Wolfgang Schäubles Ideen sind weiterhin lebendig und munter…

Der kürzlich verstorbene Wolfgang Schäuble war eine zentrale Figur in der politischen Landschaft Deutschlands.

Angela Merkel, Wolfgang Schäuble (Tobias Koch) 1
Wolfgang Schäuble und Angela Merkel 2014

Der CDU-Bundestagsabgeordnete von 1972 bis zu seinem Tod stand Bundeskanzler Helmut Kohl sehr nahe und gehörte als Jurist zu den Unterhändlern des Vertrags, der die Wiedervereinigung mit der DDR herbeiführte. Doch erst mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin wurde Schäuble über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Einige Jahre lang Innenminister, 2009 wurde er zum Finanzminister ernannt, wenige Wochen vor den Enthüllungen über den Zustand der griechischen Staatsfinanzen, die die Staatsschuldenkrise auslösten. Seitdem ist er eine der zentralen Figuren im katastrophalen Krisenmanagement.

Als überzeugter Pro-Europäer war er dennoch stets davon überzeugt, dass die Integration nur erreicht werden kann, wenn die europäische Wirtschaft in ein dichtes Netz von Regeln eingebunden wird, das die öffentliche und private Sparsamkeit garantiert, die notwendig ist, um die EU auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu machen.

Schäuble war der wichtigste Bannerträger der „Berliner Sichtweise“ (oder Brüssel oder Frankfurt, die von den damaligen Chefs der Europäischen Kommission und der EZB übernommen wurde), die die Schuldenkrise auf die fiskalische Verschwendung und den Mangel an Reformen der sogenannten „peripheren“ EWU-Länder zurückführte.

Ein Narrativ über die Krise, die den Krisenländern „Hausaufgaben“ (Austerität und Strukturreformen) aufgezwungen hat: Schäubles Unnachgiebigkeit, unterstützt von Angela Merkel, der Kommission und der EZB (und manchmal auch gegen den IWF, der oft einen pragmatischeren Ansatz verfolgte), verdanken wir die drakonischen Bedingungen, die den griechischen Regierungen im Gegenzug für finanzielle Unterstützung durch die sogenannte Troika auferlegt wurden.

In jenen Jahren plädierten er und der damalige Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, entgegen aller empirischen Beweise für eine expansive Austerität, die Vorstellung, dass fiskalische Restriktionen angeblich die Lebensgeister der Märkte befreien und damit das Wachstum wiederbeleben würden.

Eine Sparpolitik, die Schäuble den Krisenländern auferlegte, aber auch im eigenen Land befolgte. Anlässlich seines Ausscheidens aus dem Finanzministerium im Jahr 2017 ging das Foto der Mitarbeiter, die als Hommage an das Erreichen eines ausgeglichenen Haushaltsziels eine große Null im Hof bilden, um die Welt.

Die Geschichte hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wirkungslosigkeit und die Kosten dieser Strategie aufzuzeigen. Es überrascht nicht, dass Austerität fast nie expansiv ist und es in der Eurozone sicherlich nicht war.

Die den EWU-Peripherieländern auferlegte Haushaltsanpassung löste eine Krise aus, die für einige von ihnen bis zum Ende des Jahrzehnts noch nicht überwunden war. Eine Krise, die zudem weniger schmerzhaft hätte verlaufen können, wenn die besser aufgestellten Länder das Wachstum der Eurozone mit einer expansiven Politik unterstützt hätten, anstatt selbst eine restriktive Haltung einzunehmen.

Die EWU ist die einzige große Industrienation, die 2012/13 nach der globalen Finanzkrise von 2008 eine zweite Rezession erlitten hat. Und nicht nur das: Seitdem ist die Binnennachfrage anämisch geblieben, und die europäische Wirtschaft hat sich „germanisiert“ und konnte nur dank der Exporte wachsen; dies trägt zu den wachsenden Handelsspannungen bei, und Deutschland wird von internationalen Gremien und von den USA beschuldigt, deflationären Druck auf die Weltwirtschaft auszuüben.

Das Narrativ einer Krise, die durch die fiskalische Verantwortungslosigkeit verschwenderischer Regierungen verursacht wurde, verlor schnell seinen Glanz, und bereits 2014 entschieden sich viele seiner anfänglichen Befürworter (z.B. Mario Draghi, der inzwischen Präsident der EZB wurde) für eine „symmetrischere“ Erklärung, wonach der Auslöser der Krise Zahlungsbilanzungleichgewichte seien, an denen sich die übermäßig verschwenderischen und die übermäßig sparsamen Länder gleichermaßen schuldig machten.

Aber Schäuble ist nie von seiner Überzeugung abgerückt, dass die einzig notwendige Medizin die Kürzung der öffentlichen Ausgaben sei; diese Sichtweise hat Deutschland seinem Partner auch bei der Reform der europäischen Institutionen (vom ESM bis zum Fiskalpakt) aufgezwungen.

Mit der Covid-Krise und der entschiedenen Unterstützung Deutschlands für Next Generation EU schien es, als sei die ordoliberale Doktrin endgültig in den Ruhestand gegangen, zusammen mit Schäuble, ihrem stolzesten Parteigänger.

Aber die jüngsten Ereignisse zeigen uns, dass dies Wunschdenken war. Schäuble hätte wohl der von seinem Nachfolger Lindner durchgesetzten (Nicht-)Reform des Stabilitätspakts zugestimmt, dessen einziges Leitbild der Abbau der Staatsverschuldung ist. Schäuble hat uns verlassen, aber der Fetisch der öffentlichen und privaten Sparsamkeit als heilende Tugend ist lebendig.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des italienischen Ökonomen Francesco Saraceno)