
Größenwahn und Selbstüberschätzung – Schalke auf den Spuren von Stuttgart, Hamburg und Bremen.
Schalke 04 ist mit über 160.000 Mitgliedern der zweitgrößte Sportverein Deutschlands. Daraus leiten viele Schalker ab, dass man deswegen auch der zweitbeste Fußballverein Deutschlands sein muss, und, dass es Schalkes Anspruch sein muss, jedes Jahr Champions League zu spielen.
Und da ist schon das erste Problem. Schalke ist meilenweit davon entfernt, sportlich ein Spitzenclub zu sein. Und was noch mehr wehtut, ist, dass wir meilenweit von unseren Schwarz-Gelben Freunden entfernt sind.
Diese Lücke wird von Jahr zu Jahr größer. Das Problem ist jedoch, dass Schalke es nicht wahrhaben möchte, dass dem so ist. Auch wenn wir uns inzwischen weitestgehend einig sind, dass wir kein Spitzenverein mehr sind, ist in den Köpfen von uns allen irgendwo verankert, dass das momentan nur ein Ausnahmezustand ist und wir ein „schlafender Riese“ seien.
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So beginnt ein herausragender Beitrag des Schalke-Fans @rene_1904 auf web04, der mir zu fast 100 Prozent aus der tiefblauen Seele spricht. Schon seit einiger Zeit versuche ich eher vergeblich, die richtigen Worte zur Schalker Krise zu finden. Meist wird es viel zu lang und ich verliere mich in vielen Einzelheiten, um dann den Faden vollends zu verschludern und entnervt aufzugeben.
Oder aber es wird zu kurz, zu wenig knackig oder vor allem nicht ausführlich genug. Ein Teufelskreis, der in vielen Dingen der misslungenen Schalker Rückrunde gleicht. Frustrierend und zum Verzweifeln.
Zum Thema Ausgliederung und Tönnies sei nur gesagt, dass Tönnies DAS Gesicht des von mir bereits erwähnten „Zerfalls“ ist. In einem Verein in dem jedes Jahr ein neuer Trainer an der Seitenlinie steht, alle 4 Jahre ein neuer Manager auf der Tribüne sitzt und alle 2 Jahre die Mannschaft komplett ausgetauscht wird, um eine neue Ära mit dem nächsten Umbruch einzuleiten, während der sportliche Erfolg zunehmend schwindet, war Clemens Tönnies die Konstante (neben den Schulden und den zu hohen Ambitionen).
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Das Problem ist, auch wenn Tönnies (trotz aller Kritik) ohne Zweifel ein mehr als erfolgreicher Unternehmer ist, macht ihn das nicht automatisch zu einem guten Sportfunktionär. Clemens Tönnies brachte wenig Titel, dafür aber Größenwahn, Selbstüberschätzung und Ungeduld nach Schalke.Seit Rudi Assauers und Huub Stevens erster Amtszeit gelang es Schalke nicht mehr Kontinuität auf irgendwelchen Positionen im operativen Geschäft zu haben. Dennoch wurde Tönnies stets wiedergewählt. Eben aufgrund seines künstlich erzeugtem „Kumpel- und Malocher“-Images und aufgrund seiner fast genialen Selbstinszenierung.
Der Fisch fängt bekanntlich am Kopf an zu stinken und @rene_1904 bringt das meiner Ansicht nach sehr gut auf den Punkt.
Clemens Tönnies als einzige Konstante in einem sich anscheinend immer schneller drehendem Rad Schalke 04 kann da bei der Kritik auf gar keinen Fall außen vor bleiben. Kompetente sportliche Führung eines Vereins sieht irgendwie anders aus, man betrachte nur so manchen Konkurrenten in der Bundesliga…
1000 Trainer schon verschlissen, Philosophien kommen – Philosophien gehen
Die Ungeduld und mangelnde Kompetenz der Vereinsführung wird vor allem am Personalverschleiß deutlich. Wie schon erwähnt, wurden Trainer, Manager und Spieler wild durchgetauscht, sobald es nicht lief und jeder erdenkliche Trainertyp durfte auf Schalke schon vergeblich sein Glück versuchen. Allerdings ist das nicht nur ein Problem, welches Schalke allein hat. Im heutigen Fußball ist es üblich, dass Trainer gewechselt werden, und Spieler kommen und gehen. Dennoch schaffen es andere Vereine, erfolgreich zu sein und sich nachhaltig ein stabiles Gebilde aufzubauen. Und das muss das Ziel von Schalke 04 sein, wenn man erfolgreich sein will.
Hundert Prozent meine Gedanken, wobei ich über die Zusammenhänge mit den unterschiedlichen Trainertypen noch gar nicht so genau nachgedacht habe. Doch wenn man das so liest, kommt die Erkenntnis fast von allein.
Das Gebilde darf nicht mit einzelnen Personen stehen und fallen. Schalke 04 braucht eine klare und fixe Vereinsphilosophie, die von der Vereinsführung vorgegeben wird. Und genau daran sind Tönnies und Co gescheitert. Der Fehler, den Schalke immer wieder auf’s Neue macht, ist, dass die Philosophie nicht von oben kommt, sondern vom Trainer. Der Trainer wird immer als der wichtigste Mann im Verein installiert, der dem Verein seinen Stempel aufzwingen soll. So kann man aber nicht nachhaltig erfolgreich sein. Ein Verein muss sich selbst eine Identität geben, und dieser treu bleiben.
Da fällt mir nur ein: Bingo, voll ins Schwarze getroffen…
Für mich gibt es nur einen Weg, wie Schalke nachhaltig erfolgreich sein kann und das sogar ohne Ausgliederung, und das sind junge Talente. Mit der Knappenschmiede als Unterbau hat man schon mal eine hervorragende Basis. Wo wir in den vergangenen Jahren Riesendefizite hatten, war im Scouting, allerdings haben wir da mit Michael Reschke einen der Besten, die wir für die Position kriegen können. Das Ziel muss es sein, Talente frühzeitig zu entdecken, sie günstig zu bekommen, sie zu fördern um dann erst sportlich und dann wirtschaftlich (in Form von Ablösesummen) von ihnen zu profitieren. Das ist der einzige Weg, den wir gehen können. Keine 30+ Millionen Stars und keine Mittelklasse Bundesligaspieler, die schon auf die 30 zugehen. Und genau diesen Weg haben wir in dieser Saison versucht einzuschlagen, was mich optimistisch stimmt.
Trotz (oder gerade wegen) der momentanen Krise muss ich @rene_1904 hier nahezu vollumfänglich zustimmen. Es gibt keinen anderen Weg, den der FC Schalke 04 in der Zukunft gehen kann, denn alle anderen hat man bereits mehrfach erfolglos beschritten und nun droht aufgrund der wirtschaftlichen Situation, verstärkt durch die Corona-Krise auch noch das Geld endgültig auszugehen.
Man hätte diese Richtung schon vor Jahren einschlagen müssen, sehr viel konkreter und entschlossener als es bisher getan wurde. Denn der Nachwuchs und die Fähigkeiten eines Norbert Elgert und seiner Helfer sind mittler weise das einzige Kapital, welches uns von Vereinen wie dem HSV, Stuttgart oder Bremen noch wirklich unterscheidet.
Doch auch in diesem Bereich sehe ich uns (anders als @rene_1904, der hier deutlich optimistischer ist) momentan auf dem Rückzug, oder andere Clubs haben ihre Defizite zuletzt verringern können. Ein richtig prägender Spieler aus der Knappenschmiede fehlt im derzeitigen Kader, Ahmed Kutucu wäre der einzige, doch seine Probleme mit dem Trainer (oder die des Trainers mit ihm?) stellen eher ein weiteres Symptom der Krise dar.
Levent Mercan, Nassim Boujellab und Malick Thiaw sind weitere Namen, deren Entwicklungspotenzial man nutzen und fördern sollte ohne sie zu verheizen. Ein sehr schwieriges Vorhaben im heutigen Profi-Fußball, aber im Sinne des oben Gesagten nahezu alternativlos.
Ansonsten sollte jeder aufgeschlossene Schalke-Fan dieses hervorragende Traktat zu seinem geliebten Verein unbedingt lesen, auch wenn man möglicherweise nicht in allem damit konform geht. In seiner Offenheit und fast schmerzlichen Genauigkeit der Kritik ist es ein wichtiges Stück öffentlicher Diskussion jenseits aller Tabus, ja ein wahrer Augenöffner.
In diesem Sinne: Glückauf – bevor es zu spät ist…