Wenn Sie falsch liegen, liegen Sie falsch, egal wie berühmt und respektiert Sie als Wissenschaftler sein mögen.
1988: Milton Friedman und der damalige US-Präsident Ronald Reagan
Albert Einstein machte bei der Quantenmechanik Fehler. Linus Pauling irrte sich bei der Struktur der DNA. Und Milton Friedman lag mit seiner Hypothese permanenter Einkommen daneben. Doch im Gegensatz zu den ersten beiden Beispielen, in denen die Wissenschaftler recht schnell die Fehler erkannten, sind die Ökonomen zumeist bis heute noch nicht mit der Realität in Berührung gekommen.
Friedmans Theorie besagt, dass der Konsum der Menschen nicht davon abhängt, wie viel sie täglich an Lohn erhalten. Stattdessen ist ihnen dafür wichtig, was sie erwarten während ihres ganzen Lebens zu verdienen. Wenn sie einen plötzlichen, vorübergehenden Einkommensverlust erleiden, beispielsweise eine Phase der Arbeitslosigkeit, leihen sie sich Geld, um damit über die Runden zu kommen.
Bekommen sie einen unerwarteten kurzzeitigen Einkommenszuwachs, wie etwa einen Scheck von der Regierung im Rahmen eines Konjunkturpaketes, halten sie diesen lieber auf der Bank für schlechte Zeiten anstatt ihn dazu zu verwenden, ihren Konsum zu erhöhen. Nur wenn die Leute glauben, dass sich ihre zukünftigen Einkommen langfristig geändert haben, passen sie ihre Ausgaben entsprechend an.
Diese Idee ist wichtig, weil sie bedeutet, dass man sich von fiskalischen Impulsen nicht allzu viel Wirkung erwarten sollte. Einmalige Zahlungen der Regierung sind nur eine temporäre Form des Einkommens, so sagt uns Friedmans Theorie, und sie ändern nicht kurzfristig die Ausgabens-Muster, wie es die Zweifler dieser These wie John Maynard Keynes glaubten.
Auch jetzt noch, wo wirtschaftliche Modelle weit komplexer als zu Friedmans Zeiten geworden sind, gehen die Ökonomen immer noch auf Friedmans Theorie als mentalen Prüfstein zurück – eine grundlegende Intuition, die die Art und Weise, wie sie ihre Modelle bilden, anleitet. Mein erster makroökonomischer Professor hat fest und intuitiv daran geglaubt und wollte sie sogar in die Seminare seines Ressorts aufnehmen.
Leider kann Intuition, die auf falschen Theorien beruht, uns in die Irre führen. Ökonomen wissen seit einiger Zeit, dass diese Theorie nicht den Tatsachen entspricht. Wenn Leute ein zusätzliches Einkommen erhalten, neigen sie dazu, etwas davon sofort wieder auszugeben. Daraufhin haben einige Wirtschaftswissenschaftler versucht, Friedmans Theorie noch zu retten, indem sie ein paar plausible Korrekturen vornahmen.
Menschen könnten auf temporäre Einkommensveränderungen reagieren, weil sie nicht in der Lage sind sich Geld zu leihen – wenn Sie mehr ausgeben wollen, aber Ihre Kreditkarten und die Kreditlinien ihrer Bank schon ausgereizt sind, könnte eine einmalige Zahlung von der Regierung sie von der Tyrannei der Bank befreien. Viele Ökonomen sehen daher Kreditbeschränkungen als einen einfachen minimal-invasiven Weg, um Friedmans Grundidee doch noch zu retten.
Doch seitdem Ökonomen immer bessere und umfangreichere Daten erhalten, fanden sie heraus, dass selbst diese Änderungen nicht ausreichen. Eine neue Studie von Peter Ganong und Pascal Noel wies nach, dass das Konsumentenverhalten kurzfristiger ausfällt als von fast jedem Mainstream-Modell prognostiziert.
Ganong und Noel untersuchten Daten auf den Bankkonten von Personen, die Zahlungen einer Arbeitslosenversicherung erhielten (anonyme Daten natürlich). Sie überprüften, wie sich Ausgaben tendenziell veränderten, wenn die Arbeitslosenhilfe einsprang – in der Regel kurz nachdem die Menschen ihre Jobs verloren hatten.
Und sie betrachteten auch, wie sich die Ausgaben veränderten, wenn diese Hilfen wieder ausliefen. Diese Art der individualisierten Datenerhebung war noch zu Friedmans Zeiten gänzlich unmöglich, und sie zeigt, wie die Computerisierung und erweiterte Empirie die ökonomische Profession seitdem revolutioniert haben.
Die erste Erkenntnis der Autoren war nicht wirklich überraschend – wenn Menschen ihre Arbeit verlieren, beginnen sie weniger auszugeben. Dies steht im Einklang mit dem Kredit-Constraint-Modell, da viele Menschen sich nicht genug leihen können, um den Lebensstil fortzusetzen, den sie vor dem Verlust des Jobs genossen haben. Nach dieser ursprünglichen Feststellung fanden die Autoren weiterhin heraus, dass die Ausgaben mit der Zeit weiter zurückgingen, was allerdings auch keine besondere Verblüffung hervorrief.
Doch erst mit dem Ende der Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung setzte das eigentliche Mysterium ein. Denn damit geht ein weiterer großer und sofortiger Rückgang der Ausgaben einher – einer, der fast doppelt so groß ausfällt wie der Rückgang direkt nach dem Verlust des Arbeitsplatzes!
Der Einkommensrückgang ist dann viel größer als der Rückgang der Ausgaben, was bedeutet, dass die Menschen nicht vollständig von der Hand in den Mund leben. Aber er fällt dabei viel zu groß aus, um von einer der maßgebenden Theorien erklärt werden zu können.
Das Ende der Versicherungszahlungen kommt nicht überraschend – die Menschen wissen recht genau, ab wann die Schecks nicht mehr kommen. Und wenn Kreditbeschränkungen das bestimmende Thema wären, würden die Leute vorher mehr gespart haben, da sie doch den Zeitpunkt kennen, ab wann ihre Leistungen auslaufen werden.
So ist dieses Verhalten ein großes Rätsel für die Mainstream-Theorien. Es bedeutet, dass da mehr ist als nur die einfache Weigerung der Banken Kredite zu vergeben. Aus irgendeinem Grunde denken die Verbraucher kurzfristig – wenn das Geld nicht mehr kommt, fahren sie ihre Ausgaben herunter, auch wenn sie wissen, dass sie wahrscheinlich in der relativ nahen Zukunft einen neuen Job bekommen.
Das heißt aber auch, dass Friedmans Theorie nicht nur hier oder da eine Korrektur benötigt – sie bedarf schlicht einer Generalüberholung. Niemand weiß momentan, wie diese ausfallen wird, obwohl einige Ökonomen damit begonnen haben, mit Modellen des kurzfristigen Denkens der Verbraucher zu experimentieren. Aber was auch immer als eventuelle Erklärung am Ende herhalten muss, es ist mehr als wahrscheinlich, dass Jahrzehnte des Glaubens an Friedmans Idee uns dazu veranlasst haben, die potenzielle Macht der fiskalischen Impulse und anderer politischen Ideen, mit denen kurzfristig Einkommen gesteigert werden könnten, erheblich zu unterschätzen.
Selbst die größten Wissenschaftler können mal falsch liegen. Doch eine Wissenschaft muss sich daran messen lassen, wie schnell sie auf die Fehler reagiert, die ihre größten Helden machen.
(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des amerikanischen Ökonomen Noah Smith)