Irrationaler Überschwang – Robert Shillers moderner Klassiker

Zu Beginn des Jahres 2000 erschien ein Buch mit dem Titel Irrational Exuberance (Irrationaler Überschwang). Der amerikanische Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger Robert Shiller warnte darin, dass die seit der Thatcher-Reagan-Ära stattgefundene weitgehende Deregulierung des Finanzmarktes zu einer rasanten Kreditexpansion geführt habe.

Nobel Prize 6 2013
Shiller im Dezember 2013

Banken und Finanzinstitute verzeichneten einen sprunghaften Anstieg der Kreditvergabe, und das Streben nach größeren Marktanteilen führte dazu, dass Bonitätsprüfungen vernachlässigt und schlechte Kundenbeziehungen akzeptiert wurden. Vor allem die Werte der IT-Aktien waren über-proportional hoch. Es würde unweigerlich zu einer Finanzkrise führen.

Shiller sollte Recht behalten. Weniger als zwei Monate nach der Veröffentlichung des Buches geschah das Übliche. Die Blase platzte und die Finanzmarktkrise wurde Realität.

Da das menschliche Gedächtnis kurz ist, tauchten nach einigen Jahren wieder neue Bedenken auf. Die Krise, in der sich die amerikanische Wirtschaft erneut befand, hatte ihren Ursprung in der Spekulations-blase, die sich zwischen 1997 und 2006 auf dem amerikanischen Immobilienmarkt entwickelte. Trotz sinkender Zinsen und Baukosten stiegen die Immobilienpreise in den zehn Jahren, in denen diese Blase aufgebläht wurde, um durchschnittlich 85 Prozent.

Das zugrunde liegende Muster ist in fast allen Finanzkrisen dasselbe. Aus irgendeinem Grund kommt es zu einer Verschiebung (Krieg, Innovationen, neue Regeln und mehr) im Konjunkturzyklus, die zu Veränderungen der Gewinnchancen von Banken und Unter-nehmen führt. Nachfrage und Preise steigen, was immer mehr Teile der Wirtschaft in eine Art Euphorie versetzt.

Immer mehr Menschen engagieren sich, und schon bald wird der Spekulationsrausch – ob es um Tulpenzwiebeln, Immobilien oder Hypotheken geht – Realität. Früher oder später verkauft jemand, um seine Gewinne zu kassieren, was einen Ansturm auf Liquidität auslöst.

Es ist dann an der Zeit, vom Karussell abzuspringen und Wertpapiere und andere Vermögenswerte in Bargeld umzuwandeln. Eine finanzielle Notlage entsteht und breitet sich schnell weiter aus. Die Preise beginnen zu sinken, die Insolvenzen nehmen zu, und die Krise beschleunigt sich und verwandelt sich in Panik.

Um den endgültigen Crash zu verhindern, wird der Kredit gestrafft, und es entstehen Rufe nach einem Kreditgeber letzter Instanz, der die Versorgung mit dem geforderten Geld garantieren und das Vertrau-en wiederherstellen kann. Gelingt das nicht, wird der Absturz Realität.

Wie seine Vorgänger Hyman Minsky und Charles Kindleberger betont Shiller, dass Blasen ein unvermeidlich wiederkehrendes Merkmal in einer Wirtschaft mit im Wesentlichen unregulierten Märkten sind. Shiller argumentiert aber auch, dass unsere heutige Neubewertung von Arbeit und Wohlstand eine Rolle spielt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Wahrnehmung der Rolle der Menschen in der Wirtschaft entscheidend gewandelt.

Von der Betrachtung der Arbeit als Grundlage unseres Wohlergehens, die auf einer protestantischen Arbeitsethik basierte, hat sich die Vorstellung, durch Investitionen Geld verdienen zu wollen zunehmend verbreitet.

Der Held von heute ist nicht der hart arbeitende Industriearbeiter sondern der kluge Investor, für den Geld kein Mittel sondern Selbstzweck ist. Dieses Umdenken ist laut Shiller die eigentliche Ursache der Krise. Hier liegt das Herz der Finsternis.

Dass Shiller die psychologischen Aspekte betont ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er ein führender Vertreter des Forschungsfeldes der Finanzökonomie ist, das als Behavioral Finance bezeichnet wird.

Als junge Wissenschaft war die Ökonomie eng mit anderen Disziplinen wie Philosophie und Psychologie verflochten. Adam Smith zum Beispiel war einer der führenden Moralphilosophen seiner Zeit.

Im Laufe der Zeit versuchten viele Ökonomen sich bewusst von anderen Wissenschaften zu distanzieren. Die Wirtschaftswissenschaft würde auf ihrem eigenen Fundament aufbauen, anstatt sich auf die wackeligen Grundlagen zu verlassen, die eine unausgereifte und unwissenschaftliche Psychologie bieten könnte.

In jüngster Zeit haben jedoch immer mehr Ökonomen die Notwendigkeit erkannt, ihre Modelle auf realistischere psychologische Grundlagen zu stützen. Die Verhaltensökonomie hat sich schnell als nachhaltiger Teil der Volkswirtschaftslehre etabliert und insbesondere in der Finanzwirtschaft erheblichen Einfluss gehabt. Die Vernachlässigung der tiefen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte wird zunehmend als „Hamlet“ ohne den Prinzen von Dänemark angesehen.

In der traditionellen ökonomischen Weisheit ist die Hypothese effizienter Märkte seit langem von zentraler Bedeutung. Die Hypothese besagt im Wesentlichen, dass die auf den Finanzmärkten festgelegten Preise den Grundwerten der Wirtschaft entsprechen, weil alle Anleger rational sind und die Existenz von Preisen, die von den Fundamentaldaten abweichen, ausschließen.

Die Behavioral Finance konnte jedoch zeigen, dass die Darstellung von Anlegern als rational nur schwer mit Fakten aus realen Finanzmärkten in Einklang zu bringen ist. Anleger scheinen mehr auf der Grundlage von Lärm als auf Informationen zu handeln.

Sie extrapolieren aus kurzfristigen Trends, reagieren sensibel darauf, wie Probleme dargestellt werden, sind schlecht darin, ihre Risikobewertungen zu revidieren, und reagieren oft übermäßig auf Stimmungsschwankungen. Infolgedessen können der Preis eines Vermögenswerts und sein tatsächlicher Wert über einen längeren Zeitraum abweichen. Irrationalität ist auf den Finanzmärkten nicht irrelevant.

In Irrational Exuberance zeigt Shiller, basierend auf seiner eigenen empirischen Forschung zu den Schwankungen des Finanzmarktes, dass die Schwankungen des Aktienwerts deutlich höher waren, als es mit der Hypothese eines effizienten Marktes vereinbar ist.

Und wenn verschiedene Arten von Akteuren miteinander interagieren können wir nicht immer erwarten, dass der Markt effizient ist. Um zu verstehen was auf dem Finanzmarkt passiert, müssen wir versuchen Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich echte Anleger verhalten. Behavioral Finance hat uns in dieser Hinsicht bereits weit gebracht.

Was kann also getan werden, um das Risiko künftiger Krisen zu minimieren? Finanz-marktteilnehmer verursachen offensichtlich Kosten, die sie selbst nicht tragen. Als der führende Ökonom unserer Zeit, John Maynard Keynes, nach dem Börsencrash von 1929 für die Einführung einer allgemeinen Finanztransaktionssteuer plädierte, geschah dies, weil er der Meinung war, dass der Markt die Kosten tragen sollte, die seine Instabilität, Ungleichgewichte und Störungen verursachen.

Wer im Streben nach Profit bereit ist unnötige Risiken einzugehen und der Wirtschaft nachhaltigen Schaden zuzufügen, muss selbst zur Zahlung der Zeche beitragen. Es sollte weh tun. Und es musste weh tun, wenn die Lektion gelernt werden sollte.

Shiller betont, genau wie Keynes, dass man bei Krisenlösungen zwischen kurz- und langfristig unter-scheiden muss. Kurzfristig ist es notwendig, die Auswirkungen des Preisrückgangs bei Wohnraum und anderen Vermögenswerten durch verschiedene Maßnahmen abzumildern.

Es gibt keine Garantien, dass es hilft, aber grundsätzlich existieren keine nachhaltigen Alternativen. Nichtstun würde eine ohnehin schon etwas lähmende Unsicherheit nur noch weiter anheizen. Wenn das Haus in Flammen steht, können wir nicht einfach an der Seitenlinie stehen und darüber diskutieren, wie wir es am besten löschen können. Brände haben – wie Finanzblasen – eine unangenehme Fähigkeit sich auszubreiten.

Langfristig ist es eindeutig von Vorteil, wenn die Vermögenspreise wieder auf ein Niveau fallen, das ihrem realen Wert entspricht. Eine Senkung des Preises des eigenen Hauses macht es nicht weniger bewohnbar. Sollten die Räder der Wirtschaft jedoch zum Stillstand kommen, wären die Folgen sehr real.

Shiller plädiert energisch für eine Lösung, die er Finanzdemokratie nennt, die er als wirksames Heilmittel ansieht. Solide finanzielle Grundsätze sollten auf größere Teile der Gesellschaft ausgeweitet werden. Nicht nur Finanzmarktteilnehmer sollten Zugang zu guten Informationen und Know-how haben.

Anstatt alle Risiken zu vermeiden – was für die Vitalität und Kreativität einer Gesellschaft verheerend wäre – sollten wir lernen, versicherbare Risiken rational zu managen. Die Grundidee ist, dass umfang-reiche institutionelle Veränderungen, verbesserte Finanz-beratung, erhöhte Transparenz, frei zugäng-liche Finanzdatenbanken und mehr das langfristige Risiko der Entstehung von Spekulationsblasen verringern sollen.

Es ist der Zweifel, nicht der Glaube, der neues Wissen schafft. Shillers Forschung hat eindrucksvoll gezeigt, dass wir nicht gleichzeitig unseren Kuchen besitzen und ihn auch essen können. Solange wir eine Volkswirtschaft mit unregulierten Finanzmärkten haben, werden wir auch anfällig für periodisch wiederkehrende Krisen sein.

Shiller liefert uns sowohl eine Landkarte als auch einen Kompass, und seine Vorschläge können zusammen mit einer strengeren Regulierung des Finanzmarktes aktiv dazu beitragen, die Risiken kostspieliger Finanzsystemkrisen langfristig zu reduzieren. Wenn wir uns jedoch reflexartig weigern, das Ausmaß der Probleme zu sehen, werden wir wieder hilflos sein, wenn die nächste Krise droht.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des schwedischen Ökonomen Lars Syll)