Ein eindeutiger Sieg des Favre-Systems

Eins vorweg: natürlich bin ich mir darüber im klaren, dass so gut wie keine Mannschaft eine solche Anzahl an verletzten und erkrankten Spielern einfach so wegstecken kann. Auch die Tatsache, dass Christian Clemens noch nie Rechtsverteidiger gespielt hat und sowohl Dennis Aogo als auch Marco Höger Rekonvaleszenten nach sehr langen Pausen sind, soll hier nicht vergessen werden.

Gladbachs Trainer Lucien Favre

Und trotzdem, kann das als Entschuldigung für eine 1:4-Niederlage in Mönchengladbach ausreichen? Auch Bayern München und dem ungeliebten Nachbarn aus Lüdenscheid fehlen seit Wochen einige wichtige Spieler.

Joel Matip, Jan Kirchhoff, Sead Kolasinac, Jefferson Farfan, Leon Goretzka, Atsuto Uchida, Felipe Santana und Fabian Giefer gar nicht dabei, Julian Draxler, Max Meyer und Klaas-Jan Huntelaar krankheitsbedingt nur auf der Bank.

Natürlich ist das schon heftig, wenn eine komplette Elf am Spieltag ausfällt. Und doch, oh Wunder, standen am Samstag elf Akteure auf dem Platz, darunter sogar ein frisch gebackener Weltmeister, ein Jung-Nationalspieler (Sidney Sam), ein kamerunischer Internationaler (Eric-Maxim Choupo-Moting), der aktuelle Kapitän der österreichischen Auswahl sowie ein ghanaischer Nationalspieler, der immerhin über 70 Spiele für den AC Mailand absolviert hat.

Also alles Spieler, die nicht erst seit gestern auch international aktiv sind und eigentlich wissen müssten, was sie da auf dem Rasen machen sollen. Im Gegenteil: mit Kaan Ayhan und ausgerechnet Keeper Ralf Fährmann (der in Gladbach noch der Beste war und sein Team vor einer noch höheren Schlappe bewahrte) hatten nur zwei Mann bisher weniger als 50 Bundesligaspiele absolviert.

Wie aber kann sich eine solche Mannschaft zweimal geradezu klassisch auskontern lassen, noch dazu auswärts? Und nicht, dass das jetzt vielleicht überraschend gewesen wäre. Nein, die Art und Weise, wie die Niederlage in Gladbach zustande kam, war ein geradezu klassisches Deja-Vu-Erlebnis. Auch in Dresden und Hannover war nahezu das Gleiche passiert.

Dabei hatte alles eigentlich recht gut begonnen: in den ersten 20 Minuten beherrschte Schalke Ball und Gegner, doch eine echte Torchance sprang dabei allerdings nicht heraus.
Auf der anderen Seite machten es die Gladbacher wesentlich besser. Gleich die erste Konterchance saß, als die Blauen die gesamte linke Seite entblößten und Andre Hahn nur noch Keeper Ralf Fährmann überwinden musste.Ähnlich anfällig präsentierten sich die Schalker beim dritten Treffer der Fohlen, der schon praktisch das KO bedeutete, nachdem zwischenzeitlich Choupo-Moting mit dem Anschlußtor noch für Hoffnung gesorgt hatte.

Eine kleine statistische Einblendung von sky sorgte zudem für Erstaunen: während der letzte Gladbacher durchschnittlich nur 33 Meter vom Tor entfernt stand, betrug der gleiche Wert für Schalke immerhin über 40 Meter! Im Klartext: die gesamte taktische Aufstellung der Gelsenkirchener war wesentlich offensiver ausgerichtet!

Während die Blau-Weißen also sehr hoch standen und über viel Ballbesitz die Kontrolle über das Spiel zu gewinnen suchten, hatte Gladbachs Trainer Lucien Favre seiner Mannschaft eine komplett andere Taktik verordnet: abwarten, dem Gegner das Spielgerät überlassen und auf Konter lauern. Nun, selbst für Laien dürfte nach dem Spiel klar gewesen sein, wer hier wen ausmanövriert hatte.

Favre hatte offenbar bei den bisherigen Auswärtsspielen der Schalker besonders gut hingesehen. Denn auch in Dresden und Hannover waren die Schwächen der Mannschaft von Trainer Jens Keller, insbesondere bei Ballverlusten in der Vorwärtsbewegung, mehrfach deutlich zutage getreten.

Umso erstaunlicher musste es dem Schweizer vorgekommen sein, dass Keller genauso weiter spielen ließ. Trotz erheblicher Probleme auf den Außenverteidiger-Positionen änderte er nichts an der offensiven Ausrichtung, sowohl Dennis Aogo als auch Christian Clemens interpretierten ihre Rollen sehr angriffsfreudig. Und da auch Christian Fuchs und (mit Abstrichen) Sidney Sam sich nicht viel mit lästigen Abwehraufgaben belasten wollten, musste sich Favre fast wie bei „Wünsch Dir was“ vorgekommen sein. Denn eine andere Spielweise der Schalker hätte er sich wirklich nicht wünschen können.

Für die Anhängerschaft des S04 aber bringt diese Handlungsweise eine ganz andere Fragestellung hervor. Warum um Himmels willen denn schon wieder so? Reicht es nicht aus, dass man sich beim Drittligisten Dynamo Dresden mit dieser Spielweise schon genug blamiert hatte?
Oder in Hannover eine Begegnung, die man eigentlich hätte gewinnen müssen, durch eben genau diese Schwächen dann doch noch verloren hat?

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Lernwirkung aus den vergangenen Niederlagen? Und so sehr man dann auch die Probleme mit der langen Verletzten- und Krankenliste vorschieben mag, so muss man doch feststellen, dass das mit der falschen Taktik letztlich recht wenig zu tun hat.

Und dafür ist nun mal am Ende doch wieder der Trainer zuständig, ganz egal, welche elf Spieler da nun auf dem Rasen stehen. Sicherlich gibt es unter den Ausfällen den einen oder anderen, der (unter normalen Umständen) bestimmt stärker wäre als sein nun spielender Ersatz. Doch das ändert an der gewählten Taktik gleichwohl nur wenig.

So bleibt dann auch meine hauptsächliche Kritik am Trainer weiterhin bestehen: Jens Keller lässt keinen modernen Fußball mit System spielen. Was braucht man denn noch, um dies festzustellen, als eine so klare Niederlage gegen das „System Favre“? Und das nun zum wiederholten Mal…

Dieses Problem haben wir nun seit fast zwei Jahren, und es wird mal mehr oder weniger kaschiert durch die individuellen Fähigkeiten der Spieler. Sicher, man kann auch die Profis da nicht ganz aus der Schusslinie nehmen.

Wie sich z. B. Neustädter und Höger am Samstag da im defensiven Mittelfeld präsentiert haben, war alles andere als bundesligatauglich. Oder der „Prinz“ auf seiner angeblichen Lieblingsposition: wie man so etwas mit Leben ausfüllt, hat ihm sein Gegenüber, der Brasilianer Raffael, in Gladbach mehr als einmal vorgemacht.

Doch das Ganze steht und fällt vor allem mit den Leistungen des Trainerteams. Wenn ich beispielsweise sehe, dass meine Mannschaft Schwierigkeiten damit hat, nach einem Ballverlust in die Defensive umzuschalten, so muss ich versuchen, dass zu ändern.

Ähnliches gilt natürlich auch für die Vorwärtsbewegung. Seien wir doch mal ehrlich: Wann haben wir zuletzt eine Schalker Mannschaft gesehen, die nach einem Fehlpass komplett und sofort vollständig nach hinten gearbeitet hat? Und wer hat sich noch nicht über das fehlende schnelle Umschaltspiel bei einer Balleroberung geärgert?

Es wird Zeit, möglichst bald etwas zu ändern. Doch wie soll das gehen, bei dem engen Spielplan in den nächsten Wochen? Chelsea, Frankfurt, Bremen, der BVB, Maribor und Hoffenheim: bis Anfang Oktober sind wichtige Weichenstellungen für den weiteren Verlauf der Saison möglich.

So wie ich es sehe, geht Schalke eher schlecht gerüstet in diese vorentscheidende Phase, und das liegt nicht nur allein an den vielen Verletzten.