Alternative Wirtschaftstheorie – Teil 7: Die Elemente der Kreditmechanik

Nachdem wir uns in den ersten Teilen dieser Reihe (Teil 1 bis Teil 6) damit beschäftigt haben, welches Investitionsvolumen beschäftigungspolitisch in einer geschlossenen Volkswirtschaft wünschenswert wäre, soll es nun um die Faktoren gehen, die den Kreditbedarf zur Finanzierung eben dieses Volumens beeinflussen.

Geldschöpfung

Volkswirtschaftlicher Kreditbedarf / Finanzierungsbedarf der Unternehmen
Grafik: Wolfgang WALDNER & C.G.BRANDSTETTER

In seinem Werk „Zins, Kredit und Produktion“ (1952) zeigte sich Wilhelm Lautenbach überzeugt davon, dass eine solche Feststellung der Bestimmungsgründe des Kreditbedarfs nur durch die theoretische Konstruktion möglich sei.

Denn selbst wenn man zu einem gegebenen Zeitpunkt im Wege der Bilanzstatistik von sämtlichen Unternehmen eine genaue Statusanalyse über die Vorräte an Betriebsstoffen, liquiden Mitteln sowie ihren Produktionsplanungen und Investitionsabsichten habe, wüßte man doch nicht, wie hoch denn eigentlich ihr Kreditbedarf sei.

Ebenso war Lautenbach der Ansicht, dass ein Vergleich mit ähnlichen Erfahrungen und Beobachtungen der Vergangenheit nicht weiterhelfen könne. Ohne eine genaue Kenntnis der dahinterstehenden „Kreditmechanik“ sei man außerstande, die Auswirkungen der statistisch ermittelten Tatsachen auf den Kreditbedarf einschätzen zu können.

Diese Überlegung zeigt, daß die theoretische Konstruktion nicht, wie es den Außenstehenden etwa scheinen mag, ein fragwürdiges Beginnen ist, sondern daß sie allein den Zugang zur Lösung eröffnen kann.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 43

Erst durch die theoretische Konstruktion sei es möglich, die ökonomische Funktion des Kredites, sein Volumen und seine Liquidität klar und allgemein verständlich darlegen zu können, da das Wesen der Theorie vor allem in der Verallgemeinerung und Vereinfachung komplexer Zusammenhänge bestehe.

Um das Problem des Kreditbedarfs mittels theoretischer Analyse zu lösen, vereinfachte Lautenbach die Fragestellung auf die elementarsten Faktoren:

Die Elemente der Kreditwirtschaft
Daher ging er davon aus, dass es zunächst einfacher sei, anstelle des Kreditbedarfes den Finanzbedarf an sich zu ermitteln. In seinem Modell war es daher Grundvoraussetzung, dass kein Unternehmer über liquide Mittel verfügte. Der Kreditbedarf ist aber der Finanzbedarf minus eigene Mittel.

So nahm er an, dass nach einer Währungsreform keine Liquidität mehr vorhanden sei, weil Geld, Bankguthaben und sonstige Geldforderungen nicht mehr vorhanden seien.
Der Kreditbedarf wäre demnach gleich dem Finanzbedarf.

Um das Modell noch weiter zu vereinfachen, ließ Lautenbach nur ein einziges Finanzierungsinstrument, nämlich den Bankenkredit, zu und vereinigte die Konten aller Banken in einer einzigen Bank, einer Generaldepositenbank.
Mit einem solchen Modell hatte bereits 1920 der Bankier und Ökonom Albert Hahn in seinem Buch „Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits“ (Tübingen 1920, 3. Aufl. Tübingen 1930) gearbeitet.

Grundlage der Überlegungen in diesem Modell sind die sogenannten Bankdebitoren, d. h. Unternehmen, die sich verschulden müssen, um ihre Produktions- und Investitionspläne durchzuführen. Dabei geht es vor allem um Dispositionen, durch die über einen längeren Zeitraum Mittel gebunden werden, wie die Errichtung und Erweiterung von Produktionsanlagen oder die Bereitstellung von Warenbeständen als Vorprodukte.

Dabei stehe zu erwarten, dass der Finanzbedarf für solche Dispositionen sehr eng mit den Investitionen zusammenhänge bzw. deren Umfang maßgeblich für den Kreditbedarf sei.
Doch Lautenbach macht deutlich, dass man zwar bisweilen die Banken als „unerschöpfliche Kreditquellen“ ansehe, doch es letztlich auch die Kreditoren sind, die über das Volumen der Bankkredite mitbestimmen.

Gesamtwirtschaftlich werde das Bankkreditvolumen begrenzt durch die Summe der Bankkreditoren. Logischerweise könnten die Banken nicht mehr ausleihen, als sie Einlagen erhielten. Doch dieser Satz beziehe sich nur auf die Identität der Größen.
Er sage aber nichts aus über einen Vorrang einer der Seiten der Bankbilanz.

Erst eine Betrachtung der Kreditmechanik in Form einer Untersuchung des Kreditprozesses bestätigt die Gültigkeit dieser Aussage für den gesamten volkswirtschaftlichen Kreditbedarf.

Die Kreditmechanik
Dem bisherigen Modellaufbau entsprechend gibt es in einer geschlossenen Ökonomie keinerlei Geld, kein Bargeld, kein Buchgeld, und wie bei einer Währungsreform sind eventuell vorhandene Banknoten nicht mehr gültig. Auch die Generaldepositenbank startet ihre Tätigkeit mit leeren Konten. Trotzdem kann sie Zahlungen per Gutschriften leisten, für die sie als einzige Vorraussetzung eine Lastschrift benötigt. Da es aber keine Guthaben gibt, aus denen jemand zahlen könnte, ist nur derjenige liquide, dem die Bank eine Kreditlinie einräumt. Damit sind diese Kreditlinien das erste (und einzige) Finanzierungmittel, welches zur Verfügung steht, sie sind zugleich auch „wirksames Geld“.

Um einen Wirtschaftskreislauf überhaupt fortsetzen zu können, muss die Bank allen Unternehmern, die ihre Betriebe weiterführen wollen, in der Höhe ihrer fälligen Zahlungen an Nichtunternehmer (wie z. B. Löhne, Gehälter, Zinsen, Renten und Steuern) Kredite einräumen.

Wären diese Zahlungen alle zu einem gleichen Termin, etwa zum Monatsanfang oder -ende fällig, so müssten die Konten der Unternehmer dann erstmals mit dem Gesamtbetrag dieser Auszahlungen belastet werden, während gleichzeitig die Empfänger (Arbeiter, Angestellte, Rentenempfänger usw.) in gleicher Höhe Gutschriften erhielten. Ginge man weiter davon aus, dass auch alle von der öffentlichen Hand zu leistenden Gehälter und sonstige Zahlungen gleichzeitig fällig wären, so würden die Konten des Staates dementsprechend in deren Höhe ebenso zu belasten. Durch die fälligen Steuer- und Abgabenzahlungen würden aber die Schulden der öffentlichen Hand getilgt werden, so dass (theoretisch) kein Sonderkreditbedarf des Staates entstehen würde.

Ebensowenig müßte man einen besonderen Kreditbedarf innerhalb der Gruppe der Unternehmen ansetzen, da man davon ausgehen könne, dass die Mehrheit der Betriebe in der Regel durch die verausgabten Zahlungen an Löhnen und Gehältern sowie für Vorprodukte aber auch durch den eigenen Konsum tief im Debit stehen würden. Daher werde auch das Bankkreditvolumen insgesamt nicht ausgeweitet, wenn ein Unternehmer an einen anderen eine Zahlung leiste, da es sich dabei nur um eine Veränderung der Schulden handele, d. h. das Plus am Debit des Einen durch ein entsprechendes Minus am Debit des Anderen kompensiert werde.

Für die weitere theoretische Erkenntnis bliebe festzuhalten, wie Lautenbach es formulierte:

Solange die Unternehmer allesamt oder in der Mehrzahl Debitoren sind, würden Umsätze in der Unternehmersphäre nur sich kompensierende Veränderungen debitorischer Konten bewirken, also nicht die Gesamtkreditsumme oder den Gesamtkreditbedarf per saldo erhöhen.
Gleichzeitig erhellt hieraus, daß der Gesamtkreditbedarf gerade dann minimal ist, wenn alle Unternehmer Debitoren sind…

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 48

Unter der Bedingung, das fast alle Unternehmer Debitoren, also Schuldner seien, reduziert sich ihr Gesamtkreditbedarf auf den monatlich zu leistenden Betrag, wenn alle Lohn- und Gehaltsempfänger ihre Einnahmen jeweils innerhalb einer Periode komplett wieder ausgeben. Damit ist dieser Kredit ein reiner „Zirkulationskredit“.

Wenn die Nichtunternehmer aber ihre Einkommen nicht komplett wieder ausgeben, also sparen, wächst das Kreditvolumen entsprechend. Deshalb entsteht der Kreditbedarf der Unternehmer also gerade dadurch, dass Private und/oder die öffentliche Hand weniger ausgeben.

Dieser Kreditbedarf, der über den reinen Zirkulationskredit hinausgeht, bezeichnet Lautenbach als Investitions- und Anlagekredit. Dieser sei dadurch zu erkennen, dass einige oder viele Debitorenkonten auch zum Zeitpunkt der höchsten Entlastung nicht wieder auf Null zurückgehen.

Der Bedarf an Zirkulationskredit
Im Gegensatz zum Investitionskredit läßt sich der Bedarf an Zirkulationskrediten (wohlgemerkt immer noch in einer geschlossenen bargeldlosen Wirtschaft) recht einfach vorausberechnen. Dabei bilden die Auszahlungen an Gehältern, Löhnen, Steuern, Zinsen usw. die Grundlage der Berechnung, da sie ja immer zu bestimmten Terminen fest zu leisten sind. Daher würden bei einheitlichen Zahlungsterminen und -perioden (monatliche Zahlungen vorausgesetzt) die Monatssummen auch den Kreditbedarf insgesamt bestimmen.

Etwas schwieriger geriete die Berechnung bei unterschiedlichen Zahlungsterminen, doch auch dann wäre die Feststellung des Gesamtkredits lediglich eine mathematische Aufgabe.

Der Bedarf an Anlage- und Investitionskredit
Im Gegensatz zum Zirkulationskredit läßt sich der Bedarf an Anlagekrediten nie vorausberechnen. Man kann nur die Bedingungen ermitteln und angeben, von denen die Kreditaufnahme abhängt.

In diesem Modell entsteht der Bedarf dadurch, dass auf verschiedenen Konten Depositen oder Sichteinlagen bei der Bank nicht wieder ausgegeben werden und daher dort verbleiben. Diese Einlagen können entstehen durch Sparen von Nichtunternehmen, und zwar in Form von Versorgungssparen, Ausgabezurückhaltung in der Erwartung von Preissenkungen und als Überschüsse der öffentlichen Hand.

Dazu zählen aber auch die liquiden Überschüsse der Unternehmer.
Dabei ist zu beachten, dass diese Überschüsse umso niedriger ausfallen, je gleichmäßiger die Unternehmen investieren. Es geht daher weniger um den Gesamtbetrag, den die Firmen einsetzen, sondern um die Verteilung der Investitionen auf die einzelnen Unternehmen.

Bankgläubiger werden einige Unternehmen nur dadurch, dass sie weniger investieren als sie an Überschüssen realisieren. Diese „Liquidität“ dieser Firmen reicht dann schon als Bedingung, um festzustellen, dass andere Unternehmer logischerweise illiquide sein müssen. Umgekehrt heißt das, dass die Überschüsse einiger Unternehmer nur entstehen können, weil andere über ihre Mittel hinaus investieren, also Kreditbedarf haben.

So stellte Lautenbach fest:

Würden alle Unternehmer investieren und sich dabei gewissermaßen im Gleichschritt und in einer Reihe bewegen, ohne daß einer vorprellt oder ein anderer zurückbleibt, dann wäre der Kreditbedarf für die Investition vollkommen beschränkt auf die Ersparnisse der Nichtunternehmer und er wäre, wenn diese nicht sparten, gleich null, mag noch so viel investiert werden.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 50

Daher ist es erforderlich, wenn man den gesamten Anlagekreditbedarf vorausberechnen will, festzustellen, ob und in welchem Ausmaß die Unternehmer „im Gleichschritt“ vorgehen.

Der Einfluß des Firmen- und Lieferantenkredits
Mit dem Modell der bargeldlosen Ökonomie mit nur einer Depositenbank konnte analysiert werden, dass der Zirkulationskredit nur die Summe aller an bestimmten Terminen zu entrichtenden Zahlungen an Nichtunternehmer umfasst. Ferner wurde festgestellt, dass die Zahlungen zwischen den Unternehmungen selbst keinen weiteren Kreditbedarf erzeugen, soweit es sich nur um Umsätze zwischen Schuldnern handelt. Doch auch wenn nicht alle Firmen Debitoren sind, gilt dieser Satz weitestgehend.

Daher ist zu beachten, dass unter diesen Bedingungen Unternehmen nur dann Gläubiger werden können, wenn sie mehr verdienen als sie verbrauchen, ohne diese Überschüsse in die eigenen Betriebe zu investieren. Logischerweise müssen dann aber auch andere Firmen mehr als ihren Gewinn investieren, d. h. ihre Ausgaben müssen höher sein als ihre Einnahmen.

Bankguthaben innerhalb der Gruppe der Unternehmen sind also immer die Folge von Investitionen anderer, die dem entsprechende Kredite aufgenommen haben.

Läßt man nun neben der Kreditvermittlung durch die Generaldepositenbank auch die Kreditvergabe zwischen den Unternehmern, also den Lieferantenkredit zu, so erhöht sich überraschenderweise der Bedarf an Zirkulationskredit. Dies ist dadurch bedingt, dass Unternehmen ihren Überschuß zwar anderen Firmen zur Verfügung stellen, und damit eigentlich das Bankkreditvolumen verringern würden; da es sich bei diesen Vorgängen aber um Investitionen (oder Konsumfinanzierungen) handelt, sind dies keine echten Zirkulationskredite.

Nehmen also einzelne Unternehmen eine Doppelrolle als Bankkreditoren und Warenkreditoren ein, so kann dies durchaus einerseits betriebswirtschaftlich rationell sein (es werden Kredite ausgegeben von denjenigen, die die Verhältnisse der Schuldner am besten beurteilen können), andererseits aber wird dadurch am Ende das Bankkreditvolumen trotzdem weiter ausgedehnt, da die Lieferanten diese gewährten Warenkredite wiederum bei der Bank refinanzieren müssen.

Insgesamt kann man konstatieren, dass es zweierlei Arten von Direktkrediten zwischen Unternehmern gibt: soweit es echte Zirkulationskredite sind, gehen sie einher mit kompensierenden Bankkrediten, die zusammen nur eine Doppelbuchung darstellen und daher das Kreditvolumen erhöhen.

Verbleibt aber bei einem Bankgläubiger ein Guthaben ohne Kompensation durch Warenschulden, so stellt es damit einen echten und dauerhaften Überschuss dar, der gesamtwirtschaftlich als ein Teil des volkswirtschaftlichen Sachkapitals betrachtet werden muss, wenn es sich dabei nicht um Konsumfinanzierung oder staatliche Verschuldung handelt. Diesem Überschuss steht an letzter Stelle ein Schuldner gegenüber, der keine Forderungen hat, sondern seine Betriebsmittel und Anlagen über seine eigenen Mittel hinaus erweitert hat.

Das natürliche Ende solcher liquiden Überschüsse ist entweder Verwendung zu eigener Investition in einem späteren Zeitpunkt oder Kapitalbeteiligung an anderen Unternehmungen oder allgemeiner gesagt, Anlage in Wertpapieren, die ein Bankdebitor zur Fundierung seiner kurzfristigen Bankschulden emittiert.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 54

Durch die Anlage der Überschüsse in Wertpapieren oder Beteiligungen verschwinden die Kredit- und Schuldpositionen dann irgendwann wieder aus den Bankbüchern.

Zurück bleibt damit die schlichte Erkenntnis, dass der gesamte Kreditbedarf für die Investitionen letzlich wie weiter oben bereits festgestellt vollkommen beschränkt ist auf die Ersparnisse der Nichtunternehmer, da sich Schulden und Guthaben innerhalb der Unternehmersphäre langfristig entweder kompensieren oder in reale Investitionen in Anlagekapital münden.

Weiter geht es im nächsten Teil mit einer frühen Lautenbachschen Kritik an der klassischen Zinstheorie.