Unterschiedliche Entwicklung von Produktivität und Einkommen in den USA und bei uns

Der Blog ACEMAXX-ANALYTICS verwies vor einigen Tagen auf eine bemerkenswerte Grafik der beiden amerikanischen Ökonomen Atif Mian und Amir Sufi:

US productivity and real wages DE

Die beiden Autoren richten ihr Augenmerk damit auf die Entwicklung der Stundenproduktivität und des Medianeinkommens in den USA.

Dabei fällt eine frappierende Änderung ab 1980 besonders auf. Während sich die Produktivität unverändert weiter erhöhte und sich seit 1945 vervierfachte, blieben die Mittleren Familieneinkommen zurück und bewegen sich heute immer noch auf dem Stand der 90er Jahre. Dieses Auseinanderklaffen hat nun einen historisch zu nennenden Höchststand in den USA erreicht.

Die beiden Ökonomen analysieren zwei wichtige Auswirkungen dieser Entwicklung:
Erstens, die Kapitalbesitzer erhalten einen immer größeren Anteil des BIPs als je zuvor. Anders gesagt, der Anteil der Gewinne ist seitdem wesentlich schneller als die Löhne gestiegen.

Zweitens bekommen die bestbezahlten Arbeitnehmer einen reichlicheren Anteil der Gehälter, die insgesamt auf dem Arbeitsmarkt erwirtschaftet werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass für die Niedriglohnempfänger immer weniger übrig bleibt. Insgesamt heißt das, dass die Familien am oberen Ende der Einkommensverteilung erheblich mehr von den durch die Wirtschaft seit den 1980er Jahren produzierten Einkommen haben.

Nach Ansicht von Mian und Sufi hat diese Entwicklung zudem eine einschneidende Bedeutung für die makroökonomische Stabilität im Allgemeinen und auch für das vermehrte Auftreten von Finanzkrisen.

Schön und gut, doch was können wir aus deutscher Sicht mit den Erkenntnissen aus den USA anfangen? Gibt es bei uns eine ähnliche Tendenz?

Ja, die gibt es: Betrachten wir die Entwicklung des Bruttosozialproduktes (welches ja stark von der Produktivität beeinflusst wird) und der Brutto- und Nettolöhne in der Bundesrepublik in den letzten 20 Jahren, so fällt eine gewisse Ähnlichkeit sofort ins Auge:

Entwickung von Sozialprodukt und Gehältern in Deutschland
mit freundlicher Genehmigung von www.sozialpolitik-aktuell.de

Mit einer Verzögerung von gut einem Jahrzehnt ist auch in Deutschland eine immer weiter wachsende Kluft zwischen Produktivitäts- bzw. BIP-Entwicklung und den geringer steigenden bzw. stagnierenden Löhnen und Gehältern auszumachen. So kann man denn auch schließen, dass die oben genannten Folgen dieses Prozesses in ähnlicher Weise ebenso für die Bundesrepublik zutreffen.

Unterstützt wird diese These vom DIW Berlin mit den Publikationen Rückgang der Einkommensungleichheit stockt und Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland.

Oder, wie Atif Mian and Amir Sufi treffend anmerken:

Die wachsende Kluft zwischen Produktivität und den mittleren Einkommen ist das entscheidende Thema unserer Zeit. Dabei geht es nicht nur um die Ungleichheit – obwohl das auch sehr wichtig ist. Es geht auch um die gravierenden Folgen für die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Bewältigung der Finanzkrise.

Eigene Übersetzung von houseofdebt.org