Wer erinnert sich nicht an viele unsägliche Spiele der Keller-, di Matteo-, Breitenreiter- und Weinzierl-Ära, als man bei einem Rückstand lange vor dem Ende eigentlich den Fernseher abschalten konnte, da sich die Mannschaft bereits in ihr Schicksal ergeben hatte?
Hat momentan gut lachen:
Schalkes Übungsleiter Domenico Tedesco
Damit sind wir aber auch schon mitten drin im Halbzeit-Fazit über den S04 und seinen neuen Trainer, der, soviel kann man vorab schon mal feststellen, der eigentliche Star der Truppe geworden ist.
Zunächst aber die nackten Zahlen: 2. Tabellenplatz hinter den Bayern, mit 30 Punkten zwei Zähler vor den Verfolgern BVB, Leverkusen, Leipzig und Gladbach, Champions League und Europa League wieder in absoluter Reichweite. Seit nunmehr wettbewerbsübergreifend 13 Begegnungen ungeschlagen, erstmals wieder seit 11 Jahren in der Vereinsgeschichte.
Mindestens genauso wichtig wie diese durchaus vorzeigewürdige Bilanz bleibt aber das Auftreten der Elf auf dem Platz. Und hier könnte der Unterschied zu ihren Vorgängern nicht größer sein. Spätestens seit dem Derby muss man hier von einer völlig neuen Mentalität sprechen.
Wie oben schon in der Überschrift klar gemacht wird, gibt es für diese Mannschaft kein Aufgeben. Auch die Frankfurter Eintracht und der FC Augsburg mussten das feststellen. Gegen den FCA, immerhin inzwischen absolut keine Laufkundschaft mehr, reichte den Schalkern ein 2:2 nicht aus, nach einer zeitweiligen Schwächephase raffte man sich gegen Ende der Partie noch einmal auf und erzwang so den Elfmeter zum Siegtreffer.
Ähnlich erging es den Hessen in der Commerzbank-Arena, dem ehemaligen Waldstadion. Ein Zwei-Tore-Vorsprung reichte nicht zum Dreier, obwohl es lange Zeit so aussah. Doch die Blau-Weißen ließen nie locker in ihrem Bemühen, etwas Zählbares aus Frankfurt mitzunehmen. Sie dominierten das Spiel bis in die Nachspielzeit, trieben das Leder immer wieder lang nach vorn, bis schließlich einmal mehr der Brasilianer Naldo (wie zuvor auch in Dortmund) in buchstäblich letzter Sekunde einnetzte.
Als S04-Fan steht man somit vor einer völlig neuen Qualität der eigenen Mannschaft, die offenbar hauptsächlich auf die Arbeit des Trainerteams zurückgeht. Tedeso hat es geschafft, aus lauter Einzelspielern ein Team zu schmieden, bei dem auch die Akteure auf der Bank nicht zu kurz kommen. Es ist ihm um so höher anzurechnen, da man davon ausgehen kann, dass auch seine oben genannten Vorgänger selbiges versucht haben.
Doch weder Breitenreiter noch Weinzierl haben dabei annähernd soviel Erfolg gehabt wie der Deutsch-Italiener, dessen Methodik bei den Spielern anscheinend sehr gut ankommt. Habe ich bisher in den letzten Beiträgen vor allem einzelne Akteure hervorgehoben, so ist es spätestens jetzt an der Zeit, das Ganze als ein sehr gut funktionierendes Gebilde zu loben, in dem ein Rädchen in das andere greift und somit zum maximalen Erfolg geführt hat.
Ob Dreier- oder Viererkette, ob zwei oder drei Angreifer, ob Pressing oder Ballbesitz: mit zunehmender Spielzeit konnte die Mannschaft die Taktik und das System des Trainers immer besser umsetzen, ja sogar während der Begegnung reibungslos den Modus wechseln, ohne dabei großartig den Rhythmus zu verlieren. Dazu noch der unbedingte Wille nicht aufzugeben, und fertig war ein besonderer Cocktail, der eigentlich allen recht gut munden sollte.
Doch natürlich gibt es auch immer etwas zu meckern. Unter der anfänglichen besonderen Konzentration auf die Defensive litt das organisierte Spiel nach vorn und durchdachte Angriffsaktionen blieben leider oft noch Mangelware. Entsprechend blieb die Torausbeute recht mager. Erst in den letzten Begegnungen änderte sich dies ein wenig, allerdings auch zulasten der Stabilität in der Abwehr.
Vor allem aber in der Begegnung gegen den Tabellenletzten 1. FC Köln machten sich sowohl Nachlässigkeiten in der Defensive (obwohl der „Hand“-Elfmeter gegen Stambouli eher ein schlechter Scherz war) als auch Schwächen im Abschluss extrem negativ bemerkbar, am Ende bedeutete das Unentschieden den einzigen wirklich schmerzhaften 2-Punkte-Verlust.
Hier wird dann auch am deutlichsten sichtbar, dass doch noch einiges an Arbeit in der Rückrunde auf den Trainer und sein Team wartet. Die Gegentorflut der letzten Begegnungen (11 in 5 Partien) muss unbedingt wieder eingedämmt werden, gleichzeitig bereitet das häufig nur stückwerkhafte Offensivspiel noch einiges an Kopfschmerzen.
Symptomatisch dafür das Pokal-Achtelfinale wiederum gegen die Kölner. Wieder zog sich ein Gegner weit in die eigene Hälfte zurück und beschränkte sich darauf, dort kompakt zu verteidigen und gleichzeitig auf Fehler der Schalker zu hoffen. Das Aufbauspiel der Blauen wurde dadurch langsamer und auf viele Querpässe in der Dreierkette mit Naldo, Kehrer und Nastasic beschränkt.
So dauerte es sehr lange, bis sich der S04 erste Chancen herausarbeiten konnte. Erst nach dem Pausentee, bei dem Tedesco seinen Akteuren offenbar noch einmal flottes und direktes Passen nahegelegt hatte, wurden die Aktionen der Knappen zwingender. Das kuriose Kopfballtor von Max Meyer bedeutete dann den Höhepunkt dieser zwischen-zeitlichen Druckphase, ehe man sich wie zuletzt häufiger nach einem Vorsprung zurückzog und den Kontrahenten die Initiative weitestgehend überließ.
Das soll es aber dann auch schon gewesen sein mit der Kritik, denn tatsächlich überwiegen die positiven Aspekte bei weitem. Endlich steht da wieder eine Mannschaft auf dem Platz, nicht ein Grüppchen von Jungunternehmern ihrer selbst, die die Verantwortung gerne dem Anderen zuschieben. Stattdessen hilft man sich jetzt gegenseitig Fehler und Nachlässigkeiten auszubügeln und ordnet Egoismen dem Erfolg des Ganzen unter.
Und ja, dies ist offensichtlich zu einem großen Teil das Werk des neuen Übungsleiters, der anscheinend einen besonders guten Draht zu seinen „Jungs“ gefunden hat, ihnen für jede Phase der Saison eine gerade passende Taktik zurechtlegen kann und bei den Fans spätestens seit dem Derby einen gewaltigen Stein im Brett hat. Es wird sehr interessant sein, wohin diese Entwicklung nach der Winterpause führen wird. Und vor allem wie weit…