Schadet die wachsende Ungleichheit unserer Wirtschaft?

Die Debatte über die Legitimität der mächtigen Eliten, die Jahr für Jahr einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens und des Vermögenskuchens für sich erobern, gewinnt in der öffentlichen Diskussion weiter an Bedeutung.

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Karikatur des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg

Zuckerberg – selbst einer der reichsten Männer der Welt – merkte unlängst während einer Rede an der Harvard University nach einer Ehrendoktor-Verleihung an, dass „wir heute eine Ebene der Vermögensungleichheit erreicht haben, die eigentlich jedem wehtut“.

Forscher und Wissenschaftler haben zudem auch damit begonnen, den immer wiederkehrenden klassischen Gegensatz von Gerechtigkeit und Effizienz, der die konventionelle ökonomische Theorie durchdringt und somit seit vielen Jahrzehnten zur Vernachlässigung von Verteilungsfragen geführt hatte, nun endlich eindeutig aufzubrechen.

Die Idee, dass das Verständnis der ökonomischen Ungleichheit „unser Verständnis für verschiedene Bereiche der Ökonomie“ unterstützt, steht nunmehr im Vordergrund. Ein klares Beispiel für diesen Paradigmenwechsel ist die Erkenntnis, dass die Trans-missionsmechanismen der Geldpolitik durch Verteilungsfragen wesentlich beeinflusst werden können.

Der jüngste Zusammenbruch des globalen Finanzsystems 2007-2008 fungierte natürlich als Katalysator für wachsende Bedenken um die zunehmende Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Anschließend unterstrich Thomas Piketty mit seiner bahnbrechenden Veröffentlichung „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ sehr deutlich das Risiko der zunehmenden Bedeutung der ererbten intergenerationellen Vorteile bei der Umwandlung unserer Gesellschaften in patrimoniale kapitalistische Volkswirtschaften, die von reichen Dynastien dominiert wurden.

Das Hauptargument seines Buches beruht jedoch darauf, wie die Ungleichheit der Vermögensentwicklung im Laufe der Zeit von makroökonomischen Umständen beeinflusst sein könnte – hauptsächlich durch den Unterschied zwischen der durchschnittlichen Kapitalrendite und der Wachstumsrate der Gesamtwirtschaft. Die umgekehrte Richtung der Untersuchung – wie die makroökonomische Performance durch das Ausmaß der Ungleichheit betroffen sein mag – bleibt allerdings außerhalb des Umfangs der Analyse und Modellierung von Piketty.

Eine Überprüfung des Nexus von Ungleichheit und Makroökonomie
Die Idee, dass Ungleichheit einer der Faktoren sein kann, die die makroökonomische Performance und die finanzielle Stabilität beeinflussen, ist das Untersuchungsobjekt eines Kapitels, das ich in dem kürzlich erschienenen Buch „Nach Piketty: Eine Agenda für Wirtschaft und Ungleichheit“ geschrieben habe.

Tatsächlich ist die Erforschung der (recht komplexen) Beziehung zwischen Ungleichheit und Wirtschaftswachstum in der bisherigen empirischen Literatur mit unterschiedlichen Befunden und Hypothesen, die in verschiedene Richtungen weisen, hervorgehoben worden.

Theoretisch war dies zu erwarten, da einerseits Einkommens- und Vermögens-verteilungen, die sich aus Unterschieden in Leistungen, Produktivität und Risiko-bewertung ergeben, eine Grundvoraussetzung für Investitions- und Innovationsanreize sind. Auf der anderen Seite kann ein hohes Maß an wirtschaftlicher Ungleichheit über eine Vielzahl von Kanälen – Konsum, Investitionen in physisches und Humankapital oder die Suche nach Gewinnen – das Wirtschaftswachstum negativ beeinflussen.

Da immer mehr zuverlässige Daten für Forscher zur Verfügung stehen, ist das Thema wieder stärker in den Fokus der aktiven empirischen Untersuchung geraten. Und in der Tat deutet eine wachsende Anzahl empirischer Befunde und Beweise darauf hin, dass die Idee, dass eine gerechtere Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen das Wirtschaftswachstum schädigt, eindeutig von diesen Daten nicht bestätigt werden kann.

Warum würde das Wirtschaftswachstum von einer gerechteren Verteilung der Ressourcen profitieren?
Die ökonomische Theorie bietet unterschiedliche Ansätze, warum der sogenannte Equity-Effizienz-Kompromiss auseinanderfallen könnte.

Erstens, wenn der größte Anteil der Verteilung der ökonomischen Ergebnisse von Einzelpersonen aus der Ungleichheit von Chancen resultieren – also aus Umständen außerhalb ihrer eigenen Kontrolle wie Familienhintergrund, Rasse und Geschlecht – könnte das Potenzial und die Ziele der Einzelnen eingeschränkt werden, die Zuteilung der Ressourcen könnte verzerrt werden, da ökonomische Chancen nicht unbedingt den Talentiertesten, sondern eher nach den gegebenen individuellen Verhältnissen zuteil werden und das Wirtschaftswachstum dadurch wiederum geschwächt werden könnte.

Zweitens kann eine hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit in Verbindung mit der Unvollkommenheit sowohl der Kapital- als auch der Versicherungsmärkte für die Wirtschaftstätigkeit nachteilig sein, da nur diejenigen, die ausreichend hohe Vermögen erben die Fixkosten der unternehmerischen Tätigkeit oder Ausbildung bezahlen können und so immer produktivere und besser bezahlte Fachkräfte werden. Dies ist nachteilig, da somit die Bildung für Menschen mit dem höchstmöglichen marginalen Grenzgewinn aus dieser Entwicklung ausgeschlossen werden kann und wir darüber hinaus überzeugt sind, dass unternehmerische Fähigkeiten eher zufällig verteilt und nicht dynastisch in der Familie oder Firma übernommen werden.

Drittens können Investitionen in produktives Kapital und risikoreiche Aktivitäten selbst durch eine sehr ungleiche Verteilung der Ressourcen infolge zunehmender leistungsloser Privilegierung oder anderer Enteignungsmaßnahmen, die von der Regierung oder relativ armen/reichen Menschen durchgeführt werden könnten, verhindert werden (je nachdem welches spezifische politische Wirtschaftsmodell wir gerade im Sinn haben). Insbesondere könnte die Enteignung auch in unseren modernen fortgeschrittenen Volkswirtschaften durch reiche Eliten veranlasst werden, indem sie juristische, politische und regulatorische Institutionen dazu veranlassen, zu ihren Gunsten zu arbeiten und so ihr Wohlstandsniveau weiter zu erhöhen.

Doch fördert die Vermögensungleichheit tatsächlich die Maximierung der politischen Einflussnahme reicher Eliten? Eine neuere Arbeit von Bonica und Rosenthal dokumentierte die US-Wahlkampagnenbeiträge der nach Forbes 400 reichsten Personen zwischen 1982 und 2012. Ihre Zahlen implizieren eine durchschnittliche individuelle Spende von $ 10.000 für jede $ 1 Million Zunahme des Vermögens – vermutlich eine relativ einfache Leistung für einen Milliardär. Der hohe Grad des politischen Aktivismus der wohlhabenden Amerikaner zeigte sich auch in der Forschung von Page, Bartels und Seawright, demnach fast die Hälfte der sehr wohlhabenden Befragten einer Umfrage in der Metropolregion von Chicago zufolge mindestens einen Kontakt mit einem Kongressbüro innerhalb der letzten sechs Monate hatten.

Darüberhinaus ließen etwa die Hälfte der erfassten und entschlüsselten Kontakte „einen Fokus auf ein recht engstirniges ökonomisches Eigeninteresse“ erkennen. Nicht überraschend stimmte dieses nicht immer mit dem allgemeinen generellen Interesse überein. Im Einklang mit diesem Rahmen dokumentierte eine aktuelle Arbeit von Bagchi und Svejnar eine negative Beziehung zwischen Vermögensungleichheit und dem Wirtschaftswachstum in den Ländern, in denen das Ausmaß dieser Vermögens-ungleichheit vor allem auf „politische Verbindungen“ zurückzuführen sei.

Über das Wirtschaftswachstum hinausgehen
Das ökonomische Wachstum ist sicherlich ein wichtiger Aspekt der makroökonomischen Leistung. Allerdings könnten auch andere Merkmale des Wachstumsprozesses und der makroökonomischen Performance ebenso relevant ausfallen. Zum Beispiel wären die Volatilität des Wachstumspfads, die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung, die Schock-Widerstandsfähigkeit einer Ökonomie, die Dauer wirtschaftlicher Rezessionen sowie die Häufigkeit finanzieller Ungleichgewichte und Instabilitäten allesamt sehr bedeutende Merkmale des makroökonomischen Erfolgs, die es zu erkunden lohnt. Diese Themen werden weiter unten behandelt.

Führt die Ungleichheit zu einer volatilen Gesamtleistung und einem kurzlebigen Wachstum?
Die Forschung des IWF lehnt diese Hypothesen sicherlich nicht rundweg ab. Auf der einen Seite scheinen Länder mit einer höheren Einkommensungleichheit nicht in der Lage zu sein, das BIP-Wachstum lange zu stoppen, sobald es einmal gestartet ist. Auf der anderen Seite wurden 70 Prozent der Veränderungen des US-Konsums während des Jahrzehnts von 2003 bis 2013 auf das Verhalten der Einzelpersonen im oberen Dezil der Einkommensverteilung zurückgeführt.

In der Tat deuten diese Zahlen, wie von Robert Frank bemerkt, darauf hin dass „Amerikas Abhängigkeit von den Reichen und der großen Volatilität unter den Reichen ein volatileres Amerika ausgleicht.“ Die einflussreiche Arbeit von Mian und Sufi stellte stattdessen fest, dass ärmere US-Haushalte (hochverschuldet und mit einer hohen Neigung zum Konsum) den größten Rückschlag aus dem Absturz der US-Immobilienpreise nach 2007 erlitten und daher auch für den starken Rückgang des Gesamtkonsums und des anschließenden Verlustes an Arbeitsplätzen verantwortlich waren. Auf den ersten Blick müssten diese beiden Ideen eigentlich im Widerspruch zueinander stehen, doch sie können vielleicht vereint als verschiedene Seiten derselben Ungleichheitsmünze gesehen werden.

Sind Rezessionen in ungleicheren Ländern tiefgreifender und langanhaltender?
Unterstützung für die Idee, dass Einkommensungleichheit die volle wirtschaftliche Erholung nach Rezessionen verzögern kann, findet sich in Studien für den Fall der Vereinigten Staaten, sowohl auf der aggregierten Ebene als auch auf einem einzelstaatlichen Level.

Darüber hinaus hat eine frühere länderübergreifende Studie von Rodrik hervorgehoben, wie Staaten mit größeren sozialen Spaltungen und schwächeren Institutionen die schärfsten Rückgänge des BIP-Wachstums von 1975 bis zum Ende der 80er Jahre erlebt haben (eine sehr turbulente Periode aus makroökonomischer Sicht) – die Idee, dass die Politik, die in Reaktion auf einen externen Schock umgesetzt wird, in der Regel erhebliche verteilungspolitische Implikationen mit sich bringt, während der latente soziale Konflikt und die hohe soziale Teilung („nach Reichtum, der ethnischen Identität, der geographischen Region oder anderen Einteilungen“), welche die Wirtschaft durchdringen, ihre Umsetzung verzögern und zu „makroökonomischem Missmanagement“ führen könnten.

Es ist anzunehmen, dass jede unabhängige Gruppe versuchen würde eine geringere Belastung durch einen negativen Schock zu verhandeln und der Anteil der Ressourcen, die für kontraproduktive Aktivitäten zur politischen Einflussnahme aufgewendet werden, steigen würde. Infolgedessen kann die Größe des Kollaps des Wachstums durch äußere Schocks höher sein und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber externen Schocks kann wesentlich beschädigt werden.

Führt Ungleichheit zur finanziellen Instabilität oder zur Anhäufung von finanziellen Ungleichgewichten?
Es wurde eine Reihe von theoretischen Erwägungen vorgebracht, die darauf hindeuten, dass der Grad der Ungleichheit einen direkten Einfluss auf die gesamtwirtschaftlichen Einsparungen und den Konsum sowie auf die Nachfrage und die Kreditvergabe haben kann. Relative Einkommens- und Ausgabenvergleiche können zum Beispiel einen bedeutenden Einfluss darauf haben, wofür die Leute ihr Geld ausgeben, wie viel sie sparen und wie viel Schulden sie ansammeln.

Empirische Befunde sind bislang umstritten: Die Forschung auf der Grundlage von aggregierten Daten und Cross-Country-Analysen unterstreicht positive Korrelationen zwischen Ungleichheit, überhöhtem Konsum der Haushalte und der Verschuldung, während die auf Mikrodaten basierenden Beweise weniger konsistent erscheinen und diese Hypothese entsprechend weniger unterstützen.

Ebenso wurden wenig Beweise für die Idee gefunden, dass die steigende Ungleichheit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer finanziellen Krise erhöht. Weitere Untersuchungen des vermeintlichen Zusammenhangs von Ungleichheit und Privatschulden wären besonders relevant, da die jüngste Krise weitgehend das Ergebnis des Ausbruchs einer schuldenfinanzierten Immobilien- und Konsumblase war, die vor allem den privaten Sektor der Wirtschaft betraf.

Die wachsende Ungleichheit nützt allerdings nicht der Makroökonomie
Aus der Untersuchung einer wachsenden Zahl neuer und alter Beweise über die Ungleichheit und die Makroökonomie könnte man leicht darauf schließen, dass die zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit die Räder des Wirtschafts-wachstums zu schleifen scheint, die Fahrt insgesamt holpriger macht mit Höhen und Tiefen und potenziell das Risiko eines fatalen Crashs erhöht.

Dies kann eine instrumentelle Rechtfertigung für effektive koordinierte Maßnahmen der Regierungen zur Verringerung der Einkommens-und Vermögensungleichheit schaffen, die über die klassischen Bedenken hinsichtlich des Verteilungsgerechtigkeit und der Fairness hinausgehen.

Am wichtigsten erscheint daher, dass das Verständnis der Determinanten der ökonomischen Ungleichheit von grundlegender Bedeutung ist, um von Fall zu Fall die unvermeidliche ungewisse Natur des Verhältnisses zwischen aggregierter Performance und Ungleichheit zu begründen. Dies würde jeden vor der Verabschiedung eines neuen generischen Konsenses über die nachteiligen Auswirkungen der Ungleichheit auf die wirtschaftliche Stabilität warnen, der „ähnlich in die Irre führen würde, wie es der alte getan hatte“.

Wenn überhaupt können wir jetzt endlich aufhören, die zunehmenden Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen aus ökonomischen Gründen als unvermeidlich zu recht-fertigen.

Die Verringerung der Ungleichheit, die Einschränkungen der substantiellen Freiheit und der Chancen jedes Einzelnen wird eher nicht frustrieren, sondern möglicherweise den Weg der ökonomischen Prosperität und Stabilität verstärken; sie stellt einen Gewinn dar, den jede demokratische Gesellschaft anstreben muss.

(Eigene Übersetzung eines Beitrages des italienischen Ökonomen Salvatore Morelli)