzten Saison nun mal definitiv keine Laufkundschaft, sondern auch ohne „Zwei“ eine gefestigte Bundesliga-Spitzenmannschaft.

Erschwert wird dieses „Try-and-error“ allerdings noch gewaltig durch die überlange Transferperiode, die erst am 31. August ihr Ende fand. Julian Draxler wechselte doch noch zum VfL Wolfsburg, eine Personalie, die nach dem Spiel am Freitag schon noch einen gewissen Beigeschmack hat.

Das macht es für den Trainer natürlich nicht leichter, zumal auch kein Ersatz für Draxler verpflichtet wurde. Angesichts der Mondsumme von 30 Mill. Euro, die für den Stuttgarter Serben Filip Kostic aufgerufen wurde, eine nachvollziehbare Entscheidung von Manager Horst Heldt. So muss es das vorhandene Personal stemmen, zumal durch die Verpflichtung von Pierre-Emile Hojbjerg (Ausleihe von Bayern München) möglicherweise Leon Goretzka für die rechte Außenbahn frei wird. Eine Aufgabe, die er in der „besten Rückrunde aller Zeiten“ vor anderthalb Jahren schon einmal sehr gut lösen konnte.

Apropos Draxler: die Zeit wird wohl zeigen müssen, wer am Ende bei diesem Transfer die richtige Wahl getroffen hat. Der FC Schalke 04, der mit ca. 40 Mill. Euro (einschl. möglicher Bonuszahlungen) den teuersten Verkauf seiner Vereinsgeschichte über die Bühne gebracht hat, der VfL Wolfsburg, der immerhin einen aktuellen Nationalspieler und Weltmeister verpflichtet hat, welcher allerdings vor allem eine Option auf die Zukunft darstellt, und/oder Julian Draxler, der mit den VW-Städtern vielleicht einem Titel näherkommen kann als in Gelsenkirchen.