‎Die beiden Hemisphären der modernen Finanzwirtschaft

‎Seit der Dotcom-Krise (2000), der Subprime- und Bankenkrise (2008) und der Euro-Staatsschuldenkrise (2010-12) steht die Öffentlichkeit der Finanzindustrie kritisch gegenüber.

Merrill Lynch - panoramio
Logo und Schriftzug der Investment-Bank Merrill Lynch

Blasenökonomien sollten verhindert werden, Geld sollte der Realwirtschaft dienen und nicht fragwürdigen Finanzgeschäften. Es ist jedoch noch nicht angebracht, es so auszudrücken. Man kann die Wirtschaft bisher nicht von ihrer Finanzierung trennen.

Die moderne Wirtschaft ist eine Kreditökonomie. Die meisten Investitionen werden nur in geringerem Umfang aus den laufenden Erträgen und Rückstellungen bezahlt, während der größte Teil durch Kredite vorfinanziert wird. Trotzdem hat die Trennung der Realwirt-schaft vom Finanzsektor gute Gründe, die aber von der orthodoxen Ökonomie oft ignoriert werden, obwohl weite Bereiche der Finanzwirtschaft nichts mehr mit der Finanzierung der realen Wirtschaft zu tun haben.‎

‎Die relevante Trennlinie besteht nicht zwischen der Real- und der Finanz-wirtschaft, sondern zwischen den beiden Hemisphären der Finanzökonomie: auf der einen Seite jene Bereiche, die zur Finanzierung der Realwirtschaft beitragen, auf der anderen Seite die Bereiche, die nicht zur Finanzierung der Wirtschaftsleistung beitragen. Kurz gesagt, die Trennlinie verläuft zwischen BIP-Finanzierung und Nicht-BIP-Finanzierung. ‎

‎Typische Beispiele für Nicht-BIP-Finanzierungen sind der Sekundärhandel mit Anleihen, Aktien und anderen Wertpapieren (d. h. nach ihrer erstmaligen Emission), Devisenhandel ohne Hintergrund der tatsächlichen Nutzung einer jeweiligen Fremdwährung, Derivate-handel jenseits der Absicherung bestehender Risikopositionen, Handel mit Immobilien als Finanzanlage ohne signifikante Änderung des Nutzungswerts einer Immobilie sowie fremdfinanzierter Finanzhandel jeglicher Art.

‎Die Nicht-BIP-Finanzierungen sind weitgehend unabhängig von den BIP-Finanzierungen, aber letztlich doch von der Realwirtschaft abhängig. Realwirtschaftliche Konjunkturzyklen und der Struktur-wandel beeinflussen die Finanzzyklen bei Anleihen, Aktien, Rohstoffen, Immobilien und anderen Finanzanlagen, da diese wiederum die realen Konjunkturzyklen beeinflussen.‎

‎Geld, das nicht in die Realwirtschaft fließt, hat keinen Einfluss auf die realen Mengen und Preise und hat daher keine direkten Auswirkungen auf die Erzeuger- und Verbraucher-preisinflation. Geld, das in die Finanzwirtschaft fließt, sei es in den BIP-Finanzierungen oder in den Nicht-BIP-Finanzierungen, beeinflusst die Vermögenspreise (Vermögenspreis-inflation) sowie die quantitative Ausweitung des Finanzmarktangebots.‎

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des deutschen Ökonomen Joseph Huber)