Der Lautenbach-Plan 1931 – Teil 4: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung

Schon bei der Vorlage seines Plans zur Bekämpfung der Auswirkungen der Weltwirtsschaftskrise im Deutschen Reich im September 1931 ahnte Wilhelm Lautenbach bereits, dass er es gegen die üblichen Bedenkenträger nicht leicht haben würde.

Preisbereinigtes Bruttosozialprodukt im Deutschen Reich um die Weltwirtschaftkrise

So ergänzte er seinen Vorschlag zur Konjunturankurbelung mittels Arbeitsbeschaffung, Investitionen und Ausweitung der Kredite mit einem Kapitel über mögliche Einwände gegen seine Ideen.

Damit wappnete er sich vor allem gegen zwei Einwände, die seiner Ansicht nach hauptsächlich gegen sein Konzept vorgebracht werden würden:

1. Wäre eine solche Politik nicht ein Rückfall zu den falschen Entscheidungen der Vergangenheit, mit denen ja offensichtlich die grassierende Krise mitverursacht wurde? Schließlich war es doch der übermäßige öffentliche Aktivismus, der mit unnötigen und zu hohen Ausgaben die schwierige Situation der öffentlichen Finanzen mit geschaffen und damit auch zur Abhängigkeit des Reichs von ausländischem Kapital geführt hatte?

2. Und schließlich stelle sich die Frage, wie solche Vorhaben finanziert werden könnten, da ja über einen längeren Zeitraum Kapital weder im In- noch im Ausland zur Disposition ständen.

Nach Lautenbach ließ sich der erste Einwand recht einfach widerlegen: Für ihn bestand der Hauptfehler der staatlichen Wirtschaft in der Vergangenheit hauptsächlich darin, dass man zuviel und dies auch noch zum falschen Zeitpunkt getan habe. Ökonomisch sei es vor allem vernünftig, öffentliche Ausgaben in Zeiten aufstrebender Konjunktur zurückzufahren und eben in Phasen nachgebender Konjunktur verstärkt zu forcieren.

Eine übertriebene öffentliche Investition in „guten“ Zeiten sei ein Fehler, den man aber nicht damit wiedergutmachen könne und dürfe, indem man sich in der Krise weiterhin zurückhalte und notwendige staatliche Arbeitsbeschaffung unterlasse.

Weiter schrieb er:


Der zweite Einwand, daß langfristiges Kapital für uns weder im Inland noch im Ausland jetzt zu beschaffen ist, ist richtig.

Die Konsequenz aus dieser Feststellung ist aber nicht, daß man demzufolge Arbeiten der vorgeschlagenen Art nicht ausführen könne, sondern, daß man sie zunächst kurzfristig finanzieren muß.

Ist das kreditpolitisch möglich und zulässig?

Wilhelm Lautenbach: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung, 9. September 1931, S. 5

Bedingungen für die formale und materielle Liquidität der Kreditwirtschaft

Die Aussicht auf eine mögliche kurzfristige Finanzierung sei von der Liquidität der deutschen Kreditwirtschaft abhängig, also von der Fähigkeit der Banken, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen bzw. gesamtwirtschaftlich gesehen von ihrer optimalen Versorgung mit Zahlungsmitteln.
Diese hänge formal natürlich von dem entsprechenden Rückhalt durch die Reichsbank als deutsche Notenbank ab, die mit ihrer Geldpolitik die Liquidität einer Volkswirtschaft den Erfordernissen der Konjunktur anpassen müsse.

Dieser Rückgriff auf das Potential der Reichsbank sei abhängig von der Ausweitung der Bargeldnachfrage, die mit der Krediterweiterung und der Produktionsausweitung erfolgen werde sowie einer möglichen Steigerung des Devisenbedarfs.

Die Steigerung des Bargeldbedarfes durch öffentliche Arbeitsbeschaffung werde hauptsächlich durch die zusätzliche wöchentliche Lohnsumme und die Dauer ihrer Zirkulation innerhalb der Volkswirtschaft festgelegt. Aufgrund der Eigenheiten des Wirtschaftskreislaufs mit der ständigen wiederholten Abfolge von Lohnauszahlungen und Konsum-/Investitionsausgaben würde der Bargeldumlauf im Aufschwung weit hinter der Steigerung der Produktion sowie der Ausweitung der Kredite zurückbleiben.

Somit wäre auch eine Erweiterung des Notenumlaufs der Reichsbank innerhalb obiger Vorgaben gänzlich unbedenklich. In diesem Rahmen würde dann die Reichsbank den Banken faktisch eine Rediskontgarantie geben können, so dass es keine Probleme geben würde, solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch diskontfähige Wechsel finanzieren zu lassen.

Unter den materiellen Liquiditätsbedingungen verstand Lautenbach die Vorraussetzung, dass eine Kreditexpansion innerhalb einer Volkswirtschaft von deren Kreditinstituten eigenständig, d. h. ohne eine Verschlechterung der Devisenbilanz, vorgenommen werden müsse.
Gelänge dies nicht, so würde eine Verschlechterung der Devisenbilanz anzeigen, dass eine Finanzierung solcher Projekte nur mit realem Auslandskapital möglich wäre. Darin sah Lautenbach letztlich die entscheidende Frage: Da der deutsche Auslandskredit bereits über Gebühr belastet sei, müsse bereits im Voraus geklärt werden, ob und wie bei solchen Investitions- und Kreditvorhaben inflationäre Auswirkungen verhindert werden könnten.

Koppelung von positiven und negativen Maßnahmen

So kam Lautenbach zu der Ansicht, dass sich die von ihm vorgeschlagene Politik nur dann verantworten ließe, wenn man Vorkehrungen träfe, um bestimmte nachteilige ökonomische Folgen verhindern zu können.

Demnach müßten die positiven Maßnahmen, also Arbeitsbeschaffung und Kreditausweitung, zwingend von negativen, preissenkenden Maßnahmen begleitet werden. Unmittelbar sollten die Bekämpfung möglicher Kartelle mit einer planmäßigen Senkung monopolistischer Preise folgen, längerfristig hätten vor allem Lohnreduzierungen Auswirkungen auf die Preisrelationen, da aufgrund der Konkurrenzsituationen der Unternehmer und bei entsprechender Verwendung der bisherigen Produktionsüberschüsse mit weiteren Kostensenkungen zu rechnen wäre.

So könne es möglich sein, mit der richtigen Dosis positiver und negativer Handlungen die Konjunktur auch bei noch sinkenden Preisen anzukurbeln.


Wir können und dürfen es nicht bei dem bloß passiven Verhalten der Konsumeinschränkung bewenden lassen, sondern müssen sie als Mittel zur Produktionssteigerung verwenden.

Hierbei ist entscheidend, daß Sparen und produktive Nutzung des Ersparten vollkommen Hand in Hand gehen.

Wilhelm Lautenbach: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung, 9. September 1931, S. 6

Trotz eines Außenhandelsüberschusses (damals betrug er immerhin ca. 1,5 Milliarden Reichsmark) zeigten Absatzprobleme im Inneren und ungenutzte Produktionskapazitäten einen sehr großen bis dahin nicht genutzten Produktionsspielraum an.
Für Lautenbach war es wirtschaftlich rationell und vollkommen unbedenklich, diesen Spielraum im Wege des Kredits für Arbeitsbeschaffung nutzbar zu machen und so die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage im Inland wieder herzustellen, um der Produktion eine neue und sinnvollere Ausrichtung zu geben.

Er warnte damals ganz klar davor, dass eine Unterlassung einer solchen Politik unweigerlich zu einer weiteren Verschärfung der Krise mit fortgesetzter Zerrüttung von Wirtschaft und Staatsfinanzen führen würde. Jetzt, so schrieb er, habe man noch das Heft des Handelns in der Hand und könne mit zusätzlichen Ausgaben womöglich noch das Schlimmste verhindern.

Mögliche Inflationsrisiken durch kurzfristige Verbindlichkeiten?

Zum Abschluß seiner Ausführungen versuchte Lautenbach noch die Bedenken hinsichtlich eventueller Inflationsgefahren zu zerstreuen. Hauptsächlich ging es ihm dabei um die Beantwortung zweier entscheidender Fragen:

Gebe es ein Inflationsrisiko, wenn kurzfristige Kredite nicht möglichst bald in längerfristige Schuldverhätnisse umgewandelt würden? Und bestände überhaupt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine soche Fundierung kurzfristig durchgeführt werden könne?

Zur ersten Frage nach den Inflationsrisiken definierte Lautenbach die Faktoren, die für die Wirksamkeit der Kredite maßgebend seien:
die Größe der schon vorhandenen Vorräte und der gegenwärtig ermittelbare Produktionsüberschuss, die weitere Entwicklung dieses Überschusses durch die Senkung von Löhnen und Gehältern (die dadurch entstehende zusätzliche gesamtwirtschaftliche „Ersparnis“), das Volumen und die Schnelligkeit der Kreditausweitung, das Tempo und die Dimension der Produktionssteigerung und die Umlaufgeschwindigkeit von Bargeld und Sichtguthaben.

Für die damaligen Verhältnisse hätte eine solche Maßnahme so aussehen können:
Bei einer Senkung des Lohn- und Gehaltsniveaus von beispielsweise 5 % würde in einem halben Jahr die gesamtwirtschaftliche Nachfrage um etwa ein halbe Milliarde Reichsmark eingeschränkt. Zum Ausgleich müßten dann ca. 500.000 Arbeiter bzw. Lohnempfänger mit einem Durschnittsgehalt von 2.000 RM neu eingestellt werden, nur um diese Konsumeinschränkung annähernd kompensieren zu können.

Im nächsten Beitrag soll dieser Effekt durch ein von Lautenbach selbst entworfenes Beispiel eines Bau- und Beschäftigungsprogrammes der Deutschen Reichsbahn näher erläutert werden.

Festzuhalten bleibt zum vorläufigen Abschluß, dass durch eine Nutzung der bis dahin brachliegenden Vorräte bzw. Produktionsüberschüsse vor allem die Bankschulden verringert würden, da die Unternehmen durch den zusätzlichen Konsum erhöhte Umsätze und damit auch zusätzliche Einnahmen erzielten. Somit würden für die neuen Fianzierungskredite keine höheren Verbindlichkeiten eingegangen, sondern nur Umschichtungen innerhalb der Kreditsphäre vorgenommen.

Durch die Lohnsenkungen in der übrigen Wirtschaft würden die zusätzlichen Gehaltszahlungen im Zuge der Arbeitsbeschaffung fast ausgeglichen, gleichzeitig sorge die damit verbundene Verringerung der Produktionskosten bei gleichbleibendem Absatz für einen stärkeren Gewinn bei den nicht an diesen Maßnahmen beteiligten Firmen. Der letzte Ansporn für eine Ausdehnung der Gesamtproduktion würde dann durch die Räumung der Lagerbestände der Lieferanten für die öffentlichen Arbeiten erfolgen.

Damit wäre insgesamt auch eine mögliche Inflationsgefahr durch steigende Güterpreise faktisch nicht gegeben.

Lautenbach schrieb dazu weiter:


Die Voraussetzung dafür wird aber sein, daß sie dann von ihren Banken wieder neuen Kredit bekommen.

Dann wiederholt sich […] der vorher geschilderte Prozeß: neuer Kredit, Neueinstellung von Arbeitern, vermehrte Nachfrage, […]. Damit Verschiebung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage, bisher nicht absetzbare Ware findet Absatz.

Hiermit setzt also die eigentliche, die Gesamtproduktion belebende Bewegung ein…

Wilhelm Lautenbach: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung, 9. September 1931, S. 9

Zusätzlich bestände auch noch die Möglichkeit, dass bisher im Ausland angelegtes deutsches Kapital wieder an die deutschen Wertpapiermärkte zurückfände, um an diesem Aufschwung partizipieren zu können.

Auch die Frage nach der Möglichkeit einer zügigen Umwandlung kurzfristiger in langfristige Kredite beschied Lautenbach mit einer positiven Antwort:
Es sei eine durch die Kredittheorie und langjährige Erfahrung erwiesene Norm, dass die Wertpapiermärkte auf eine Krediterweiterung sehr viel zügiger als die Warenmärkte reagierten.

So könne man denn abschließend feststellen, dass eine Kreditexpansion zusammen mit einer ausgedehnten Investitionstätigkeit zu einer Erweiterung der „flüssigen“ Mittel innerhalb der Kreditwirtschaft und damit wesentlich zu einer Konsolidierung des Bankwesens beitragen würde.

Dies wäre dann zusammen mit den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen solcher Maßnahmen eine entscheidender Beitrag zur Beendigung der Deutschen Bankenkrise und somit ein wichtiger Faktor für die Überwindung der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise gewesen.