Alternative Wirtschaftstheorie – Teil 8: Lautenbachs Kritik an der klassischen Zinstheorie

Mit den getätigten Schlussfolgerungen aus den ersten sieben Teilen dieser Serie stellte Wilhelm Lautenbach die klassische Zinstheorie fundamental in Frage.

Money crunch (3209512811)

Die Grundlage seiner Kritik war dabei die Klärung der Behauptung, die klassische Theorie der Bildung und Leistung des Zinses könne für die geschlossene Wirtschaft irgendwelchen Erklärungswert haben.

Nach Lautenbach erklärt die klassische Zinstheorie den Begriff Kapital als sogenannte „vorgetane“ Arbeit, damit sind im weitesten Sinne die durch Arbeit entstandenen Produktionsmittel (Gebäude, Maschinen und Anlagen) gemeint.
Das Kapitalangebot soll dabei von der Gesamtmenge der Ersparnisse bestimmt werden, die auch als ein Vorrat an Mitteln zum Lebensunterhalt (Subsistenzmittel) verstanden werden, die von den Sparern nicht unmittelbar konsumiert wurden.

Demnach sei immer ein bestimmter Fonds an Ersparnissen gegeben, der Zins soll dabei die Kapitalverwendung insgesamt auf den Betrag dieses Sparfonds begrenzen.
Logischerweise müßte dann der Theorie entsprechend das Sparen eine Funktion des Zinses sein, es also eine Abhängigkeit zwischen diesen beiden Größen geben.
Da der Zins als eine Art Lohn oder Prämie für das Sparen, d. h. für den Verzicht auf den Konsum in der Gegenwart zugunsten einer zukünftigen Verwendung gesehen wird, so wäre es anzunehmen, dass das Sparen auf den Zins reagiert. Sinkt der Zins, wird weniger gespart, steigt er, so steigt auch das Sparen.

Die Empirie und auch unsere theoretische Betrachtung (siehe Alternative Wirtschaftstheorie: der beschäftigungspolitisch optimale Zins – Teil 6) widerlegen aber eine solche systemgerechte Funktion.

Doch auch selbst, wenn man diesen direkten Zusammenhang dann gezwungenermaßen negiert und von einem vom Zins unabhängigen Sparfonds ausgeht, dessen Verwendung als Kapitalinvestition durch den Zins auf die absolute Höhe dieser Ersparnisse begrenzt werde, ist diese Erklärung unzutreffend.

Lautenbach erläuterte dies so:

Diese Erklärung des Zinses ist jedoch eine Fiktion. Sie erklärt nicht, wie der Zins zustande kommt, wie er wirkt und was er leistet, sondern sie gibt an, was er leisten sollte oder müßte.
Sie beschreibt nicht die tatsächliche Wirkungsweise des Zinses und gibt auch keine Anweisung dafür, wie denn nun praktisch etwa der Zins von den Banken festgesetzt werden soll.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 55

Schon die Prämisse dieser Theorie, die Idee eines Sparfonds, der jederzeit wie ein Warenvorrat greifbar und genau bestimmbar wäre, ist letztlich nicht haltbar.
Die Menge des verfügbaren Kapitals ist nur eine ideelle Größe, die genau in dem Moment, in dem über die Höhe und die Bedingungen der Investitionen entschieden wird, überhaupt nicht bekannt und auch nicht bestimmbar ist.

In unserer Darstellung der Kreditmechanik haben wir gesehen, dass das Kreditvolumen zwar automatisch wächst, je mehr die Nichtunternehmer sparen, es sich dabei eben aber gerade nicht um eine Funktion der Investition oder der gesamten Ersparnis handelt.

Neben der theoretischen Feststellung hatte bereits 1936 der amerikanische Ökonom James W. Angell in seiner Studie The Behavior of Money auch empirisch belegt, dass es zwischen Bankdepositen und den realen investiven Vorgängen in der Güterwirtschaft so gut wie keine Wechselbeziehungen gebe.

Im Gegensatz zur klassischen Theorie aber könne man feststellen:

Der Grundfehler in Vorschlägen und Leitsätzen [dieser Art] liegt in der Idee des festgegebenen Sparfonds, der Vorstellung, es müsse erst gespart werden, damit investiert werden könne. In Wahrheit aber ist Ersparnis (Nettoersparnis) und Neuinvestition gesamtwirtschaftlich von Haus aus identisch.

Investition ist der Produktionsbegriff, Ersparnis der Verteilungsbegriff, der sich auf das gleiche Phänomen bezieht, eben das, was wir Kapitalbildung nennen und worunter wir den realen Vermögenszuwachs, die reale Ersparnis, in Gestalt des bilanzmäßigen Zugangs an Anlagen und Vorräten verstehen.

Weil Investition und Ersparnis in der geschlossenen Wirtschaft dasselbe sind und nur zwei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache, kann man dem Zins theoretisch nicht die Funktion zuweisen, daß er die Investition oder die Kapitalverwendung den Ersparnissen anpasse.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 58

Natürlich begrenzt oder bestimmt der Zinssatz die Verwendung des Kapitals oder die Kreditaufnahme, er kommt dabei allerdings in ganz anderer Form zustande, als es die klassische (und auch neoklassische) Sicht darlegen will.

In der realen Welt geschieht die Kapitalbildung durch die entsprechenden Disponierungen der Unternehmer. Diese lassen mit den vorhandenen Produktionsfaktoren (eben dem bereits vorhandenen Kapital in Form von Maschinen und anderen Anlagen sowie der Arbeit) neue Produktionsanlagen herstellen.
Dabei handelt es sich um Maschinen, Gebäude oder auch Verkehrsmittel, aber auch um fertige Güter, die für den Konsum bestimmt sind und noch nicht an die Konsumenten weitergegeben , sondern stattdessen auf Lager genommen sind.

Um diese Dispositionen durchführen zu können, benötigen die Unternehmer entsprechende finanzielle Mittel. Mit diesem Geld müssen sie die Arbeiter und sonstige Leistungen, wie die Lieferungen der Vorproduzenten bezahlen.
Wenn sie dieses Geld nicht als Bankguthaben besitzen, kann es ihnen als Bankkredit im Rahmen bestimmter Grenzen zur Verfügung gestellt werden.

Im nächsten Beitrag wird es um die Einhaltung dieser Grenzen gehen. Es stellt sich die Frage, wonach sich die Banken bei ihrer Kreditpolitik richten, und ob diese Kreditpolitik immer automatisch richtig und korrekt funktioniert.