„Solide Finanzen“ – ein Kennzeichen hartnäckiger Ignoranz

Zu vielen konservativen und neoliberalen Politikern und Ökonomen scheint heute erneut ein Gespenst in den Vereinigten Staaten und Europa umzugehen – Regierungen verfolgen keynesianische Ideen, um eine Politik der Erhöhung der effektiven Nachfrage und der Förderung der Beschäftigung zu erreichen.

Michal Kalecki

Zu den beliebtesten Argumenten, um diese „Keynesophobics“ zu bekämpfen, gehören das Argument des „Vertrauens“ (siehe auch Die unsägliche Vertrauens-Fee) sowie die Lehre von den „Soliden Finanzen“.

Ist dieser dumme und geistlose Kreuzzug gegen die wirtschaftliche Vernunft neu? Nein, überhaupt nicht. Bereits im Jahre 1943 schrieb ein berühmter polnischer Ökonom folgendes in einem klassischen Aufsatz über „Solide Finanzen“:

Zunächst ist festzustellen, dass, obwohl heute die meisten Ökonomen in der Ansicht übereinstimmen, dass die Vollbeschäftigung allein durch die Höhe der Staatsausgaben erreicht werden kann, dies keineswegs auch in der jüngsten Vergangenheit der Fall war. Unter den Gegnern dieser Lehre waren (und sind) prominente sogenannte „Wirtschaftsexperten“, die eng mit Banken und der Industrie verbunden sind.

Dies legt nahe, dass es einen politischen Hintergrund in der Opposition gegen die Lehre von der Vollbeschäftigung gibt, obwohl die vorgebrachten Argumente wirtschaftlicher Art sind. Dabei kann man nicht einmal behaupten, dass die Menschen, die diese Begründungen heranziehen, nicht an die Ökonomie glauben. Doch eine hartnäckige Ignoranz bedeutet in der Regel eine Manifestation der zugrunde liegenden politischen Motive…

Es ist klar, dass nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmer von einer höheren Produktion und Beschäftigung profitieren, weil dadurch deren Gewinne steigen. Und die oben skizzierte Politik der Vollbeschäftigung greift nicht in diese Gewinne ein, weil sie keine zusätzlichen Steuern benötigt.

Die Unternehmer sehnen sich in der Krise nach einem Boom; warum sollten sie also nicht gerne einen künstlichen Aufschwung akzeptieren, den ihnen die Regierung anbieten kann? Es ist diese schwierige und faszinierende Frage, mit der wir uns in diesem Artikel befassen…

Wir behandeln zunächst die Zurückhaltung der „Industriekapitäne“ bei der Annahme von staatlichen Eingriffen in die Frage der Beschäftigung. Jede Ausweitung der Staatstätigkeit auf ihr Geschäft wird mit Argwohn betrachtet, doch die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Staatsausgaben hat einen besonderen Aspekt, der diese Opposition besonders intensiv macht.

In einem Laissez-faire-System hängt das Beschäftigungsniveau in hohem Maße von dem so genannten „Vertrauen“ der Wirtschaft ab. Wenn dieses sich verschlechtert, habe das Rückgänge bei den privaten Investitionen zur Folge, durch die es zu einem Absturz von Produktion und Beschäftigung (sowohl direkt als auch über den Sekundäreffekt der Verringerung der Einkommen auf Konsum und Investitionen) kommt.

Dies gibt den Kapitalisten eine leistungsfähige indirekte Kontrolle über die Regierungspolitik: alles, was diesen Zustand des Vertrauens erschüttern kann, muss sorgfältig vermieden werden, weil es in eine Wirtschaftskrise führen würde.

Doch sobald die Regierung den Trick der Erhöhung der Beschäftigung durch ihre eigenen Einkäufe lernt, verliert diese leistungsstarke Steuerungsvorrichtung ihre Wirksamkeit. Daher müssen Haushaltsdefizite, die für die Durchführung staatlicher Eingriffe erforderlich sind, grundsätzlich als gefährlich angesehen werden.

Die soziale Funktion der Lehre von den „soliden Finanzen“ ist nichts anderes, als das Beschäftigungsniveau vom Zustand des „Vertrauens“ abhängig zu machen.

Michal Kalecki in Political Aspects of Full Employment

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des schwedischen Ökonomen und Wirtschaftshistorikers Lars Syll)