Bedenke, dass Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.
Benjamin Franklin, Advice to a Young Tradesman, 1748
Zwei Wege trennten sich in einem Wald, und ich-
ich nahm den, auf dem nur wenige reisten,
Und das allein hat alles verändert.Robert Frost, The Road Not Taken, 1916
Gemeinsame Produktionsmöglichkeiten von Crusoe und Freitag in der Robinson-Crusoe-Wirtschaft
Was sind Opportunitätskosten?
Ökonomen sind berühmt dafür, untereinander uneins zu sein. Keynesianer diskutieren mit Monetaristen über Fiskalpolitik. Mitglieder der Chicago School, einschließlich einer Reihe von „Nobelpreisträgern“ befürworten ungehinderte freie Märkte, während das Argument für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft von Ökonomen wie Paul Krugman, Amartya Sen und Joseph Stiglitz verfochten wird, die ebenfalls alle diesen Preis erhalten haben.
Wie schon George Bernard Shaw gesagt haben soll: „Selbst wenn man alle Wirtschafts- wissenschaftler der Welt hintereinander legen würde, kämen sie doch zu keinem gemeinsamen Schluss.“
Und doch gibt es eine ökonomische Denkweise, die jeden ernsthaften Ökonomen, unabhängig von ihren jeweiligen Ansichten über Politik, von fast jedem anderen trennt, der nicht Volkswirtschaftslehre studiert hat. Das Herzstück dieser Denkweise ist das Konzept der Opportunitätskosten. Diese Schlüssel-Idee kommt natürlich in den ersten Wochen jedes Ökonomiekurses auf, und die Definition ist einfach genug, um sie abzuspeichern und neu zu formulieren. In den Regeln der Opportunitätskosten denken zu lernen dauert dagegen viel länger, und viele Schüler (darunter einige, die später einmal professionelle Ökonomen werden) tun das nie.
Auf der anderen Seite begreifen einige Leute wie Benjamin Franklin diese Idee auch ohne formale Ausbildung. Franklins Beobachtung, dass wie oben zitiert „Zeit Geld“ ist, mutet wie eine Binsenweisheit an, so dass man es oft als ein traditionelles Sprichwort ansieht, und dabei die von ihm gemachte akute Beobachtung vernachlässigt. Franklins Erklärung weist auf eine viel umfassendere Erkenntnis, die die Grundlage für die zentrale Idee der Wirtschaftswissenschaften bildet: die Opportunitätskosten.
Die Idee der Opportunitätskosten ist untrennbar mit einer Auswahl verbunden. Wenn wir die Wahl zwischen Alternativen haben, bedeutet die Wahl der einen implizit den Verzicht auf die andere. Mit den Worten von Robert Frost gesprochen, sind die Opportunitäts- kosten für das Betreten des einen Weges der Verzicht auf das, was man auf dem anderen Weg gefunden hätte, den man nicht genommen hat. Es ist dieser ungenutzte Weg, und nicht irgendwelche monetäre Maßnahmen, welcher richtigerweise als der Preis für unsere Wahl angesehen wird.
Um es kurz zusammenzufassen:
Die Opportunitätskosten von etwas, das einen Wert hat, sind das, was man aufgeben müsste, um es zu bekommen.
Das ist eine Idee, die erst einmal recht einfach erscheint, aber sich schnell als unerwartet subtil herausstellt. Die Lektion der Opportunitätskosten ist einfach zu erklären, aber schwer zu lernen. Ein großer Teil jedes guten Einführungskurses in Wirtschafts-wissenschaften besteht aus Versuchen, die Schüler zu einem Verständnis dieser Idee zu führen.
Lassen Sie uns dazu ein Beispiel betrachten, beginnend mit einigen einfachen (in der Tat, stark vereinfachten) Fällen aus dem Lehrbuch. Für Menschen, die sich weitgehend autark versorgen oder in erster Linie Tauschhandel betreiben, können Opportunitätskosten in einfachen Worten beschrieben werden. Deshalb verbringen Kurse in der Einführungsökonomie so viel Zeit damit, sich Gedanken über Robinson Crusoe zu machen, allein auf seiner Insel, oder in Tauschgeschäften mit Freitag beschäftigt.
Wenn Crusoe einen Tag mit Angeln verbringt, während die beste Alternative das Pflücken von Kokosnüssen gewesen wäre, so sind die Opportunitätskosten des Fisches, den er zum Abendessen verspeist, die Kokosnüsse, die er hätte essen können, wenn er den Tag mit Nahrungssuche an Land verbracht hätte.
Alternativ hätte Crusoe vielleicht seinen Fisch mit Freitag im Gegenzug für, sagen wir, einige gebratene Ziegen gehandelt haben. Wenn der Handel abgeschlossen wird, dann wären Crusoes Opportunitätskosten für sein Ziegen-Abendessen der Fisch, den er dafür eingetauscht hat. Für Freitag wäre es umgekehrt. Er bekommt Fisch zum Abendessen, und die Ziege stellt die Opportunitätskosten dar.
Selbstverständlich sind diese Beispiele vereinfacht und verbergen eine Reihe von Komplexitäten. Einige davon sind sofort erwähnenswert. Erstens kann Crusoe nicht sicher sein, was passiert, wenn er auf die Suche nach Kokosnüssen geht anstatt zum Angeln. Das Problem der Unsicherheit ist unausweichlich und oft unlösbar. Zweitens, bei der Erörterung des Handels haben wir nicht gesagt, woher Crusoe die Fische und Freitag die Ziegen hatten. Diese beiden Fragen, und die Komplexität, die sie aufwerfen, gehen allerdings über eine Einführung in diese Thema weit hinaus und könne daher in diesem Beitrag nicht weiter verfolgt werden.
Die Berücksichtigung von Geld verkompliziert das Problem dann sogar noch mehr und bietet viele Möglichkeiten für trügerische Annahmen. Die Lektion über die Opportunitätskosten zeigt, dass es im Gegensatz zu der populären Ansicht in der Wirtschaft nicht „nur ums Geld geht“. In der Tat ist die Lehre der Opportunitätskosten schwieriger zu verstehen, je mehr man gewöhnt ist in Kosten und Nutzen in finanzieller Hinsicht zu denken. Das Prinzip der Opportunitätskosten ist relevant für Entscheidungen aller Art, egal, ob sie mit irgendwelchen monetären Kosten verbunden sind oder nicht.
Manchmal ist der Preis einer Ware oder Dienstleistung in Geld ein gutes Maß für ihre Opportunitätskosten. Aber sehr oft, wie schon Benjamin Franklin erkannt hatte, ist es das nicht. Die sechs Pence für die in Muße verbrachte Untätigkeit sind nur ein Teil der Opportunitätskosten für einen freien Tag. Und auch das Hinzufügen des Verdienstausfalls von fünf Schilling kann die gesamten Kosten nicht erfassen. Vielleicht hätte sich ein hart arbeitender Kaufmann ein wenig Goodwill aufbauen können, was zu künftiger Nachfrage nach seinen Dienstleistungen geführt hätte; auch dies ist ein Teil der Opportunitätskosten.
Opportunitätskosten sind ebenso relevant für die öffentliche Ordnung. Dies ist offensichtlich in Bezug auf Entscheidungen, einige bestimmte Waren oder Dienstleistungen für die Öffentlichkeit bereitzustellen. Bei einer solchen Entscheidung verzichten Regierungen häufig auf andere Möglichkeiten, darunter alternative Verwendungmöglichkeiten, Kürzungen bei den Steuern oder die Senkung der Staatsverschuldung (welche höhere Ausgaben in der Zukunft ermöglicht). Die Opportunitätskosten für einen bestimmten Teil der öffentlichen Ausgaben sind gleich dem Wert der besten verfügbaren Alternative.
Manchmal erweckt die Art, in der Entscheidungen vorgestellt werden den Anschein, dass ein attraktives Gut kostenlos bezogen werden kann. Allerdings zeigt eine sorgfältige Prüfung der Alternativen in der Regel, dass sie doch mit Opportunitätskosten verbunden sind. Einige Beispiele dazu werden wir weiter unten sehen.
Die Idee der Opportunitätskosten
Die Idee der Opportunitätskosten ist eine natürliche Folge der Moderne. In einer traditionellen Gesellschaft erfolgten die meisten wirtschaftlichen Entscheidungen auf der Grundlage von Gebräuchen oder festen Verpflichtungen (was Karl Marx „bunte feudale Bindungen“ genannt hat). Die zentrale Idee der Tradition ist, das zu tun, was vorher gemacht wurde. In einer modernen Gesellschaft sind wir dagegen die ganze Zeit mit neuen Entscheidungen konfrontiert, beispielsweise wie und wofür wir unsere Haushalts- einkommen ausgeben, wie das Geschäft der Produktion verwaltet und wie die öffentliche Ordnung bestimmt wird.
Wir haben bereits durch Benjamin Franklin die möglicherweise erste Präsentation der Idee der Opportunitätskosten gesehen. Franklin stellte sie wie einen Teil praktischer Weisheit dar, natürlich anwendbar in einer modernen Handelsgesellschaft, und insbesondere für die „Kaufleute“ (dieser Begriff umfasste Ladenbesitzer ebenso wie auch selbstständige Handwerker), an die er seinen Rat gerichtet hatte. Aber sie ist in gleicher Weise übertragbar auf jeden, der die komplexen Entscheidungen fällen muss, die das moderne Leben mit sich bringen.
Der erste Wirtschaftswissenschaftler, der die Idee der Opportunitätskosten verwendete (wenn auch nicht den Namen) war David Ricardo. Ricardos Theorie der komparativen Vorteile des Handels markierte einen wesentlichen Fortschritt mit der Annahme, dass der Handel durch die Unterschiede in der für die Produktion von Gütern erforderlichen Arbeitszeiten in verschiedenen Ländern bestimmt würde. Wie Ricardo beobachtete, zählten dabei vor allem die Opportunitätskosten für die Herstellung der einen Ware, ausgedrückt im Verhältnis zu denen einer anderen.
Frederic Bastiat war der Erste, der die Idee der Opportunitätskosten als polemische Waffe einsetzte (wenn auch wiederum nicht den Namen). Bastiat verhinderte mit falschen Argumenten eine Vielzahl von eigentlich sinnvollen Vorschlägen und unterstützte dabei bestimmte Branchen mit dem Hinweis darauf, dass die Befürworter sich nur auf die Vorteile des von ihnen gewählten Weges konzentriert hätten, ohne Berücksichtigung der Opportunitätskosten des nicht genommenen (unsichtbaren) Weges.
Ricardo und Bastiat sind bekannte Namen in der Geschichte des ökonomischen Denkens. Das gleiche kann nicht von Friedrich von Wieser gesagt werden, dem österreichischen Wirtschaftswissenschaftler, der den Begriff „Opportunitätskosten“ zusammen mit dem ebenso bemerkenswerten Ausdruck des „Grenznutzens“ geprägt hatte. Zusammen mit Carl Menger und Eugen Böhm von Bawerk war Wieser einer der Gründer der „Österreichischen Schule“ der Ökonomie.
Für Wieser war das Konzept der Opportunitätskosten nicht nur bei Entscheidungen auf Märkten anwendbar, sondern auch wenn es um die Verteilung von Reichtum und Ressourcen für die Gemeinschaft als Ganzes geht. Ein sehr ungleiche Verteilung des Reichtums bedeutet, dass der Luxuskonsum der Reichen den Vorrang erhält gegenüber den Grundbedürfnissen der Armen. Wieser beobachtete:
Es ist daher die Verteilung des Wohlstands, die darüber entscheidet, was produziert wird, und dies führt somit zu einem Konsumenten der eher nicht-ökonomischen Sorte: ein Endverbraucher, der für unnötige profane Vergnügen wegwirft, was ansonsten genutzt werden könnte, um die Wunden der Armut zu heilen.
Wieser verwendete diese Idee beispielsweise dazu, um eine progressive Einkommensteuer zu rechtfertigen.
Die Idee der Opportunitätskosten wurde dagegen von österreichischen und österreichisch geprägten Ökonomen, vor allem FA Hayek, Ludwig von Mises und Lionel Robbins in den Mainstream der Wirtschaftswissenschaften eingeführt. Leider waren alle drei dogmatische Verfechter des freien Marktes, welcher aber Wiesers Idee die egalitären Implikationen raubte.
Mainstream-Ökonomen akzeptierten weitestgehend Robbins Diktum, dass zwischenmenschliche Vergleiche des Wohlbefindens als „unwissenschaftlich“ abgelehnt werden sollten und versuchten, den Begriff der Wohlfahrtsökonomie ohne Bezug auf Konzepte wie den „Grenznutzen“ (ein weiterer von Wieser geprägter Ausdruck) wieder aufzubauen. Zu der Zeit, als Theoretiker wie Peter Diamond and James Mirrlees in den 1970er Jahren zum Problem der optimalen Besteuerung zurückkehrten, ging der Bezug zu Wiesers Werk und damit auch zum Konzept der Opportunitätskosten verloren.
Anstatt die Anwendung des Opportunitätskostenprinzips auf die tatsächlichen Probleme der Wirtschaft zu fördern, verfolgten Wiesers Schüler Hayek und Mises einen weit weniger fruchtbaren Aspekt seiner Arbeit: die unnütze Auseinandersetzung aus dem 19. Jahrhundert über die „Werttheorie“. Durch die Unterordnung der wirtschaftlichen Analyse unter den dogmatischen „Marktfundamentalismus“ führten Hayek und Mises die österreichische Schule der Nationalökonomie stattdessen in eine Sackgasse, aus der sie bis heute nicht entkommen konnte.
(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen John Quiggin. Als Einstieg in das Thema Opportunitätskosten siehe den Beitrag Pareto und der libertäre Weg zur Diktatur)