S04: Königsblau als mausgrauer Durchschnitt oder sogar noch weniger?

Bis Anfang der letzten Woche hatte ich ja auch noch daran geglaubt, dass es nur noch ein paar Korrekturen im offensiven Bereich bedürfe, um die Schalker Mannschaft wieder in die richtige Spur zu bringen.

Haupttribüne des Badenova-Stadions in Freiburg

Ich war ziemlich optimistisch, dass man aus einer verstärkten Defensive heraus so etwas wie Stabilität auf den Platz bringen könnte und in den Spielen bei Sporting Lissabon und dem SC Freiburg davon auch schon etwas merken würde.

Nun ja, ich muss leider zugeben, dass ich mich da wie wohl so manch anderer auch mächtig verkalkuliert hatte. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Zwei ziemlich desillusionierende Niederlagen, 2 : 6 Tore, eine losgetretene Diskussion um die Versäumnisse des letzten Trainers und eine Mannschaft ohne Charakter.

Schlimmer hätte es eigentlich kaum kommen können. An sich fehlen mir die Worte, um diese Entwicklung richtig beschreiben zu können. Na ja, versuchen will ich es aber trotzdem.

Wenig Positives schnell erzählt
Fangen wir mal mit denen an, die man bei der Frage nach dem Warum als Erste ausnehmen kann. Da wäre vor allem Keeper Ralf Fährmann, der nach ein, zwei kleineren Unsicherheiten in Lissabon im Breisgau wieder zu alter Stärke zurückfand. Ohne seine Glanzparaden hätte die zweite Halbzeit beim SC Freiburg auch in einem absoluten Debakel enden können. Ihm allein ist es zu verdanken, dass es nur bei zwei Gegentoren blieb.

Nehmen wir da auch noch Neu-Trainer Roberto Di Matteo, dem nach gut einem Monat im Amt nun wohl so langsam aufgehen wird, auf was er sich da eingelassen hat. Auch wenn der eine oder andere anfängt zu murren, es habe sich doch nicht viel geändert seit der Entlassung von Jens Keller, kann man Di Matteo noch die wenigsten Vorwürfe machen.

Er muss nun mal mit dem arbeiten, was ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Ebenso ist er auf die Spieler angewiesen, die ihm Manager Horst Heldt auf den Trainingsplatz stellt. Frühestens zur Winterpause halte ich es für angebracht, das erste Mal ein Resümee über die Arbeit von Di Matteo ziehen zu können. Alles andere wäre einfach viel zu früh, so wie es aussieht, liegen die Gründe für die Schalker Misere viel zu tief, als dass man sie in ein paar Wochen schon ausmerzen könnte.

Gehen wir weiter zu den Spielern, da wird es allerdings schon etwas eng: Atsuto Uchida fällt mir da noch ein, seit seiner Rückkehr nach langwieriger Verletzung einer der wenigen Aktivposten auf dem Platz. Und mit Abstrichen vielleicht auch noch Klaas-Jan Huntelaar, gegen Augsburg immerhin der Schütze des Siegtores und mit insgesamt sieben Einschüssen aus bisher 16 Saisonspielen auch der treffsicherste Schalker.

Bleibt dann noch Benedikt Höwedes, der Kapitän und Abwehrchef. Mangelnden Einsatz kann man ihm nicht vorwerfen, auch wenn er schon mal hier und da den Überblick verliert. Vielleicht ist er manchmal noch zu leise auf dem Platz, um wirklich als Führungs- und Leitfigur anerkannt zu werden.

Chronik des Versagens
Aber dann hört es auch schon auf, und die lange Reihe der zu Kritisierenden fängt an. Was manche Spieler in den beiden Begegnungen der vergangenen Woche (und zum Teil auch bereits vorher) so geleistet haben, spottet eigentlich jeder Beschreibung. Wo soll man da anfangen? Sidney Sam, Marco Höger, Roman Neustädter, Christian Fuchs, Dennis Aogo, Chinedu Obasi, Kevin-Prince Boateng, Tranquillo Barnetta, sie alle spielen weit unter ihren Möglichkeiten, ja teilweise muss man ihre Bundesligatauglichkeit im Moment stark in Zweifel zeihen.

Auch Max Meyer läuft zur Zeit seiner Form hinterher, doch bei dem 19-jährigen sollte man noch mildernde Umstände walten lassen. Von Di Matteo in den ersten Spielen noch weitgehend ignoriert, kann man von dem Jüngsten kaum erwarten, dass ausgerechnet er das Ruder herumzureißen vermag. Das gilt auch für Kaan Ayhan, der nach einigen haarsträubenden Fehlern seinen Platz in der Innenverteidigung an Roman Neustädter verloren hat.

Ebenso will ich Eric-Maxim Choupo-Moting da ein wenig aus der Kritik herausnehmen, obwohl klar ersichtlich ist, dass er nach starkem Beginn in den letzten Spielen immer schwächer geworden ist. Er bräuchte eigentlich dringend eine Pause, doch mangels Alternativen muss er immer wieder ran. Inzwischen frage ich mich ernsthaft, ob er überhaupt auf der richtigen Position spielt. Eigentlich wäre Choupo-Moting als Stürmer wohl effektiver, weil er da auch in seiner bisherigen Karriere meistens eingesetzt wurde. Die Defensive ist anscheinend nicht so wirklich sein Ding.

Auch auf der rechten Seite haben wir momentan ein riesiges Problem. Weder Sidney Sam noch Obasi erreichen dort auch nur annähernd die Klasse ihrer Vorgänger aus der letzten Saison. Selten wurden Jefferson Farfan und auch Leon Goretzka mehr vermisst als jetzt. Das Defensivverhalten von Sam gerade in Freiburg war einfach nur grauenhaft, während er nach vorn ebenso wie der Nigerianer so gut wie keine Akzente setzen konnte.

Ebenso Kevin-Prince Boateng, von dem Roberto Di Matteo nach der Pause wohl mehr Impulse in Richtung Freiburger Tor erwartet hatte. Doch Boateng, der eigentlich als vermeidlicher „Starspieler“ und Leitfigur verpflichtet worden war, tauchte genauso wie der Rest der Mannschaft unter und ergab sich widerstandslos den Freiburgern, die solide verteidigten und mit schnellem Umschaltspiel die Schwächen der Schalker immer wieder gnadenlos aufdeckten.

Apropos Umschaltspiel: kommen wir also zu der Disziplin, die die Schalker immer noch nicht können. Viel zu langsam, sowohl mit den Beinen als auch in den Köpfen, muss wohl das vernichtende Urteil über die „Doppel-Sechs“ der Blauen lauten.

Vor allem Marco Höger ließ hier so ziemlich alles vermissen, was ihn mal ausgezeichnet hatte. Aber auch Jan Kirchhoff, dem man zumindest in den ersten zwanzig Minuten einen engagierten Auftritt mit einigen gelungenen Pässen zugestehen muss, hatte nach dem ersten Freiburger Tor Sendepause und auch ihm ging nach dem Pausentee sichtlich die Puste aus.

In der Innenverteidigung wurde wieder einmal besonders schmerzlich das Fehlen von Joel Matip deutlich, den Roman Neustädter ganz und gar nicht ersetzen konnte. Kopfballstärke hin oder her, aber wenn man Zweikämpfen hauptsächlich aus dem Weg geht und dann auch noch Probleme im Stellungsspiel und bei der Zuordnung hat, kann man das Experiment „Neustädter in der IV“ nur als gescheitert ansehen.

Ebenso fehlen momentan Matips Fähigkeiten im Spielaufbau, auch sein Vermögen, mit dem Ball am Fuß unfallfrei in Richtung Mittelfeld zu marschieren, wenn sich keine Paßgelegenheiten anbieten. Neustädters Kurzpassspiel kann so etwas halt nicht ersetzen.

Trauriger Höhepunkt des Spiels war aber wohl die Kopfball-„Vorlage“ von Dennis Aogo zum 2:0 der Freiburger, die bezeichnenderweise auch erst im zweiten Versuch „gelang“. Dass Aogo dann auch noch die fünfte gelbe Karte kassierte und damit im nächsten Spiel die angespannte Personalsituation noch weiter verschärft, passte haargenau in die Dramaturgie eines vergurkten Auftritts, an dessem Ende so gar nichts Positives mehr stand.

Ist Jens Keller an allem schuld?
Etwas zwiegespalten bin ich bei der Frage, ob ein solches Nachtreten gegen Ex-Trainer Jens Keller vor allem in der Öffentlichkeit so notwendig gewesen wäre. Wenn man allerdings ehrlich ist, kann man schon feststellen, dass dem einen oder anderen nach sechzig, spätestens siebzig Minuten der Schweiß auf die Stirn tritt.

Was ist geblieben von der einstigen Stärke der Schalker unter Magath, Stevens oder auch Rangnick, in der Schlussphase einer Begegnung bei einem Rückstand noch einmal erkennbar die Schlagzahl zu erhöhen und den Gegner massiv unter Druck zu setzen?

Nicht mehr wirklich viel, heute plätschern solche Spiele eher seicht ihrem Ende entgegen, ohne deutliche Anzeichen eines Aufbäumens in der Hoffnung, das Ergebnis doch noch drehen zu können. Es mag daher durchaus richtig sein, dass der Fitnessstand der Profis bei Jens Keller nicht unbedingt der beste gewesen ist, doch ob man das so an die Öffentlichkeit zerren muss?

Ich sehe das eher so, dass man solche Erkenntnisse nur intern diskutieren und auswerten sollte. Wenn denn tatsächlich bei der Kondition geschlampt wurde, so ist das ein Ansatz, wo eine Verbesserung erfolgen muss, aber nichts, was unbedingt nach Außen getragen werden sollte. Ein solches Nachtreten hat immer den üblen Beigeschmack einer Ablenkung von eigenen Fehlern und sollte eigentlich auch dann, wenn es berichtigt wäre, eher unterbleiben.

Dass Keller Fehler gemacht hat, halte ich dagegen für unstrittig und habe dies auch hier im Blog oft genug thematisiert. Doch eine solche öffentliche Diskussion kann meines Erachtens wenn überhaupt nur von Außenstehenden angestoßen werden, während die Verantwortlichen des Vereins zurückhalten sollten.

Gleiches gilt eigentlich auch für die Spieler samt Mannschaftskapitän, will man sich nicht einer seltsam anmutenden Aussprache über die Selbstverantwortung der Profis aussetzen.

Die Verantwortlichkeiten eines Horst Heldt
Diskutiert man über die Missgriffe und Irrtümer der Vergangenheit, so sollte man nicht nur über den ehemaligen Trainer reden. Denn Keller und ebenso Di Matteo konnten und können nur mit den Spielern arbeiten, die ihnen der Club auf den Trainingsplatz gestellt hat.

Also ist es an der Zeit, ein wenig über die Transferpolitik der Schalker zu reden. Sicher ist es richtig, dass die Verbindlichkeiten des Klubs hier enge Grenzen setzen. Ebenso kann man nicht leugnen, dass Manager Heldt mit dem aufgeblähten Kader aus der Magath-Ära lange eine schwere Hypothek abtragen musste.

Und trotzdem: Tranquillo Barnetta, Christian Fuchs, Chinedu Obasi, Felipe Santana, Christian Clemens, aber auch Adam Szalai, Kevin-Prince Boateng und Sidney Sam: jede Menge Spieler, deren Verpflichtung in die Verantwortung von Horst Heldt fällt und die heute Teil des Problems sind oder waren.

Einigen von ihnen muss man zur Zeit ganz klar die gehobene Bundesliga-Tauglichkeit aberkennen, die man für das Erreichen der Champions-League-Ränge eigentlich unbedingt benötigt. Sie sind nicht einmal mehr Ergänzungsspieler, geschweige denn Verstärkungen.

Daher muss man schon einmal die Transferpolitik Heldts trotz aller finanziellen Zwänge hinterfragen. Ist es wirklich sinnvoll, die Ablösesumme als Hauptrichtschnur des Handels anzusehen? War da nicht auch manchmal der Wunsch Vater des Gedanken, für möglichst wenig Geld einen Spieler zu verpflichten, der sich dann als Transferknaller entpuppen würde? Hat das in vielen Fällen überhaupt funktioniert?

Neben all diesen Fragen ist es allerdings Fakt, dass der Erfolg oder Misserfolg von Roberto Di Matteo auch über die Zukunft des Managers entscheiden wird. Sollte es wirklich nicht klappen, werden wohl die Stimmen, die dann auch eine Ablösung von Horst Heldt fordern, mit Sicherheit lauter. Und es wird nur wenige Argumente dagegen geben.

Die Charakterfrage
Auch wenn man im Umfeld der Mannschaft so manche Gründe für das bisherige Abschneiden finden kann, soll das nicht bedeuten, dass die Spieler damit aus der Schusslinie sind. Ganz im Gegenteil. Benedikt Höwedes hat völlig recht, wenn er nun die Charakterfrage stellt.

Denn die Profis sind jetzt gefordert! Es gibt keinen Jens Keller mehr, hinter dessen Fehlern man sich verstecken könnte. Di Matteo ist gerade einmal etwas mehr als einen Monat im Amt und daher für diese Rolle ebenso wenig geeignet.

Man kann eigentlich nur darauf vertrauen, dass die Länderspielpause vernünftig genutzt wird, um die erkannten Probleme aufzuarbeiten (auch wenn natürlich viele Spieler mit ihren Nationalmannschaften unterwegs sind) und das vielleicht der eine oder andere Verletzte wieder zurückkommt.

Doch ehrlich gesagt habe ich im Moment nur noch wenig Hoffnung auf eine kurzfristige Besserung. Dieses Gekicke wird wohl noch bis zur Winterpause so weiter gehen. Bleibt abzuwarten, wie viele Punkte uns diese Krise bis dann gekostet hat.