Fiskalregeln: eine Rückkehr in die Vergangenheit, die Europa zur Bedeutungslosigkeit verdammt

Nach drei Jahren Beinahe-Untätigkeit und einigen Monaten hektischer Verhandlungen haben die europäischen Finanzminister endlich eine Einigung über die Reform des Stabilitäts- und Wachstums-pakts erzielt, die im Januar im Europäischen Parlament diskutiert wurde.

Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel (Nov. 2021)
Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel

Auf den ersten Blick könnte man meinen, wenn man sich das Ballett von Prozentsätzen, Schutzklauseln und Klassifizierungen ansieht, dass es sich um ein technisches Problem handelt, für Insider. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

In der Diskussion, die mit der Last-Minute-Einigung im Dezember endete, ging es um den Rahmen, in dem die europäischen Länder in den kommenden Jahren agieren müssen, um die Herausforderungen zu bewältigen, die vor ihnen liegen. Kaum etwas ist heute relevanter. Und deshalb war es ein schlechtes Abkommen. Eine Rückkehr in die Vergangenheit, die das ohnehin angeschlagene Europa zur Bedeu-tungslosigkeit verdammt.

Der alte Pakt, der nun auf den Dachboden verbannt wurde, wurde vielfach kritisiert: wegen seiner barocken Komplexität und seiner Abhängigkeit von zahlreichen, manchmal willkürlichen Indikatoren; für die Betonung von jährlichen Einheitsgrenzen, die eine kurzfristige Disziplin fördert, die in der Tat oft prozyklisch wurde; wegen seiner Voreingenommenheit gegenüber öffentlichen Investitionen.

Vor allem aber entsprach der alte Pakt einer Weltanschauung, in der die Rolle des Staates in der Wirtschaft unter anderem durch restriktive Regeln für die Fiskalpolitik eingeschränkt werden musste.

Diese Welt existiert nicht mehr, und das erklärt die Eröffnung des Reformprozesses des Stabilitätspakts im Jahr 2020. Die globale Finanzkrise von 2008, das katastrophale Management der Eurokrise, die Pandemie und schließlich die Inflation haben gezeigt, dass es ohne Stabilisierungspolitiken, ohne ein angemessenes Niveau an öffentlichen Gütern wie Gesundheit und Bildung, ohne Industriepolitik und öffentliche Investitionen für den ökologischen und digitalen Wandel keine Stabilität und kein Wachstum geben kann. Kurz gesagt, ohne eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft.

Aus diesem Grund drehte sich die Diskussion unter Akademikern und politischen Entscheidungsträgern (die von den Regierungen, die in letzter Minute aufwachten, weitgehend ignoriert wurde) um die Notwendigkeit eines philosophischen Wandels. Die neue Regelung, so glaubte man, müsse dies ändern und den Schutz des fiskalischen Spielraums für öffentliche Politiken in den Mittelpunkt stellen (wobei natürlich die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichergestellt werden müsse).

Ein Philosophiewechsel, der sich in dem 2022 von der Europäischen Kommission vorgelegten Reformvorschlag wiederfand. Der Vorschlag ist zwar unvollkommen, gibt aber die jährlichen Einheitsziele zugunsten mittelfristiger Pläne auf, die von den Ländern im Einvernehmen mit der Kommission entworfen werden, und zwar in einem Rahmen, der die Schuldentragfähigkeit garantiert und versucht, einen (übermäßig) moderaten Schutz der öffentlichen Investitionen zu erreichen.

Dieses Gerüst ist immer noch da, aber es hat sich in eine leere Hülle verwandelt. Auf dem Papier gibt es noch Mehrjahrespläne und Investitionsschutz. Aber Deutschland ist zu seiner alten Besessenheit von der Austerität zurückgekehrt.

Es hat eine Fülle komplexer (und ebenso barocker wie die des alten Paktes) Schutzklauseln eingeführt, die im Falle einer übermäßigen Verschuldung oder eines übermäßigen Defizits (d.h. fast immer für fast alle) ausgelöst werden und die, die mit der Kommission vereinbarten Pläne außer Kraft setzend, auf die Auferlegung von jährlichen Einheitsgrößen zurückgehen, manchmal sogar restriktiver als die alte Regel.

Wie im viel kritisierten alten Stabilitätspakt ist der Schuldenabbau immer noch das A und O, und es ist kein Zufall, dass sich alle sparsamen Länder darüber freuen, dass die neue Regel die Haushaltsdisziplin wirksamer erzwingen wird als die alte.

Die italienische und die französische Regierung, die einzigen, die das Gremium hätten umdrehen können, begnügten sich mit einem absoluten Minimum, einer gewissen kurzfristigen Flexibilität, um zu ihren jeweiligen Wahlen mit etwas Geld zu kommen, das sie ausgeben konnten.

Eine kurzsichtige und deprimierende Strategie: Die Wahlen und diese Regierungen werden passieren, aber die Regel wird bestehen bleiben und uns die Hände binden, während China und die Vereinigten Staaten kolossale Investitionen in die Zukunft tätigen. Das ist in Ordnung, solange diejenigen, die heute den Sieg feiern, nicht in ein paar Jahren kommen und sich die Kleider zerreißen, wenn Europa noch irrelevanter geworden sein wird, als es heute bereits ist.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des italienischen Ökonomen Francesco Saraceno)