Der Lautenbach-Plan 1931 – Teil 3: Produktive Kreditschöpfung als Notmaßnahme gegen die Depression

Auf dem Gipfel der Weltwirtschaftskrise fand am 16./17. September 1931 eine Geheimkonferenz der Friedrich List-Gesellschaft in Berlin statt, bei der über die Machbarkeit und eventuelle Durchführung des sogenannten „Lautenbach-Plans“ (Möglichkeiten einer aktiven Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung) diskutiert wurde.

Bundesarchiv Bild 183-R96268, Berlin, Fröbelstraße, Speisesaal im Obdachlosenasyl 1932

Mit diesem Beitrag will ich mich nun etwas näher mit der Arbeit von Wilhelm Lautenbach beschäftigen, da sie auch im Lichte der heutigen Wirtschaftspolitik, gerade in Bezug auf die sogenannte „Spar“(-absichts)-Politik gegenüber den EU-Krisenländern, noch immer eminent wichtige Erkenntnisse liefern kann.

Defizitpolitik? Reichsbankzusage als Katalysator? Der Verzweiflungsweg – ohne Auslandskapital!
Unter dieser Überschrift analysierte Lautenbach, dass die deutsche Wirtschaftspolitik nach der Bankenkrise vor allem zwei besonders wichtige Herausforderungen zu bewältigen habe: die Stabilität der Währung sicherzustellen sowie die Verhinderung weiter steigender Erwerbslosigkeit.

Scharfsinnig erkannte er, dass diese beiden Aufgaben eigentlich unvereinbar wären, da unter Berücksichtigung von Währungsstabilität und Zahlungsbilanzausgleich eine eher zurückhaltende und vorsichtige Kredit- und Geldpolitik notwendig sei, die aber gleichzeitig zu einer weiteren Verringerung der Produktion und damit zu Deflation führen würde.

So sei es denn notwendig, wenn man beide Ziele erreichen wolle, einen Mittelkurs zwischen diesen beiden Forderungen einzuschlagen. Aufgabe der Politikberatung wäre es daher, auf die möglichen Gefahren einer zu einseitigen Politik hinzuweisen und den Handlungsspielraum zu definieren, der den maßgeblichen Akteuren unter den Bedingungen der Krise überhaupt noch zur Verfügung stehe.

Daher erklärte Lautenbach zuerst die Vorteile und Risiken einer deflationistischen Kreditpolitik:
Zwar sei es einerseits richtig, dass eine Verknappung der Kredite zu Preissenkungen führe, in deren Folge mehr exportiert als importiert, also ein Überschuss in der Handelsbilanz erzielt werde.
Andererseits aber ständen dieser Politik entscheidende Nachteile gegenüber: durch die Kreditlimitierung wären die Unternehmer gezwungen, ihre Lagerbestände zu reduzieren, was in der Regel zu einer Drosselung der Produktion führen würde. Gesamtwirtschaftlich wären wachsende Arbeitslosigkeit und eine allgemein schwächere Wirtschaftstätigkeit die logische Folge.

Weiter schrieb er:

Was unter dem Druck einer starken Preissenkung verschleudert wird, das wird – soweit es sich um Fertigfabrikate handelt – zu einem großen Teil einfach im Inlande unter vorübergehender Steigerung der Kaufkraft des Nominaleinkommens mehr verzehrt.
Es wird also ungenutztes Kapital in Konsum verwandelt, während eine rationelle Politik nur darauf abgestellt sein müßte, ungenutztes volkswirtschaftliches Kapital zu nutzen.

Wilhelm Lautenbach: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung, 9. September 1931, S. 2

Zudem gebe es noch zwei weitere wichtige Problemfelder zu beachten, die aus der besonderen Position des Deutschen Reiches in der Weltwirtschaft der damaligen Zeit resultierten:

Die Reparationspolitik:
Die positive Wirkung einer Deflation auf den Außenhandel in Form einer aktiven Leistungsbilanz könne die Gläubigerländer zu der Überzeugung kommen lassen, dies wäre die normale Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und stelle somit das Maß für zukünftige Reparationszahlungen dar.

Die Handelspolitik:
Durch die verstärkte Anregung der Exporte und die Beschränkung der Importe sei es wahrscheinlich, dass es zu protektionistischen Abwehrmaßnahmen z. B. in Form von Zollbestimmungen oder Quotenregelungen der betroffenen Länder kommen könne.

Lautenbach skizzierte zwei mögliche Wege, wie man mit einer Anpassung der Ansprüche auf besondere Belastungen aufgrund außergewöhnlicher Probleme wie der Wirtschafts- und Finanzkrise reagieren könne. Es gebe nur die beiden Möglichkeiten, entweder sich in seinen Ansprüchen stärker einzuschränken, oder aber mit einer Steigerung des Gesamtertrages ohne größere Einschränkungen auf die Krise zu antworten.

Es wundert nicht, dass er die zweite Lösung favorisierte: es sei schon immer die besondere Eigenschaft der kapitalistischen Wirtschaft gewesen, auf elementare Herausforderungen mit einer Steigerung der Leistungsfähigkeit zu reagieren.

Im Gegensatz zu früheren Krisen, bei denen es vor allem darum ging, konkrete Produktionsaufgaben zu erfüllen, sei dieser Notstand durch die Tatsache geprägt, dass man zu seiner Lösung zwar mehr erwirtschaften müsse, aber dabei nicht wisse, woraus der Mehrbedarf faktisch bestehen müsse.
So reiche es denn auch nicht aus, bei den Unternehmen nur die Produktionskosten zu senken, um sie zu einer größeren Produktion zu ermutigen. Um die Ertragschancen überhaupt zu erhöhen, wären zusätzlich weitere positive Maßnahmen erforderlich.

Nach Lautenbach sind die dabei wichtigsten volkswirtschaftlichen Kostenelemente der Unternehmen der Zins, die öffentlichen Abgaben und Steuern sowie die Löhne und Gehälter. Daher müsse man gerade diese Kosten genauer betrachten und entscheiden, wo und wie man bei diesen noch sparen könne.

Eine weitere Senkung des Diskontzinssatzes der Reichsbank käme nicht in Frage, da dadurch die Gefahr von Gold- und Devisenabflüssen stark zunehmen und ebenso der Abzug weiterer Auslandskredite möglich würde.

In der Steuerfrage gäbe es ebenfalls wenige Bewegungsmöglichkeiten, da jede Verringerung direkter Steuern durch die Ausnutzung bisher noch ungenutzter Einsparmöglichkeiten oder aber höherer Verbrauchs- bzw. indirekter Steuern ausgeglichen werden müsse. Da in der Krise eine solche Steuerpolitik innenpolitisch nicht vermittelbar und auch eine erhöhte Kreditaufnahme gegenüber dem Ausland praktisch unmöglich sei, gäbe es hinsichtlich der Abgabenreduzierung keinerlei Handlungsmöglichkeiten.

Einzige Alternative: Lohn- und Gehaltssenkung…
Demnach bliebe lediglich eine Alternative zur Kostensenkung bei den Betrieben übrig, nämlich die Verringerung der Verdienste und Einkommen. Damit würde sich die Konkurrenzsituation zum Ausland erheblich verbessern (heute würde man von der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft reden).
Doch dürfe man dabei nicht vergessen, dass diese Steigerung nur den exportierenden Gewerben erheblich zugute kommen würde, während diejenigen Unternehmen, die hauptsächlich für den Binnenmarkt produzierten, in erster Linie durch die allgemeine Lohnsenkung plötzlich und unvermittelt mit einer zurückgehenden Nachfrage konfrontiert wären.

…aber nur bei gleichzeitiger Arbeitsbeschaffung
Aus diesem Grund sei es absolut notwendig, eine sogenannte „Dumping“-Politik mittels Lohnsenkungen niemals isoliert zu betreiben, sondern immer zwingend mit einer gleichzeitigen Schaffung einer großen Anzahl von Arbeitsplätzen zu verbinden.

Denn nur dann könne die Verringerung der Gehälter einen tatsächlichen Nutzen in Form einer volks-wirtschaftlichen „Ersparnis“ haben, die man für bestimmte Investitionen wie z. B. Arbeitsbeschaffungs- maßnahmen nutzen könnte. Die dadurch erzielten Produktionsüberschüsse sowie die durch die Krise brachliegenden Produktionsanlagen und Arbeitskräfte könnten dann zur Deckung eines ökonomischen Bedarfs Verwendung finden, wie ihn öffentliche Aufgaben wie der Straßenbau, der Wohnungsbau oder auch die Erweiterung der Eisenbahn darstellen. Heute wie damals werden solche Maßnahmen hauptsächlich als „Konjunkturprogramme“ bezeichnet.

Weiter geht es im nächsten Teil mit möglichen Bedenken gegen den Lautenbach-Plan sowie den notwendigen Vorausetzungen zu seiner Finanzierung und erfolgreichen Durchführung. Ein von Lautenbach selbst entworfenes Beispiel eines Bau- und Beschaffungsprogramms für die damalige Reichsbahn soll dann in Teil 5 zudem die Wirkungsweise solcher Maßnahmen noch näher erläutern.