Von Berlin nach Basel: was uns das Deutsche Reich der 1930er Jahre über Bankenregulierung lehren kann

Zwei der größten Banken des Landes kollabierten. Die anschließende Panik zwang das Bankensystem in die Knie und nur ein kostspieliger Bail-Out durch die Regierung verhinderte eine noch größere Katastrophe. Eine radikales Umdenken bei der Banken- regulierung erschien mehr denn je dringend erforderlich zu sein.

Schleusengraben Berlin-Mitte 184-289
Schleusengraben und Jungfernbrücke vor dem ehemaligen Reichsbankgebäude
(heute Auswärtiges Amt) in Berlin

Nein, es handelte sich nicht um London oder New York im Jahre 2008. Es geht um Berlin in den 1930er Jahren. Denn genau das war damals die Zeit, als die risikogewichtete Eigen- kapitalregulierung der Banken geboren wurde, die vor allem neben einer Reihe von anderen Werkzeugen zur Schadensbehebung in der Krise angewendet wurde, wie zum Beispiel der notwendigen Liquiditätsversorgung oder solch moderner Ideen wie Bonusbegrenzungen und Maßnahmen zur Einlagensicherung.

Doch die Idee, dass einzelne Regulierungsmaßnahmen nur für sich allein nicht ausreichen würden, um eine solche Krise zu bekämpfen, geriet bald wieder in Vergessenheit. So musste denn auch im Jahr 2008 die Bedeutung des Studiums früherer Finanzkrisen erneut schmerzlich neu erlernt werden.

Die Deutsche Bankenkrise von 1931
Das deutsche Bankensystem befand sich Anfang der 1930er Jahre in einem desolaten Zustand: Es war unterkapitalisiert, mit Risiken vollgepumpt, illiquide und wurde nur mittels äußerst unbeständiger Finanzierung über Wasser gehalten, sowie von Vorständen von zweifelhafter Qualität gesteuert. So etwas stellt nie eine besonders gute Kombination dar.

Das durchschnittliche Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital im deutschen Bankensystem war von 14% 1925 auf 8,5% Ende 1930 gefallen. Die sechs größten Banken hatten sogar nur noch ein aggregierte Eigenkapitalquote von 6,8%. An und für sich war dies bei anderen Banken auch nicht anders. Die Quoten der britischen Banken beispielsweise waren auf ein ähnliches Niveau geschrumpft, dennoch entgingen diese Institute den Turbulenzen der 1930er Jahre relativ unbeschadet.

Die britischen Banken hielten allerdings auch überwiegend sehr viel sicherere Anlagen. In Großbritannien versorgten die Bankinstitute zumeist Firmenkunden mit kurzfristigen Krediten, während langfristige Finanzierungen tendenziell über die hoch entwickelten Kapitalmärkte abgewickelt wurden. In Deutschland dagegen besorgten vor allem die Banken auch die dauerhaften Finanzierungen. Die Nachfrage nach langfristigem Kapital war infolge von Krieg, Reparationen und Hyperinflation immens gestiegen.

Doch es gab im Deutschen Reich keine starken Kapitalmärkte, die diese Kredite zur Verfügung stellen konnten. Die Banken selbst verfügten nicht über ausreichende Eigenmittel, um mit der Ausweitung der Kreditvergabe mithalten zu können, die sie für die deutschen Unternehmen zur Verfügung gestellt hatten. So verließen sie sich auf die Fremdfinanzierung. Dies führte zu einem hohen Verschuldungsgrad der Banken, die zudem auch noch die Verbindlichkeiten hochverschuldeter Firmen verwalteten – oft mit sehr wenig Sorgfalt. Dr. von Bissing, damals Professor an der Handelshochschule Königsberg, beschrieb das folgendermaßen:

„[die Banken] verstanden ihre Kunden nicht gut genug, weder in ihren Spitzen noch in den Zweigstellen; die Organisation der großen Berliner Banken neigte tendenziell zu Bürokratie und unnötigem Schreibkram. Die Banken ließen oft nicht genügend Sorgfalt walten […] und sagten aus Wettbewerbsgründen zu selten „Nein“ zu ihren Kunden.“

Die Kehrseite dieser Methode der deutschen Banken, überwiegend in Unternehmenskredite zu investieren bedeutete, dass sie sehr wenig „liquide Mittel“ hielten. Dabei handelt es sich um Vermögenswerte, die schnell mit wenig Einfluss auf ihren Wert verkauft werden können. Dadurch können die Operationen der Banken noch eine Zeit lang am Laufen gehalten werden, auch wenn die externe Finanzierung auszutrocknen droht.

Die damalige deutsche Notenbank, die Reichsbank, unterschied drei verschiedene Ebenen der Liquidität (was übrigens stark der aktuell in Basel III festgelegten Mindestliquiditätsquote ähnelt). Die Bestände der höchsten Form der von der Reichsbank anerkannten Liquidität, nämlich das Bargeld, waren in den 1920er Jahren deutlich zurückgegangen. Auch dies stand im völligen Kontrast zu Großbritannien, wo die Banken sehr viel mehr Zentralbankgeld in Form von Bargeld hielten.

Die Schwäche des Bankensystems wurde generell von einem schlechten Jahr an den Finanzmärkten verstärkt. Im Mai kollabierte die österreichische Creditanstalt und sendete damit Wellen der Nervosität durch die Kapitalmärkte. Die Probleme in Wien machten sich auch in Berlin bemerkbar. Ausländische Gläubiger begannen Geld aus dem Bankensystem zu entziehen und zeigten damit auf dramatische Weise, wie leicht ein Mangel an Vertrauen sich über Grenzen hinweg ausbreiten und zu einer Destabilisierung gefährdeter Banksysteme sorgen kann.

Die letzte Quelle der Anfälligkeit im deutschen Bankensystem war die übermäßige Abhängigkeit von kurzfristiger Fremdfinanzierung. Denn dies bedeutete ein Abhängigkeit von sehr unbeständigen Methoden der Geldbeschaffung: ein kurzfristiges Darlehen ist leicht und schnell zurückgezogen, und ausländische Gläubiger sind in der Regel die ersten, die so etwas tun. Am Ende des Jahres 1930 stammte mehr als ein Drittel der deutschen Kredite aus dem Ausland, und nahezu alle davon waren kurzfristiger Art.

All dies passierte zudem in einer Zeit erhöhter politischer Unsicherheit in Deutschland. Adolf Hitlers NSDAP hatte ihre Wählerschaft von weniger als einer Million auf über sechs Millionen Stimmen gesteigert und war nun die zweitgrößte Partei im Reichstag. Zu allem Überfluss zog auch noch eine Krise um die deutschen Reparationen infolge des Ersten Weltkriegs herauf. Die Reichsregierung, noch demokratisch ohne NSDAP-Teilnahme gewählt erklärte, dass Deutschland nicht mehr in der Lage und bereit sei Reparationen zu zahlen.

Der amerikanische Präsident Herbert Hoover schlug daraufhin ein Schuldenmoratorium als Lösungsansatz vor. Doch vor allem Frankreich widersetzte sich diesem Angebot, und verhinderte so ein kurzfristige Lösung der Krise (siehe Archiv der Bank von England). Als der Gouverneur der Bank of England Montagu Norman mit seinem Gegenüber bei der Federal Reserve Bank von New York, George Harrison telefonierte, machte er den Ernst der Lage klar:

„[Wenn] wir die Franzosen nicht auf Linie bekommen oder sonst etwas anderes nicht wie vorgesehen passiert, wird das die Lage in Berlin zerstören: der Gouverneur kann den Schweregrad der drohenden Gefahr eigentlich nicht überschätzen. […] Jede Änderung [des Vorschlags von Hoover] würde die Deutschen ruinieren“

Es brauchte daher auch nicht mehr viel, um dieses Pulverfass in Brand zu setzen. Und als es dann zum Crash kam, war dieser spektakulär. Am 13. Juli 1931 kollabierte die Danat-Bank. Gemessen an den Vermögenswerten war sie damals die zweitgrößte deutsche Bank. Und ihr Direktor hatte eine eher unbekümmerte Haltung gegenüber Kreditrisiken eingeführt – selbst unter Berücksichtigung der von Dr. von Bissing oben angeführten niedrigen Standards.

Ihr Untergang begann mit dem Konkurs der „Nordwolle“, Europas größtem Textil- unternehmen. Die Nordwolle schuldete der Danat-Bank 48 Millionen Reichsmark. Das waren immerhin satte 40% des gesamten Kapitals der Bank! Das Textilunternehmen hatte bewusst Verluste versteckt und die Bilanzen gefälscht. Doch vor allem der Mangel an Sorgfaltspflicht durch die Danat-Bank sorgte dafür, dass diese Betrügereien viel zu spät entdeckt wurden (da nutzte es auch nichts, dass der Danat-Chef Jakob Goldschmidt durch die Enthüllungen so wütend wurde, dass er seinem Nordwolle-Gegenüber Georg Carl Lahusen einen Stuhl an den Kopf warf).

Eine allgemeine Bankenpanik folgte. Sie verschlang auch die Dresdner Bank, die drittgrößte Bank des Landes, und führte zu einem Run auf das gesamte deutsche Bankensystem. Daher musste es vorübergehend ausgesetzt und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden. Die Regierung und die Reichsbank retteten die fünf größten Banken und stellten dem gesamten System Notfall-Kredite und Darlehensgarantien zur Verfügung. Insgesamt ähnelte das stark der Praxis in den entwickelten Ländern während der jüngsten Krise.

Das Bankengesetz von 1934 (Kreditwesengesetz KWG)
Das KWG von 1934 wurde von Beamten der Reichsbank aufgesetzt und reagierte vor allem auf die Hauptursachen für die Krise: hohes Risiko, niedrige Liquidität und Management-Versagen.

Die wichtigste Neuerung war, dass mit diesem Gesetz erstmals weltweit eine risikogewichtete Mindesteigenkapitalquote definiert wurde: die Gesamtschulden abzüglich der flüssigen Mittel sollten einen bestimmten Prozentsatz des Eigenkapitals nicht überschreiten. Die Subtrahierung liquider Assets bedeutet dabei natürlich nichts anderes, als ihr Risiko mit 0% zu gewichten.

Dies war anscheinend das erste Mal überhaupt, dass das Eigenkapital einer Bank mit den Risiken in ihrer Bilanz in Verbindung gebracht wurde. Und in der Tat bedeutete die Einführung von Mindestkapitalquoten ein Novum in der Geschichte des Bankwesens. Die Bankenaufsicht im Vereinigten Königreich beispielsweise blieb weiterhin informell und ohne echte Eingriffsrechte: man verließ sich auf die „hochgezogenen Augenbrauen“ des Zentralbank-Gouverneurs und achtete in erster Linie auf die Liquidität und nicht auf Verschuldung und Kapital.

Die Einführung von Mindestanforderungen für das Risikomanagement führten dazu, dass die Kredite an die Realwirtschaft, die das deutsche Bankensystem in die Knie gezwungen hatten, direkter erfasst wurden, als wenn eine niedrigere Risikoquote verwendet worden wäre. Nur der simple Vergleich der Eigenkapitalquoten reichte nicht aus, um die größere Belastung der deutschen Banken durch risikoreichere Kredite im Vergleich zu den britischen Banken deutlich zu machen. Erst das Entfernen sicherer Vermögenswerte aus der Gleichung hätte das Bild dramatisch verändert.

Trotz ihrer historischen Bedeutung war die risikogewichtete Eigenkapitalregulierung nicht das einzige Instrument in diesem Gesetz: es enthielt auch andere moderne Ideen wie Mindestliquiditätsanforderungen, Limits bei Großkrediten (einschließlich der Staatsverschuldung), Ausschüttungsbeschränkungen bei Verstößen gegen die Vorschriften und Boni-Stundungen für die Geschäftsleitungen. Alles in allem bedeutete dieses Gesetz eine sehr weitreichende und vielschichtige Reaktion auf eine Krise mit zahlreichen Ursachen.

Was können wir heute daraus lernen?
Die wichtigste Lehre aus der Krise von 1931 ist vielleicht am besten mit dem Sprichwort ausgedrückt „Ein Unglück kommt selten allein“. Diese deutsche Bankenkrise hatte viele Ursachen – riskante Kredite, Verletzung der Sorgfaltspflichten durch das Management, geringes Eigenkapital, schlechte Liquidität, unbeständige Finanzierungen, Ansteckungsgefahren und andere Ereignisse sowie politische Risiken außerhalb der Kontrolle der Banken.

Das KWG reagierte darauf mit der Einführung mehrerer Werkzeuge, mit denen sie diesen Risiken begegnen konnte, einschließlich – jedoch nicht nur ausschließlich – einer risikogewichteten Eigenkapitalquote. Dies stand in krassem Gegensatz zu den Richtlinien von Basel I und II, die zur Zeit der jüngsten Krise Gültigkeit hatten. Es gab darin nur ein risikogewichtetes Verhältnis. So wichtig diese Regelung auch ist, sie reichte allein nicht aus, um die aktuelle Krise zu verhindern.

Die Regulierer mussten diese Lektion schmerzhaft neu lernen: ein einziges Werkzeug, egal wie hoch entwickelt und anspruchsvoll es sein mag, kann allein nicht gegen die mannigfaltigen Risiken schützen, denen Banken ausgesetzt sind, zumal viele dieser Risiken nur schwer zu quantifizieren sind. Wie hoch sollte beispielsweise der Risikoanteil sein, für den ein fahrlässiger Banken-Chef haften müsste, der in einem Anfall von Wut mit Stühlen um sich wirft?

Als Reaktion auf die Krise gibt es jetzt Verschuldungsquoten (Leverage Ratios), Banken-Stresstests sowie in Großbritannien ab März 2016 eine Erweiterung der Verant- wortlichkeiten und Haftungsregelungen für das Management (Senior-Management-Regime); und international wurden Regelungen für die Überwachung der Liquiditäts- anforderungen und Grenzen für Großkredite eingeführt. Wir hatten diese Lektion aus der Vergangenheit zuvor verlernt. Vergessen wir sie dieses Mal nicht wieder.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des Ökonomen Tobias Neumann aus der Forschungsabteilung der Bank of England)