Immer noch aktuell: Die makroökonomischen Lehrbücher könnten bei Angebot und Nachfrage falsch liegen

Wie man vielleicht erwarten kann, neigen Ökonomen dazu, über viele Dinge in den Relationen von Angebot und Nachfrage zu reden.

Orange Crop Kufr Jammal
Frisch geerntete Orangen in Kafr Jammal, West Bank, Palästina

Bei der Makroökonomie ist das nicht anders. Das grundlegende Modell über Rezessionen und Booms, welches im Eingangsstudium der Wirtschaftswissenschaften gelehrt wird, beruht auf den Begriffen der aggregierten Nachfrage und des aggregierten Angebots.

Genau wie die Nachfrage nach Orangen die Zahl der Orangen ist, die Menschen zu einem bestimmten Preis kaufen wollen, besteht die Gesamtnachfrage aus der Menge der Dinge im Allgemeinen, die die Menschen erwerben wollen – Autos, Rückenmassagen oder Videospiele, aber auch Unternehmen und Geschäfte.

Und das Gesamtangebot stellt die Menge all dessen dar, was die Verkäufer verkaufen wollen. Die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Aggregaten bestimmt, ob das Wachstum hoch oder niedrig ausfällt.

Auch die öffentliche Konversation ist voll mit Bezügen auf dieses Modell. Keynesianer glauben, dass Rezessionen – oder zumindest die meisten davon – durch Defizite in der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verursacht werden, die die Regierung dann korrigieren muss.

Monetaristen nutzen den Angebot-und-Nachfrage-Rahmen ebenfalls – Scott Sumner, jetzt am Mercatus Center an der George Mason University, beschrieb es einst als „das Goldi-locks-Modell“.

Aber tief im Bauch der Wissenschaft haben Ökonomen lange hinterfragt, ob es sinnvoll sei, über die Makroökonomie auf diese Weise nachzudenken. Es gibt viele Wege zu zeigen, dass Nachfrage und Angebot in der Praxis nicht unterscheidbar sein könnten.

Bereits vor etwa 15 Jahren wiesen die Ökonomen Paul Beaudry und Franck Portier auf eine dieser Möglichkeiten hin. Sie theoretisierten, dass sich eine Rezession ereignen würde, wenn die Menschen erkennen, dass ein Produktivitätsabschwung in der Zukunft kommen könnte. Wenn man morgen eine geringere Produktivität erwartet, würden die Unternehmen Investitionen reduzieren, Arbeiter entlassen und die Produktion abbauen.

Wäre diese Rezession dann durch einen Angebots- oder Nachfrage-Schock verursacht worden? Traditionell denken wir über zufällige Produktivitätsveränderungen als Angebotsschocks, da sie die Mengen beeinflussen, die Unternehmen produzieren können.

Doch in der kurzen Frist erscheinen die Kürzungen bei Investitionen und Beschäftigung im Modell von Beaudry und Portier eher wie ein Nachfrageschock. Die beiden Begriffe sind einfach nicht mehr deutlich genug, sobald die Dinge beginnen kompliziert zu werden.

Vor kurzem haben einige Makroökonomen über die entgegengesetzte Richtung der Kausalität nachgedacht. Es gäbe Möglichkeiten, dass ein kurzfristiger Rückgang der Nachfrage dazu führen könnte, dass auch das Angebot auf lange Sicht sinken würde.

Ein Grund dafür könnte sein, dass eine reduzierte wirtschaftliche Aktivität dazu führen könnte, dass Unternehmen weniger in neue Technologien investieren. Neue Technologie ist einer der Haupttreiber des Produktivitätswachstums, aber sie fällt normalerweise nicht vom Himmel. Sie braucht Geld – zuerst für die Forschung, dann für die Implementierung und die Übernahme der neuen Technologien.

Selbstfahrende Autos zum Beispiel werden viele Milliarden Dollar bis zur Marktreife benötigen. In einer Rezession mit vielen Unternehmen knapp bei Kasse haben Firmen generell weniger Geld zum Ausgeben. So könnten sich neue Technologien jahrelang verzögern, was zu einem langsameren langfristigen Wachstum führen würde.

Dies ist die Grundlage für zwei weiter theoretische Veröffentlichungen. Das erste Paper von Diego Anzoategui, Diego Comin, Mark Gertler und Joseba Martinez benutzte ein Standard-Modell Nachfrage-basierter Rezessionen – wie es auch viele Zentralbanken verwenden, und welches auch vom Nobelpreisträger Paul Krugman und vielen anderen befürwortet wird – und fügte die Idee hinzu, dass neue Technik Geld kostet.

Sie stellten fest, dass das Produktivitätswachstum sinkt, nachdem die Nachfrage von einem Schock getroffen wurde, und dass dies zu Rezessionen führen kann, die viele Jahre länger dauern können als sie es sonst tun würden. Das zweite Paper von Gianluca Benigno und Luca Fornaro kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen.

Das scheint mit den Erfahrungen der Staaten übereinzustimmen, die von der Finanzkrise und der Rezession von 2007-2009 hart getroffen wurden. Zuerst haben alle in Panik ihre Ausgaben gestoppt – die Konsumenten hörten auf zu konsumieren, die Unternehmen hielten Investitionen und Neueinstellungen zurück und die Arbeitgeber begannen Arbeitnehmer zu entlassen.

Es war ein klassischer Lehrbuch-Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Aber die Rezession zog sich dann noch jahrelang weiter, und das Produktivitätswachstum verlangsamte sich, genau wie es diese Modelle vorhergesagt hätten.

Es gibt auch noch andere Wege, wie Nachfrage-Rückgänge dazu führen können, dass auch das Angebot sinkt. Die Wirtschaftswissenschaftler Brad DeLong und Larry Summers hatten nahegelegt, dass, wenn Rezessionen Menschen aus der Arbeit werfen, ihre beruflichen Fähigkeiten, ihre Arbeitsmoral und die Geschäftsverbindungen entwertet werden können, so dass sie in der Zukunft weniger produktive Arbeiter sind.

Eine andere Gruppe hatte theoretisiert, dass niedrige Nachfrage die Produktivität verringern könnte, indem sie die Menschen weniger angestrengt nach Dingen suchen lässt, die sie ansonsten gern kaufen möchten, und so verhindert, dass Unternehmen neue Wege finden, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Jede dieser Theorien benötigt eine Menge empirischer Bestätigung, bevor sie endlich konventionelle Weisheit wird. Doch die Idee, dass die Nachfrage das Angebot beeinflussen kann, wirft die Möglichkeit auf, dass wir über Makroökonomie bisher völlig falsch gedacht und diskutiert haben.

Es könnte sein, dass Maßnahmen, mit denen die Nachfrage in einer Rezession angekurbelt werden – vielleicht steuerliche Anreize oder monetäre Lockerung – auch das Produktivi-tätswachstum schneller erhöhen könnten, so dass die Wirtschaft nicht nur kurzfristig, sondern über viele Jahre wächst.

Diese Idee, die manchmal auch „Verdoorn’s Gesetz“ genannt wird, hat in wirtschafts-wissenschaftlichen Kreisen allerdings noch keine gewichtige Akzeptanz gefunden.

Die Vorstellung, dass die Produktivität von allein wächst und nicht durch Impulse beschleunigt werden kann, ist noch tief verankert. Doch diese neuen Theorien zeigen, dass es zumindest die Möglichkeit gibt, dass die konventionelle Ansicht falsch wäre, und dass die Steigerung der Konjunktur in der kurzen Frist dazu führen kann, auch noch über viele Jahre in der Zukunft ihre Dividenden zu ernten.

(eigene Übersetzung eines schon älteren Blogbeitrages des amerikanischen Ökonomen Noah Smith, der aber an Aktualität nichts eingebüßt hat)