History: Das Scheitern der Austerität – „Il Duce“ Edition

Kurz gefasst: nach dem Ersten Weltkrieg gab es eine kurze, aber sehr wichtige Phase in der europäischen Geschichte, in der die Menschen Rechte bekamen wie etwa das Wahlrecht, den 8-Stunden-Arbeitstag und andere vergleichbare, das allgemeine Wohlergehen verbessernde Annehmlichkeiten.

Bundesarchiv Bild 102-09844, Mussolini in Mailand
Benito Mussolini bei einer Rede in Mailand 1930

So auch in Italien. In einigen Ländern führte dies allerdings zu heftigen Gegenreaktionen: so beispielsweise im Jahr 1922 zu Benito Mussolinis faschistischen „Marsch auf Rom“, mit dem die demokratische Phase in diesem Land beendet und die ab 1925 diktatorische Macht Mussolinis begründet wurde.

Mussolini umgab sich mit stolzen neoklassischen Denkern. Diese führten die Austerität ein (sogar der Begriff wurde damals bereits benutzt). Und es war alles da: Privatisierung, „solide“ Geldpolitik, die Klagen über den Mangel an Disziplin und die verschwenderischen Ausgaben durch den Staat und für die Arbeiter, die Bedeutung des „Sparens“, die Idee einer tugendhaften Elite, welche die unverant-wortlichen Menschen zu führen habe.

Und natürlich die moralischen und wirtschaftlichen Vorzüge von niedrigen Löhnen. IWF- und EU-Sprachgebrauch weit vor ihrer Zeit (mit Ausnahme des hohen Wechselkurses, der Mussolini heilig war). Die Frage stellt sich aber wie heute: Hat es denn funktioniert?

menschen-arbeit-0029.gif von 123gif.de

Nein, hat es nicht. Auch nicht über die lange Sicht. Absolut nicht. Es war stattdessen ein Disaster, eine echte Katastrophe.

Dies beweisen die Wirtschaftsdaten verschiedener Staaten aus dieser Zeit, siehe obenstehende Grafik, deren Grundlage die Daten der Maddison-Datenbank darstellen. Die wirtschaftliche Entwicklung Italiens während der Zeit des Faschismus stagnierte.

Sie war trotz aller „niedrig hängenden Früchte“ (Elektrizität, Telefone, Kraftfahrzeuge, Rundfunk) „trotz“ seiner Diktatur viel schlechter als die Finnlands mit seinen zwanzig Regierungen zwischen 1918 und 1939. Und sehr viel schlechter als das sozial-demokratische Schweden – eine klare autoritäre Katastrophe in Italien.

Es entwickelte sich dagegen ähnlich schlecht wie Spanien und Portugal, die auch autoritäre Regie-rungen hatten und wie Churchill den Stil einer „soliden“ Geldpolitik verfolgten.

Wichtig erscheint zudem, dass die schnelle Erholung nach dem Zweiten Weltkrieg klar zeigt, dass diese Stagnation keinesfalls eine spezielle kulturelle italienische Eigenschaft oder ein Problem von der Angebotsseite her war.

Es war eher ein Problem einer auf Reichtum, den Goldstandard und niedrige Gehälter konzentrierten Politik, welche die Masseneinkommen, die Produktion und höhere Löhne extrem vernachlässigte.

Die gleiche Art von Deflationssparpolitik, die im Vereinigten Königreich zu niedrigeren Löhnen, geringem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit geführt hatte – und keineswegs auch zu einem Rückgang der öffentlichen Verschuldung im Verhältnis zum BIP. Italien wuchs erst wieder, als nach dem Krieg die Demokratie wiederhergestellt wurde…

Der Einbruch in Spanien in den dreißiger Jahren war natürlich dem spanischen Bürgerkrieg geschuldet – allerdings gab es auch keine wirkliche spanische Erholung nach dem WW II. Das demokratische Italien übertraf stattdessen nach dem Krieg recht schnell das faschistische Spanien.

Auszug aus Benito Mussolini – Der Weg zur Diktatur – Wikipedia:

Wirtschafts- und Sozialpolitik
Mussolini überließ die Wirtschaftspolitik in den ersten Jahren weitgehend seinem marktliberalen Finanzminister Alberto De Stefani. Die vorsichtigen Versuche […], die Steuerlast der „besseren Kreise“ zu erhöhen, die Kriegsgewinne zu besteuern und eine Bodenreform zu initiieren […] wurden von der neuen Regierung abgebrochen.

Sie privatisierte bisherige Staatsmonopole wie das Telefonnetz, die Streichholzproduktion und die Lebensversicherung, senkte die Staatsausgaben und führte neue indirekte Massensteuern ein. Im März 1923 beseitigte ein Dekret den Achtstundentag, wodurch vor allem in der Landwirtschaft die tägliche Arbeitszeit wieder auf bis zu zwölf Stunden ausgedehnt wurde.

Mussolini begleitete diese Politik, indem er öffentlich für „Unternehmertum“, Bürokratieabbau und die Abschaffung der ohnehin nur rudimentären Arbeitslosenunterstützung plädierte. Der Staat solle sich aus dem wirtschaftlichen Leben der Nation heraushalten, die Ungleichheit in der Gesellschaft dürfe nicht beseitigt, sondern müsse im Gegenteil noch verschärft werden.

Gleichzeitig wurden ausgewählte Industrieunternehmen und Banken mit Staatsgeldern saniert […] Mussolini […] konnte so den „atmosphärischen Grundstein“ für den Ausgleich mit der Kirche legen. Für das Besitzbürgertum erwiesen sich die Jahre 1922-25 alles in allem als „absolutes Paradies“. Umgekehrt mussten die Arbeiter in diesem Zeitraum Reallohnsenkungen von 20 bis 25 % hinnehmen.

(Eigene Übersetzung und Erweiterung eines schon älteren Blogbeitrages des niederländischen Ökonomen Merijn Knibbe mit erschreckender Aktualität)