Die Belohnungen fürs harte Arbeiten sind zu groß für Keynes‘ Visionen

Der berühmte Ökonom lag richtig mit seiner Annahme, dass es uns heute besser geht als den Menschen in seiner Epoche, doch nur auf Kosten unserer Freizeit. Lange Arbeitszeiten zahlen sich in finanzieller Hinsicht aus, bedeuten aber auch, dass wir weniger Zeit für sonstige Beschäftigungen haben.

Keynes 1933
John Maynard Keynes im Jahre 1933

Sollte Keynes nun auf die heutige Situation herabschauen – er würde sicherlich auch einen guten Schutzengel für Wirtschaftswissenschaftler abgeben – dann würde er den Autor dieser Zeilen sicherlich fragen, warum er überhaupt diesen Artikel schreibt anstatt im Liegestuhl am Pool zu sitzen.

„Drei Stunden am Tag sind völlig ausreichend,“ prophezeite er 1930 in seinem Essay „Economic Possibilities for our Grandchildren“ (dt.: Die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder). Der Aufsatz bietet gleich zwei bekannte Spekulationen: dass die Menschen im Jahr 2030 es acht Mal besser haben werden als ihre Vorgänger 1930; und dass wir daher als Ergebnis dieser Tatsache alle nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten und uns fragen, wie wir unsere übrige Zeit ausfüllen sollen.

Keynes hatte allerdings nur zum Teil recht. Abgesehen von ein paar Katastrophen in den nächsten 15 Jahren waren seine rosig anmutenden Prognosen des globalen Wachstums eher zu niedrig angesetzt. Der Drei-Stunden-Arbeitstag bleibt jedoch trotzdem unerreichbar. (Keynes selbst blieb kinderlos, aber NPRs Blog Planet Money konnte vor kurzem die Enkel seiner Schwester aufspüren und fragte sie, ob sie nur 15 Stunden pro Woche arbeiten würden. Aber auch sie arbeiten heute mehr.)

Also wo hat Keynes sich geirrt? Zwei Antworten kommen einem sofort in den Sinn – eine vornehme, und eine weniger noble. Die vornehme Antwort ist, dass wir einige Arten von Arbeit doch ziemlich mögen. Wir genießen die Zeit mit unseren Kollegen, die intellektuelle Anregung oder auch das Gefühl, einen Job gut gemacht zu haben. Die unedle Antwort ist, dass wir hart arbeiten, weil es in unserem Wunsch einander auszustechen kein Ende gibt.

Keynes berücksichtigte beide Möglichkeiten, aber vielleicht hat er sie nicht ernst genug genommen. Er war wohl nicht in der Lage gewesen vorauszusehen, dass neuere Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass die miserable Erfahrung der Arbeitslosigkeit in keinem Verhältnis zu ihren direkten Effekten auf das Einkommen steht.

Vielleicht konnte Keynes auch nicht erkennen, dass mehr als nur demonstrativer Konsum notwendig ist, um mit den „Joneses“ mitzuhalten. Wir wollen in einer angenehmen Wohngegend mit guten Schulen und einfachem Zugang zu dynamischen Arbeitgebern leben. Als Ergebnis finden wir uns in einem heftigen Wettbewerb um einen begrenzten Vorrat an erstrebenswerten Immobilien wieder.

Es gibt subtilere Erklärungen für Keynes‘ Fehler. Wie der verstorbene Gary Becker in einem Essay mit Luis Rayo beobachtete, wurde Keynes möglicherweise durch die Betrachtung des Nichtstuns der Elite der 1920er Jahre in die Irre geführt. Der zu den „1 Prozent“ fließende Anteil der Einkommen war damals nicht viel anders als heute, doch besaßen sie früher viel mehr Vermögen.

Die Einkünfte aus dem angelegten Kapital eines Gentleman aus der Bloomsbury Group in den 1920er Jahren waren ebenso hoch wie die der heutigen wohlhabenden Partner einer New Yorker Anwalts-kanzlei, die im 21. Jahrhundert mit einem riesigen Stundensatz arbeiten. Doch es ist kein Geheimnis, dass dieser Gentleman seine Zeit damals müßig in seinem Klub verbrachte, während der Anwalt heute arbeitet, bis er aus den Socken fällt.

Vor ein paar Jahren veröffentlichten die Ökonomen Mark Aguiar und Erik Hurst eine Untersuchung darüber, wie sich die amerikanische Arbeit und Freizeit zwischen 1965 und 2005 entwickelt hatte.

Sowohl Männer als auch Frauen verfügten über mehr Freizeit – wenn auch bei weitem nicht so viel wie Keynes es früher erwartet hatte. Doch einige Leute widersetzten sich diesem Trend. Die am besten Ausgebildeten und die oberen Einkommensgruppen, auch hier sowohl Männer wie Frauen, besaßen weniger freie Zeit als jemals zuvor. Ab Mitte der 1980er Jahre begann diese Elite, alles andere aufzugeben und sich wie besessen in die Arbeit zu stürzen.

Vielleicht ist die wahre Geschichte also die, dass wir versuchen nicht mit den „Joneses“ aber mit unseren Arbeitskollegen mitzuhalten. Durch immer mehr Arbeitsstunden und immer weniger Urlaub steigen wir auf der Karriereleiter immer höher. Es kann kein Zufall sein, dass diese Verringerung der Freizeit in den 1980er Jahren begann, zu einer Zeit als die Ungleichheit an der Spitze dieser Leiter besonders anschwoll. Die Belohnung für die härteste Arbeit ist enorm groß.

Wir sind immer noch 15 Jahre entfernt von der Welt, die Keynes sich vorgestellt hatte. Wenn wir seinen entspannten Erwartungen gerecht werden wollen, muss sich noch viel ändern. Wir werden reichlichen Zugang zu schönen Schulen und Stadtteilen brauchen, und weniger von der Kultur des Ratten-Rennens im Büro.

Das klingt durchaus wünschenswert. Aber vielleicht ist die grundlegende Wahrheit auch die, dass viele von uns es genießen, an etwas zu arbeiten, was der Mühe wert erscheint, oder solche Tätigkeiten anstreben. John Maynard Keynes war ein reicher Mann, doch das konnte ihn offenbar nicht davon abhalten, sich förmlich zu Tode zu arbeiten.

Er starb 1946 im Alter von nur 62 Jahren an Herzversagen, bis zuletzt war er als Berater für die britische Regierung bei den Verhandlungen über das Bretton-Woods-System und den IWF tätig und verfasste dazu einen Monat vor seinem Tod noch die Abhandlung „Die anglo-amerikanischen finanziellen Abmachungen“.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des britischen Ökonomen Tim Harford)