Säkulare Stagnation und die Vermögensungleichheit

Der amerikanische Ökonom Alvin Hansen führte den Begriff der „säkularen Stagnation“ in den 1930er Jahren ein. Seine Hypothese wurde von Lawrence Summers im November 2013 während einer Konferenz des IWF wieder zur Sprache gebracht.

Lawrence Summers, Davos
Lawrence Summers 2007 in Davos

Summers‘ Rede erzeugte eine heftige Diskussion, und das aus einem gutem Grund. Seiner Ansicht nach war die Große Rezession symptomatisch für ein längerfristiges Problem:
eine nachweisbare, trotz niedriger Realzinsen permanent unzureichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage

Die Grundidee und ihre Auswirkungen wurden von vielen Ökonomen konkretisiert:
So z. B. von Ryan Avent, John Cassidy und Paul Krugman. Eine kurze Zusammenfassung der Hypothese lautet in etwa so:

Eine eigentlich normal funktionierende Wirtschaft würde angesichts geringer werdender Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen die Zinsen senken, um Haushalte und Unternehmen dazu zu bewegen, mehr Kredite aufzunehmen und mehr zu verbrauchen.

Wenn in einer normal funktionierenden Wirtschaft die Zinsen fallen, leihen sich Haushalte Geld, um Autos zu kaufen oder ihre Küchen zu renovieren, weshalb es sich dann auch für die Unternehmen wieder lohnt, zu investieren. Ein niedrigerer Zinssatz hilft also die Nachfrage zu steigern.

Aber was passiert, wenn die Höhe des Zinssatzes, der nötig wäre, um eine ausreichende Nachfrage zu erzeugen, negativ sein müsste? Mit anderen Worten, was ist, wenn die Wirtschaft die Menschen eigentlich dafür bestrafen müsste, wenn sie in risikolose Anlagen wie US-Staatsanleihen investieren, um sie dadurch zum Konsum zu animieren?

Viele finden diese Idee intuitiv widersprüchlich: die Realzinsen sind im Grunde Null, aber dieser These nach sind sie immer noch zu hoch.

Warum aber würden die Zinsen trotzdem auf einem zu hohen Niveau bleiben? Warum können sie nicht negativ werden?

Die Nominalzinsen können nie negativ sein, da die US-Regierung eine nominale Rendite von 0 % jedem versprechen muss, der Bargeld hält. Und daher würde auch niemand einen Nominalzins von unter 0 % für jedes andere von der Regierung besicherte Wertpapier akzeptieren.

Natürlich können die Realzinsen negativ werden, wenn wir eine höhere Inflation haben. Aber die Inflation zu steigern kann schwierig werden, vor allem, wenn eine Notenbank sich einen besonderen Ruf in der Bekämpfung der Inflation aufgebaut hat.

Wenn die Realzinsen negativ sein müssten, um die Nachfrage zu steigern, aber die geltenden Zinssätze noch immer um Null liegen, dann haben wir noch zu viele Ersparnisse in risikofreien Anlagen – was Paul Krugman als Liquiditätsfalle bezeichnet. In einer solchen Situation wird die Wirtschaft dann gezwungen, ihren Bedarf stark einzuschränken.

Die These der Liquiditätsfalle hilft zu erklären, warum Rezessionen so schwerwiegend sein können. Aber die Argumentation von Summers geht noch darüber hinaus. Er legt dar, dass wir uns in einem langfristigen „Gleichgewichtszustand“ befinden, in dem die Realzinsen eigentlich negativ sein müssten, um noch eine ausreichende Nachfrage generieren zu können. Ohne negative Realzinsen sind wir dagegen zu wirtschaftlicher Stagnation verurteilt.

Wie die meisten provokanten Ideen basiert auch diese bei ihrer Einführung auf einer abstrakten informellen Modellierung. Es gibt daher kaum Zweifel, dass Ökonomen, die der Idee von nachfrageorientierten Wirtschaftszyklen skeptisch gegenüber stehen, diese erst einmal zurückweisen werden. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass die Forscher diese Idee mit weiterer Modellierung und weiteren Tests noch mehr konkretisieren werden. Dies ist absolut notwendig und wird hoffentlich auch fruchtbar sein.

Aus Sicht der beiden Autoren fehlt bei der These von der säkularen Stagnation die entscheidende Rolle der stark ungleichen Vermögensverteilung. Wer genau spart zuviel? Es sind sicherlich nicht die unteren 80 % in der Vermögensverteilung, da diese fast keine finanziellen Assets halten.

Außerdem wird ein Teil der Ersparnisse der Wohlhabenden, die diese in das Finanzsystem investieren, auch in den Händen der weniger vermögenden privaten Haushalte enden, wenn diese eine Hypothek oder ein Darlehen für eine Autofinanzierung aufnehmen.

Aber diese Finanzierungen der weniger vermögenden Haushalte erfolgen fast immer durch Schuldverträge. Damit aber werden einige potenzielle Probleme geschaffen. Schulden führen zur Blasenbildung, wenn die Wirtschaft wächst, und Schuldverträge zwingen die Kreditnehmer, die durch einen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit erzeugten Verluste allein zu tragen.

Diese beiden Auswirkungen von Schulden sind wichtige Implikationen für die Hypothese der säkularen Stagnation.

(eigene Übersetzung eines Artikels von Atif Mian und Amir Sufi – House of Debt)