S04: Das Ende der Trostlosigkeit

Sicherlich, ein 3:0-Auftaktsieg im Bremer Weserstadion ist aller Ehren wert, und nach dem 5:0 im Pokal in Duisburg kann man schon von einem gelungenen Saisonauftakt sprechen.

Weser Stadion Sitzplaetze 16-7-2014

Doch für viel wichtiger halte ich diesmal den Blick über den Tag hinaus. Vor allem in der Rückschau kann man erst richtig ermessen, welchen Kraftakt der neue Trainer Andre Breitenreiter in recht kurzer Zeit vollbracht hat.

Keine Lust mehr auf grausames Gekicke
Es ist noch keine drei Monate her, da kochte in Gelsenkirchen die Volksseele hoch: eine erschreckend schwache Schalker Mannschaft hatte beim Fastabsteiger Hamburger SV eine desolate Vorstellung abgeliefert und widerstandslos die Punkte hergegeben. Höhepunkt einer desaströsen Rückrunde, die ihresgleichen in der blau-weißen Geschichte sucht.

Es folgte hektische Betriebsamkeit am Schalker Markt: Roberto Di Matteo, Trainer-Wunschkandidat von Manager Horst Heldt und Champions-League-Gewinner mit dem FC Chelsea, stand vor dem Scherbenhaufen seiner unattraktiven und nun auch noch unwirksam gewordenen Defensiv-Taktik.

Auch um seine eigene Haut zu retten, blieb Heldt gar nichts anderes mehr übrig, als die schnelle Trennung vom einstigen Hoffnungsträger einzuleiten. Zu trostlos wirkte das statische und ideenlose Gekicke der Schalker, als dass irgendjemand Di Matteo noch den Kredit für einen gelungenen Neustart in die nächste Spielzeit gewähren wollte.

Fairerweise muss man allerdings auch konstatieren, dass es nicht nur am Trainer lag: außer Torhüter Ralf Fährmann schien kein Spieler in der Lage zu sein, die Ärmel hochzukrempeln, Verantwortung zu übernehmen und überzeugend voranzugehen. Und so ergab sich die „Mannschaft“ (die eigentlich keine war) wie so oft in der Rückrunde nach dem ersten Gegentor nahezu widerstandslos in ihr Schicksal.

Die Reaktion der Fans in der Sommerpause war eindeutig: Frustriert wurden nach der Demission des Coaches weitere rollende Köpfe verlangt. Ein großer Teil der „Versager“-Truppe bekam den Laufpass und auch Manager Heldt stand lange Zeit vor dem Abschuss. Die Unlust vieler Anhänger auf Schalker Fußball dieser Art war in jenen Tagen mit Händen zu greifen.

Die Wiederauferstehung eines frustrierenden „Haufens“
Das alles muss man sich vor Augen führen, wenn man über die Leistungen der Schalker in Bremen diskutiert. Klar war nicht alles Gold, was da an der Weser in Blau und Weiß glänzte. Die neuen (teilweise aber auch alten) Helden nahmen sich vor und nach der Pause einige Auszeiten, doch die erstaunliche defensive Stabilität trotz eines sehr offensiven Gesamtkonzeptes hielt den wenigen gefährlichen Werder-Angriffen beeindruckend gut stand.

Ansonsten bewies Neu-Trainer Breitenreiter nachdrücklich, welch herausragende Arbeit er seit seinem Dienstantritt in Gelsenkirchen geleistet hat. Seinem Versprechen, offensiven Fußball spielen zu lassen, kam er ebenso an der Weser nach. Mit Sascha Riether anstelle von Junior Caicara trat eine nahezu unveränderte Mannschaft nach dem Pokal-Auftakt auch in der Liga an.

Ebenso blieb die sehr auf Angriff ausgerichtete taktische Marschrichtung erhalten, obwohl sie natürlich nicht so reibungslos funktionierte wie in Duisburg. Trotzdem wussten die Schalker recht unaufgeregt zu überzeugen, und in den entscheidenden Momenten fielen dann auch die Tore.

Selbst der unglückliche verletzungsbedingte frühe Ausfall von Matija Nastasic und das vergebliche Bemühen des Ex-Bremers Franco di Santo, gegen die Pfiffe und Buhrufe seiner ehemaligen Fans anzuspielen, brachten die Mannschaft nicht aus der Ruhe. Ganz im Gegenteil verzeichneten die Blauen bis zum etwas glücklichen 1:0 durch das Eigentor von Gebre-Selassie mehr Torchancen als in einem ganzen Spiel unter Di Matteo.

Breitenreiters Handschrift wird lesbar
Auch wenn es hier und da noch etwas hakte (so wurden die beiden Außenverteidiger Riether und Aogo nur selten gesucht und in die Angriffsbemühungen mit einbezogen, Leon Goretzka hatte offensiv einen eher schwachen Tag und die beiden Stürmer Huntelaar und di Santo fanden nicht zueinander), so sind die taktischen Unterschiede zu seinen Vorgängern doch mehr als deutlich erkennbar.

Schon im Pokal kam die offensive Power mit zwei Stürmern, zwei Flügelzangen (Julian Draxler und Eric-Maxim Choupo-Moting) sowie einem von der 6er-Position zentral aufrückenden Johannes Geis oder Goretzka sehr gut zum Tragen, gegen Bremen ersetzte der überragende Joel Matip in den entscheidenden Momenten Geis und/oder Goretzka als Passgeber.

Doch viel beeindruckender fand ich die Tatsache, dass die Schalker im Weserstadion kaum eine Torchance zuließen und entgegen der dem Trainer immer wieder nachgesagten „Offensiv-Freudigkeit“ hinten sehr stabil standen. Selbst Roman Neustädter lieferte als Nastasic-Ersatz in der Innenverteidigung eine solide Vorstellung ab, und das Tandem Goretzka/Geis machte vor der Abwehr sehr wirkungsvoll den „Doppel“-Staubsauger.

Ebenso sprachen die Auswechselungen eine klare Sprache: als die Bremer am stärksten auf den Ausgleich drückten, brachte Breitenreiter Marco Höger für di Santo, um das Zentrum kompakter zu machen und etwas defensiver zu agieren. Nach dem 2:0 dann stellte er wieder auf die Doppelsechs um (nun mit Geis und Höger) und wechselte mit dem jungen Leroy Sane einen typischen Konterspieler ein, der die erlahmenden Angriffsbemühungen der Werderaner stören sollte.

Mit Erfolg, legte dieser doch einen vielbeachteten Sololauf über das halbe Feld hin und bediente dabei auch noch den „Hunter“ geradezu mustergültig, der keine Schwierigkeiten mehr hatte, zur endgültigen Entscheidung einzunetzen.

Also alles wieder einmal in Richtung Meisterschaft?
Gemach, gemach: ich weiß natürlich auch, wie schnell Optimismus auf Schalke in Euphorie umschlagen und es dann keine Ziele mehr unterhalb der Deutschen Meisterschaft geben kann. Daher, immer langsam mit den jungen Pferden. Ein erster Schritt heraus aus der Trostlosigkeit der Ära Keller/Di Matteo ist getan, der Silberstreif am Horizont wird deutlicher, und doch gibt es für Andre Breitenreiter und den S04 noch einiges zu tun. Erst wenn man weiß, wie er und die Mannschaft mit Rückschlägen und unvermeidlichen Niederlagen umgehen werden, kann man abschätzen, wo die Reise wirklich hingeht.

Man muss allerdings auch kein großer Prophet sein, um annehmen zu können, dass es wohl doch besser als in der letzten Saison laufen wird…