Die „Einfuhr“ von Menschen ist etwas anderes als die Einfuhr von Äpfeln

Eine Auseinandersetzung mit der „üblichen“ ökonomischen Betrachtungsweise von Migration:
„Der Kerngedanke der wirtschaftlichen Argumentation für die Migration ist sehr einfach: Es ist derselbe, wie er auch für die Märkte im Allgemeinen gilt.

Countries by immigrant population
Weltkarte mit Ländern, die entsprechend ihrer Einwanderungsbevölkerung
als Prozentsatz der Gesamtbevölkerung eingefärbt sind

Wenn Menschen auf der Grundlage ihres ökonomischen Eigeninteresses Entscheidungen treffen, so maximieren sie dadurch auch das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt. Dies gilt überall dort, wo Menschen leben und genau so viel (oder auch mehr) arbeiten, wie es für den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen notwendig ist.

Natürlich können Märkte dabei versagen, ebenso wie auch in anderen Fällen, und „mehr Markt“ ist nicht immer unbedingt besser. Doch die generelle Auffassung, dass im Allgemeinen Märkte sehr gut sind bei der Zuteilung von Ressourcen – einschließlich der menschlichen Ressourcen – wird unter den Ökonomen weitestgehend geteilt.

Und diese Analogie gilt auch in einem engeren, eher technischen Sinne. Das klassische Argument für den Freihandel, so wie es von Adam Smith entwickelt wurde, ist nicht nur übereinstimmend, sondern auch formal identisch mit dem Argument der Freizügigkeit. Es ist sehr einfach, dies so zu erkennen. In ökonomischer Hinsicht erscheint es völlig identisch, jemanden die Einreise in sein Land zu gestatten, um mit ihm Handel zu treiben (oder für sich arbeiten zu lassen oder bei ihm beschäftigt zu sein) oder eben die Handelsschranken mit seinem Land zu beseitigen.“

Eigene Übersetzung aus dem Blogbeitrag The economic case for migration des britisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Jonathan Portes

Aber kann man diese förmlich „autistisch“ wirkende ökonomische Ansicht der Wirtschafts-wissenschaftler so akzeptieren? Jenseits der reinen Theorie geht es hier schließlich um die Zuwanderung von Menschen und nicht um den Import von Äpfeln oder anderen Waren.

Es sind nicht nur „Arbeitsleistungen“ und die „Nachfrage der Verbraucher“, die die Grenzen überqueren; es handelt sich dabei um Personen. Und es gibt noch sehr viel mehr über Menschen zu sagen als nur die Konzentration auf Arbeitsleistung und Konsumnachfrage, wobei Lohntarife und Transportkosten die einzigen Unterschiede darstellen, ob man sich nun innerhalb oder außerhalb der Grenzen befindet.

Die totale Faktorproduktivität (TFP) ist schließlich nicht irgendein geologisches Merkmal wie etwa der Kanadische Schild. Es muss daher Gründe geben, warum einige Länder reich und wohlhabend sind und andere Staaten eher hoffnungslose Fälle darstellen.

Außer in dem eher seltenen Glücksfall, dass ein Land auf großen Stauseen von Öl sitzt und jemand anderes diese Leute dafür bezahlt, um es aus dem Boden zu pumpen, müssen diese Gründe etwas mit sozialen/wirtschaftlichen Institutionen zu tun haben, und solche sozioökonomischen Institutionen scheinen immer auch etwas mit Menschen zu tun zu haben.

Zieht man allerdings ein Modell zu Rate, welches die totale Faktorproduktivität als exogen (= nur von außen beeinflusst) abhandelt, so kann man zu dem Schluss kommen, dass es eine gute Sache sein würde, wenn die „Ressourcen“ aus Orten mit niedriger TFP zu Orten mit hoher TFP fließen, so wie es die unsichtbare Hand erledigen würde, wenn man sie nur wie in der Theorie wirken ließe.

Doch hier sollte man unterbrechen und sich fragen: „Moment mal, warum ist eigentlich die TFP an einigen Stellen höher als an anderen?“. Was prompt zur nächsten Frage führen sollte: „Ich frage mich, ob die TFP wirklich nur exogen auf die Art von Politik-Experiment wirkt, für welche ich mein Modell verwende?“. Und weiter: „Ich frage mich daher ebenso, ob auch sozioökonomische Institutionen diese Modell-Experimente nur exogen beeinflussen würden?“

Doch soziale und ökonomische Institutionen wirken und entstehen eindeutig endogen. Und sie sind nicht Teil einer unveränderlichen geologischen Landschaft. Diese Institutionen gehören untrennbar zu all den Dingen, die Menschen tun; sie sind Teil davon, wie Menschen miteinander interagieren und Leute erwarten, wie andere mit ihnen umgehen. Und nicht nur im Prinzip gibt es überhaupt keinen Grund, warum die sozialen/wirtschaftlichen Organe in Bezug auf unsere Importe und Exporte nur exogen sein sollten.

Wie genau werden sich diese Institutionen verändern, wenn wir Menschen „importieren“? Nur Gott allein weiß das. Sie könnten sich zum Besseren wandeln; sie könnten sich aber auch zum Schlechteren verändern. Es hängt von diesen Menschen ab und es hängt auch von uns ab. Aber sie werden sich mit ziemlicher Sicherheit ändern.

Und wenn man noch nicht einmal diese Frage sehen will oder kann, und sich auch nicht darüber wundert, dann fehlt einem wirklich etwas, dass selbst der große ungebildete Pöbel sehen kann. Und dieser Pöbel wird dann noch weniger Glauben in das setzen, was die intellektuellen Eliten ihnen sagen, was sie denken sollen.

Frau Thatcher lag nicht völlig falsch, sie wurde aber auch erheblich missverstanden. Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Gesellschaft, aber diese Gesellschaft kann nicht abseits der Regeln des Handelns und Glaubens der Menschen existieren, die sie geschaffen haben und ständig neu erschaffen. Wir machen das eben nicht nur einmal und belassen diese Gemeinschaft dann so, als wäre sie in Beton gegossen; wir erstellen sie jeden Tag neu.

Denn wie bereits Thomas Hobbes wusste, ist der Mensch in erster Linie ein soziales Wesen und die totale Faktorproduktivität spielte schon zu seinen Zeiten keine wirklich große Rolle im Vergleich zum Zustand der Natur.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des kanadischen Ökonomens Nick Rowe)