Die Wurzeln der argentinischen Überraschungskrise

Eine Änderung der makroökonomischen Politik wird nicht ausreichen, um Argentinien auf einen Weg der umfassenden und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung zurückzuführen. Doch wie der Währungsschock des letzten Monats gezeigt hat, wäre es ein notwendiger Schritt, den von der Regierung von Präsident Mauricio Macri seit Ende 2015 verfolgten Ansatz aufzugeben.

GDPg ARG
Historisches Wachstum des Bruttoinlandproduktes (GDP)
von Argentinien von 1961 bis 2016

Der Devisenschock, welcher Argentinien im vergangenen Monat traf, überraschte viele. Tatsächlich hat eine Reihe von riskanten Wetten, die die argentinische Regierung im Dezember 2015 begonnen hat, die Anfälligkeit des Landes erhöht. Unklar war, wann Argentiniens Wirtschaft auf die Probe gestellt werden würde. Als der Test dann kam, scheiterten Land und Regierung.

Argentinien musste eine Reihe von makroökonomischen Ungleichgewichten angehen, nachdem Präsident Mauricio Macri Ende 2015 sein Amt antrat. Frühzeitige Maßnahmen umfassten die Abschaffung der Devisen- und Kapitalkontrollen und die Senkung der Steuern auf Rohstoffexporte. Argentinien hat auch den Zugang zu den internationalen Kreditmärkten wiedererlangt, nachdem es in einem mehr als ein Jahrzehnt dauernden Schuldenstreit[1] mit sogenannten Vulture Funds zu einer Einigung gekommen war.

Die Regierung unternahm einen neuen makroökonomischen Anlauf, der vor allem auf zwei Säulen beruhte: allmähliche Verringerung des primären Haushaltsdefizits und ein ehrgeiziges Inflationsziel, das das jährliche Preiswachstum innerhalb von nur drei Jahren auf ein einstelliges Niveau senken sollte.

Die Märkte jubelten. Die vorherrschende Meinung, die von der argentinischen Regierung eifrig gefördert wurde, war, dass das Land getan hatte, was notwendig war, um ein nachhaltigeres Wirtschaftswachstum zu erreichen. Vermutlich würden ausländische Direktinvestitionen einfließen. Aber genau das passierte nicht.

Stattdessen litt Argentinien 2016 an einer Stagflation, gefolgt von einer auf Verschuldung basierenden Erholung im Jahr 2017. Dies führte zu einem Anschwellen der Importe, welches aber nicht von einem proportionalen Anstieg der Exporte begleitet wurde, wodurch das Leistungsbilanzdefizit auf 4,6% des BIP wuchs und die Zweifel über die Vorzüge des neuen Ansatzes ebenfalls zunahmen.

Dann, vor ein paar Wochen, hörten die Märkte auf Beifall zu klatschen, die Erwartungen stiegen enorm und die Kapitalflucht begann. Der Peso verlor in den ersten drei Mai-Wochen 19% gegenüber dem US-Dollar.

Im Gegensatz zu den Hoffnungen von Macri wurden bei seinen Reformen hauptsächlich kurzfristiges Portfoliokapital und Finanzierungen in Form von Obligationen sowohl in ausländischer als auch in nationaler Währung und nicht als ausländische Direkt-investitionen angezogen. Argentiniens Zentralbank erwies sich zudem als ein wesentlicher Teil des Problems; während Macris Ansatz bei der Senkung der Inflation auf das Zielniveau (die Jahresrate liegt immer noch bei etwa 25%) weitgehend unwirksam blieb, begünstigten hohe Zinssätze den Zufluss von Spekulationskapital, was die außen-wirtschaftlichen Ungleichgewichte verschärfte und die Anfälligkeit Argentiniens gegenüber externen Schocks erhöhte.

Im Rahmen ihres auf ein Inflationsziel ausgerichteten Ansatzes hatte die Zentralbank einen Großteil der Erhöhungen der Geldbasis durch den Verkauf von Zentralbank-Anleihen (LEBACS) sterilisiert. Dies bedeutet, dass der öffentliche Sektor den größten Teil des beträchtlichen Primärdefizits (4,2% bzw. 3,83% des BIP in den Jahren 2016 und 2017) effektiv durch kurzfristige Notenbankemissionen finanziert hat. Die Emission der LEBACS fiel sehr massiv aus und stieg seit Dezember 2015 um sage und schreibe 345%. Dies wäre möglicherweise nachhaltig gewesen, hätten die Erwartungen in Bezug auf die Aussichten Argentiniens früher bestätigt werden können.

Es gab offensichtlich Kompromisse. Eine weniger aggressive Sterilisierung hätte das Wachstum der Zentralbankschulden, das sich jetzt als riskant erwiesen hat, eingedämmt und hätte den Aufwärtsdruck auf den Wechselkurs verhindert; aber sie hätte dann zu einer höheren Inflation geführt. Nichtsdestotrotz wäre der Versuch, die Inflation und das Haushaltsdefizit in ähnlichen Geschwindigkeiten zu senken, ein umsichtigerer Ansatz gewesen. Schließlich sollten makroökonomische politische Entscheidungen nicht auf der Grundlage des optimistischsten Szenarios getroffen werden, wenn tatsächlich die Kosten für verpasste Erwartungen hoch ausfallen könnten.

Die Währungskrise offenbarte letztlich die argentinischen Schwachstellen. Mit Blick auf die Zukunft wird das Land weiterhin verschiedenen Risikoquellen ausgesetzt sein. Erstens gibt es immer noch einen großen Bestand an LEBACS. Und jedes Mal, wenn ein beträchtlicher Teil dieser Schulden fällig wird, wird Argentinien eine Geisel der Finanzmärkte sein.

Dies wird die erwartete Volatilität der Wechselkurse erhöhen, was Chancen für spekulative Finanzanlagen schaffen kann, aber Investitionen in die Realwirtschaft abschrecken wird. Zweitens, da die Schulden des öffentlichen Sektors in Fremdwährungen viel höher sind als noch vor zwei Jahren, wird der Anstieg des Wechselkursrisikos auch die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung in Frage stellen.

Um festzustellen, wohin sich Argentinien nach der Krise bewegt, müssen einige wichtige Elemente hervorgehoben werden, mit denen diese Episode gehandhabt wurde. Erstens verlor die Zentralbank in nur einem Monat 10% ihres gesamten Bestandes an Devisenreserven. Zweitens wurde der jährliche Nominalzinssatz für die LEBACS auf 40% angehoben – der höchste der Welt und ein Schritt, der die Gefahr mit sich bringt, ein Schneeballsystem von Zentralbankschulden zu schaffen. Drittens, und für die Argentinier am schockierendsten, kündigte Macri an, dass das Land ein Bereitschaftsabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds anstreben würde.

Wenn also der öffentliche Sektor Argentiniens in den kommenden Jahren in eine Notlage geraten wird, muss er sich der Aufsicht des IWF unterwerfen – zwar selbst nur ein weiterer Gläubiger, aber auch gleichzeitig eine Institution, die von den internationalen Gläubigern dominiert wird. Zu diesem Zeitpunkt könnte die Konditionalität, die der IWF im Gegenzug für die Finanzierung auferlegt, schwere Schäden verursachen.

Am besorgniserregendsten ist aber, dass der auf ein Inflationsziel ausgerichtete Ansatz, der die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte Argentiniens verschärft hatte, erneut bekräftigt wurde. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn ein neuer Zyklus der realen Wechselkursanstiege im Jahr 2019 beginnt. Mit einer Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr wäre das eine gute Nachricht für Macri; aber es würde nichts Gutes für Argentiniens Zukunft bedeuten.

Da sein Ansatz, die argentinische Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, bisher gescheitert ist und stattdessen die Abhängigkeit des Landes von internationalen Gläubigern erhöht hat, steht seine Regierung vor der Herausforderung, eine erneute Schuldenkrise zu vermeiden. Zum Schutz der wirtschaftlichen Aktivitäten und zur Beseitigung von Anfälligkeiten sollte die Strategie des schrittweisen Abbaus des primären Haushaltsdefizits beibehalten werden.

Um Argentinien vor einem Anstieg externer Ungleichgewichte zu bewahren, die die Tragfähigkeit der Auslandsschulden beeinträchtigen, muss sich die Geldpolitik ändern. Das bedeutet endlich zu erkennen, dass der Versuch, die Inflation viel schneller als das Haushaltsdefizit zu senken, kostspielige Risiken mit sich bringt. Der vorsichtige Weg erfordert auch eine allmähliche Verringerung des LIBAC-Bestandes, da ein höherer Inflationsdruck auf kurze Sicht der Preis für die Minimierung des Risikos langfristiger höherer externer Ungleichgewichte und größerer Wechselkursabwertungen wäre.

Und es wäre sicherlich auch ein Fehler, die Steuer auf Sojabohnenexporte weiter zu senken, wie es die Macri-Regierung angekündigt hat. Weitere Steuersenkungen würden das Defizit erhöhen und gleichzeitig einem Sektor zugute kommen, der bereits über hohe Einnahmen verfügt.

Eine Änderung der makroökonomischen Politik allein wird nicht ausreichen, um Argentinien auf einen Weg der umfassenden und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung zu führen. Dennoch ist sie unumgänglich. Zu Beginn von Macris Regentschaft gab es Warnungen, dass er einen sehr (zu?) riskanten Ansatz gewählt habe. Leider wurden diese Warnungen ignoriert. Die von uns empfohlene Strategie ist nicht ohne eigene Risiken. Aber wir sind davon überzeugt, dass sie einen brauchbaren und solideren Weg nach vorne bietet.

  1. [1]Vgl. https://www.nytimes.com/2016/04/01/opinion/how-hedge-funds-held-argentina-for-ransom.html (Zugriff 28.06.2018)

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages der beiden INET-Ökonomen Martin Guzman und Joe Stiglitz)