Alternative Wirtschaftstheorie – Teil 12: Zentralbankzins und Devisenbilanz

In den bisherigen Beiträgen dieser Reihe waren wir zu dem Schluß gekommen, dass in einem modernen Bankensystem die Politik der Zentralbank den Kreditinstituten die Richtung für ihr Handeln vorgibt.

Ist die Zentralbank „mit dem Markt in Fühlung“ (so formulierte es Wilhelm Lautenbach in seinem Werk “Zins, Kredit und Produktion” (1952)), so bedeutet die Festlegung des Zinssatzes ein eindeutiges Signal, das auch dementsprechend von der Kreditwirtschaft beachtet wird.

Hauptverwaltung Frankfurt der Deutschen Bundesbank

In den Zeiten des Goldstandards hatte die Notenbank diese Nähe zum Markt in der Regel fast automatisch, die Zentralbanker konnten ruhigen Gewissens bei der Festlegung des Zinssatzes behaupten, sie würden nur dem Markt gehorchen.

Bei Gold- und Devisenabfluß erhöhten sie den Zinssatz und die Banken hatten keine andere Wahl, als sich dieser Maßnahme sofort anzupassen, weil sie unter den gegebenen Umständen selber die Notenbank stärker beanspruchen mussten.
Dies bedeutete nichts anderes, als dass sie, um die von ihren Kunden angeforderten Devisen bezahlen zu können, gezwungen waren, sich selbst bei der Zentralbank höher zu verschulden.

Diese Gold- und Devisenbewegungen waren dann, wenn es sich dabei nicht um Auslandskredite handelte, ein völlig ausreichendes Indiz dafür, dass in der Binnenwirtschaft mehr investiert als gespart wurde.
Nach der klassischen Theorie könnte man daher den Zins auch als ein „Steuerorgan“ ansehen, mit dem die Investition im Inland stets an die Menge der Ersparnisse im Inland angepasst werde.

Allerdings hatten wir in den Beiträgen Die Elemente der Kreditmechanik, Lautenbachs Kritik an der klassischen Zinstheorie und Die freie Zinsbildung diese Behauptung als eine reine Fiktion entlarvt, die allgemein keineswegs als gerechtfertigt angesehen werden kann.

Lautenbach zufolge sei die Gültigkeit dieser angeblichen theoretischen Formel denn auch höchstens unter der Voraussetzung anwendbar, dass sich eine Volkswirtschaft mit dem Weltwirtschaftssystem in einem freien Waren- und Zahlungsverkehr befinde.

Nur unter dieser Bedingung gibt es das Phänomen der Goldbewegung, des Kapitalzu- und -abflusses und dadurch die Möglichkeit, dem Begriff «verfügbares Kapital» eine faßbare reale Bedeutung beizulegen.
In einer geschlossenen Wirtschaft gäbe es dieses Phänomen der Goldbewegung nicht und so brauchte man dann ein anderes Kriterium, um festzustellen, welcher Zins richtig und rationell ist.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 72

Aber auch unter den Bedingungen einer Goldwährung war Lautenbach der Ansicht, dass sich der Zins nur unter folgenden Voraussetzungen richtig entwickeln könne:

1. freier Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland,

2. normale Wirtschaftsverhältnisse in der Weltwirtschaft,

3. eine an der wirtschaftlichen Entwicklung ausgerichtete, rationelle Währungs- und Lohnpolitik, durch die der Wechselkurs das Preis- und Kostenniveau so mit dem Ausland ausgleicht, damit auch bei Vollbeschäftigung der Ausgleich der Leistungsbilanz erreicht wird,

4. möglichst keine oder nur geringe Störungen der Wirtschaft durch übermäßige Kapitalbewegungen, die auch bei ausgeglichener Leistungsbilanz auftreten können, wenn z. B. die Kapitalanlage im Ausland einen höheren Gewinn verspricht.

Dabei wäre es auch denkbar, dass ein niedriger Zins, der aufgrund der ökonomischen Bedingungen notwendig ist, bei freiem Kapitalverkehr mit dem Ausland von der Zentralbank nicht weiter durchsetzbar wäre, wenn zu viel Kapital in andere Länder abgezogen wird.

5. eine normale Elastizität der Produktion durch ein ideales Zusammenwirken aller volkswirtschaftlichen Produktionszweige.

Allerdings müsse auch bei Anerkennung der Gold- und Devisenbewegung als bestimmenden Faktor, der unter den oben genannten Bedingungen die Liquidität des Kreditsystems und damit auch die Zins- und Kreditpolitik bestimmt, trotzdem immer auch die Devisenbilanz als Abbild der wirtschaftlichen Verhältnisse gesehen und überprüft werden.

Dies gilt natürlich in gleichem Maße auch für die Zahlungsbilanz.

Eine ausgeglichene Devisenbilanz zeigt nämlich nicht immer an, ob die Binnenwirtschaft auch tatsächlich „rund“ läuft, also nach Möglichkeit Vollbeschäftigung herrscht und Verbrauchsgüterproduktion und Investitionen richtig aufeinander abgestimmt sind.

Ebenso ist ein Defizit in der Devisenbilanz keinesfalls ein sicheres Signal dafür, dass zuviel investiert wurde.
Zwar können Übertreibungen bei der Investition ein Devisendefizit verursachen, weil sie die Preise im Inland steigen lassen und so ein ungünstiges Preisverhältnis der eigenen Wirtschaft gegenüber dem Ausland entsteht. In der Folge steigen die Importe und sinken spiegelbildlich die Ausfuhren, und auch die Leistungsbilanz wird defizitär.

Doch diese Feststellung lässt sich nicht umkehren: Eine passive Devisenbilanz muss nicht immer durch übersteigerte Investitionen verursacht worden sein. Es kann ebenso ein Bilanzdefizit auftreten, wenn zu wenig investiert wurde und dadurch hohe Arbeitslosigkeit herrscht.

Dies kann folgende Gründe haben:

1. durch rein finanzielle Dispositionen kann eine ausgeglichene Devisenbilanz verhindert werden, dies gilt beispielsweise für die Kapitalanlage im Ausland. Dies kann sowohl politische Gründe haben, wie z. B. die Vermeidung von höheren Steuern, als auch aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen passieren.

Denkbar wäre etwa die Absicht, höhere Kapitalerträge zu erzielen. Es entspricht durchaus dem Wesen der modernen Marktwirtschaft, dass das Kapital zur optimalen Vermehrung im Ausland angelegt wird, wenn Anlagen dort mehr Ertrag bringen als im Inland.
Dadurch wird dann auch klar, dass der Inlandszins vom Auslandszins abhängig ist: besteht ein Zinsgefälle, so werden entsprechende Kapitaldispositionen die Folge sein.

Ein Defizit in der Devisenbilanz würde aber dann anzeigen, dass es eigentlich keinen Kapitalexport geben könnte, da ja die materielle Voraussetzung dafür, nämlich ein Überschuss in der Leistungsbilanz, nicht vorhanden ist. Trotzdem wäre aber bei Kapitalabfluss eine Korrektur notwendig, der Inlandszins müßte also erhöht werden.

Auch Lautenbach war schon klar, welche Schwierigkeiten ein freier Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland damit für die Zinssteuerung der Notenbank bringen könnte:

Dabei ist es aber durchaus möglich, daß nunmehr das innere Wirtschaftsgleichgewicht gestört wird, die Investitionen, die bis dahin normal gewesen waren, eingeschränkt werden, die Beschäftigung infolgedessen zurückgeht.

Die Ausbalancierung auf Vollbeschäftigung ist unter diesen Umständen eine heikle Aufgabe.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 73/74

In der Regel werden dann unter dem Druck der Depression die Löhne gesenkt werden, das Preis- und Kostenniveau herabgesetzt und damit dann eigentlich erst die materiellen Voraussetzungen für den Kapitalexport, eine aktive Leistungsbilanz, geschaffen.

Dies bedeutet aber auch, dass die Nominallöhne und die Inlandspreise nicht dadurch, dass die Anleger gespart haben, gedrückt werden, sondern weil sie ihr bewegliches Geldvermögen im Ausland angelegt haben, ebenso sinken auch die Reallöhne, trotzdem das Preisniveau gleichzeitig reduziert wurde.

Denn in jedem Fall werden bei einer Senkung der Preise die Vermögenseinkommen auf Kosten des Arbeitseinkommens ansteigen, und zwar schon bei gleichbleibendem Nominalzins, um so mehr natürlich bei einer Erhöhung des Zinses.

Diese erzwungene Ersparnis verspricht dabei nicht einmal die Entschädigung, welche die Masse der Lohnempfänger von einer übersteigerten inländischen Investition erwarten darf: diese wird ja in der Regel die Produktivität der Volkswirtschaft auf die Dauer verbessern.

So ist der Vorteil ausländischer Kapitalanlagen Einzelner auf die Dauer für die Gemeinschaft problematisch.

Nur eine völlig übersättigte Volkswirtschaft, die keine eigenen Investitionsmöglichkeiten mehr hat, wird sich demnach einen Zins leisten können, der niedriger als der konkurrierender Länder ist.

Alle anderen Staaten, für die dies nicht gilt, werden dagegen ein mehr oder minder starkes Interesse daran haben, ausländisches Kapital zur Verbesserung der eigenen Wirtschaftsleistung heranzuziehen. Dafür muss dann der Inlandszins höher sein als der Auslandszins, damit das Auslandskapital überhaupt mit der Aussicht auf einen erhebliche Risikoprämie angezogen werden kann.

Um die Auswirkungen zu hoher Preise und Löhne auf die Leistungs- und Devisenbilanz und die Einschränkungen dieser volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen auf die Zinssteuerung der Zentralbanken geht es im nächsten Beitrag dieser Reihe.