Schalke 04 und die sprichwörtlich (über-?)strapazierte Geduld

Ja, ich höre sie bereits wieder, all‘ diese Schalker Fans, die sich nun wieder darüber mokieren, dass es keine Weiterentwicklung der Mannschaft gäbe, keine Fortschritte zu sehen seien.

2010-06-03 Arena AufSchalke 03
Die Veltins-Arena: Tausend Freunde, die zusammenstehn?

Dagegen steht die Aussage von Bjarne Goldbaek bei Sky (zugegebenermaßen vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart), er sei sehr angetan von der Entwicklung, die das Team seit der vergangenen Saison gezeigt habe. Er symbolisiert damit auch die andere Fraktion der Gelsenkirchener Anhänger, die genauso vehement wie die oben genannten Fans das Gegenteil vertreten.

Was aber ist nun richtig, auch in Anbetracht eines so mittelmäßigen Auftritts wie beim 1:1 am vergangenen Sonntag gegen die Schwaben? Gemach, gemach, kann ich da nur sagen. Auch wenn mir da so mancher vehement widersprechen wird, sehe ich es ähnlich wie der dänische Altinternationale.

Ja, es ist tatsächlich (nach meiner Meinung!) so etwas wie eine Verbesserung zu erkennen, vor allem, wenn man als Maßstab die letzten Begegnungen unter Roberto Di Matteo Ende der letzten Saison heranzieht. Doch diese Fortschritte sind noch sehr marginal und nicht wirklich in jedem Spiel als solche sofort erkennbar.

Doch gegen Stuttgart (zumindest in Halbzeit Eins) und in der Ukraine war schon deutlich zu sehen, was das Trainer-Team um Andrè Breitenreiter bisher so geschafft hat. Das Umschaltspiel funktioniert erheblich besser und flüssiger, auch wenn es nicht immer klappt. Die Rückpässe zu Ralf Fährmann sind weniger geworden, ganz ausmerzen wird man sie nicht können und sollte man auch nicht, da sie nun einmal auch (ja wirklich!) ein taktisches Mittel darstellen.

Am auffälligsten ist aber meiner Ansicht nach der Wandel in der Hintermannschaft. Nahezu keinem Gegner gelingt es in letzter Zeit noch, mit Kontern zum Erfolg zu kommen, und das obwohl die Außenverteidiger fast durchweg sehr hoch spielen. Deren Laufbereitschaft sorgt statt dessen immer wieder dafür, dass die Abwehr bei Ballverlusten sehr schnell hinten wieder kompakt steht und die Räume gut schließt.

Nicht zu vergessen sei hierbei vor allem auch Leon Goretzka, der sehr viel auffälliger (und zumeist auch effektiver) als Johannes Geis dieses „Spiel“ mitmacht. Aber auch die Flügelspieler (links Eric-Maxim Choupo-Moting und Max Meyer, rechts trotz zuletzt einiger Kritik gerade in diesem Bereich Leroy Sanè) arbeiten sehr oft hervorragend mit nach hinten. Dabei läuft der Ball wesentlich besser in den eigenen Reihen als früher. Zumindest, was die eigene Hälfte angeht.

Und damit kommen wir dann auch schon zu den Sachen, wo es bisher noch eher hapert. Zuallererst ist da die Chancenverwertung zu nennen, die momentan mehr als unterirdisch ausfällt. Der Klaas-Jan Huntelaar früherer Jahre hätte heute schon mindestens doppelt soviel Tore wie der der Gegenwart, doch auch die anderen Akteure (Sanè, Goretzka, Choupo-Moting, Younes Belhanda und Franco Di Santo, um nur einige zu nennen) treffen viel zu selten.

Problematisch präsentiert sich auch generell das Spiel nach vorne, geht es über die Mittellinie in die gegnerische Hälfte, lässt die Passgenauigkeit teilweise dramatisch zu wünschen übrig. Diese beiden Mankos sind dann auch die Hauptgründe dafür, weshalb die Ergebnisse nicht immer wie gewünscht ausfallen. Allerdings muss man trotzdem festhalten, dass sich im Vergleich zur letzten Saison die Anzahl der Abschlüsse auf das Gehäuse des Gegners erheblich gesteigert hat.

Negativ fällt zudem auf, dass die Mannschaft immer wieder mal in alte Muster zurückfällt und nicht immer in der Lage zu sein scheint, das Konzept des Trainers über 90 Minuten durchzuhalten. Andererseits erschwert die schiere Anzahl der Langzeitverletzten eine erfolgreiche Rotation, und andere mögliche Alternativen (z. B. Sidney Sam oder Pierre-Emile Hojbjerg) drängen sich nicht gerade auf.

In Situationen, in denen eine ordnende Hand vor allem im Mittelfeld gefragt wäre, kommt zudem die schon mehrfache angesprochene Unausgeglichenheit des Kaders zum Tragen. Geis, Goretzka, Meyer und Sanè sind alles junge Burschen, die bei gewissen Konstellationen (wie etwa gegen Bremen: man kassiert kurz vor der Pause den überraschenden Ausgleich, obwohl man selbst mit drei Toren Vorsprung führen müsste) überfordert wirken. Da fehlt dann eindeutig ein Führungsspieler, der routiniert und mitreißend auf solche veränderten Situationen reagieren könnte.

Auch den Trainer selbst kann man nicht grundsätzlich von jeder Kritik ausnehmen. Funktioniert sein Konzept im Laufe eines Spiels nicht mehr, wirkt er zeitweilig hilflos. Auch wenn der Coach des Gegners seinen Gameplan ändert, (wie z. B. Jürgen Kramny vom VfB Stuttgart, als dieser mit der Hereinnahme von Kravets, Harnik und Maxim auf eine wesentlich körperbetontere Spielweise umstellte, während die Blauen spürbar abbauten) hat Breitenreiter nicht immer ein passendes Gegenmittel parat. Dies ist aber zugegebenermaßen, siehe oben, auch den mangelnden Alternativen auf der Bank geschuldet.

Doch trotz der durchaus berechtigten Kritik sehe ich diese Schwächen als Teil eines Entwicklungsprozesses, der eben noch nicht abgeschlossen ist. Mannschaft und Trainer machen Fehler, die sie hoffentlich auf diesem Weg voranbringen werden. Auch wenn es niemand mehr hören will, erinnere ich hier immer wieder an die jüngere Geschichte unseres allseits bekannten Revierrivalen: man hat Jürgen Klopp trotz anfänglicher Probleme die Zeit gegeben, die er benötigte, um eine Mannschaft zusammenzustellen, die national und international für Aufsehen sorgte und Titel einspielte.

Ob das mit Breitenreiter auch so klappen wird, weiß ich nicht und lasse das auch mal so dahin gestellt. Aber man sollte ihm fairerweise wenigstens so viel Zeit lassen, dass er es unter vernünftigen Umständen versuchen kann. Mit dem „Hire and Fire“ früherer Schalker Tage wäre letztlich auch niemandem geholfen.

Was gab es sonst noch rund um den Schalker Markt?
Ach ja, Joel Matip wird den Verein nun endgültig verlassen und zum Saisonende sein Glück an der berühmten Anfield Road in Liverpool unter eben jenem Jürgen Klopp suchen. Sei es ihm gegönnt, auch wenn es wehtut. Denn Joel hat sich in den letzten Jahren zu unserem meiner Meinung nach besten Innenverteidiger entwickelt.

Zweikampfstark, aber nicht unfair, ein herausragender und torgefährlicher Kopfballexperte und vor allem einer der wenigen Manndecker der Bundesliga, der auch über eine gehörige Portion Spielintelligenz verfügt: ja, das ist ein erheblicher Verlust für den FC Schalke 04 und ich bin sehr gespannt darauf, ob und wie es gelingen wird, ihn zu ersetzen.

Damit sind wir auch schon bei der momentan vielleicht wichtigsten Personalie: Christian Heidel, bisher Manager beim 1. FSV Mainz 05, wurde am Sonntag auch vom Schalker Aufsichtsrat in seinem neuen Amt als Vorstand Sport und Kommunikation bestätigt. Dies bedeutet gleichzeitig dann auch das Ende der Ära Horst Heldt, der zuletzt aufgrund vieler missratener Transfers (Kevin-Prince Boateng, Sidney Sam, Felipe Santana, Adam Szalai, Chinedu Obasi und andere) doch sehr viel Gegenwind bekommen hatte.

Mit Heidel und Breitenreiter erwarte ich einen spannenden Sommer 2016, neben Joel Matip wird auch Marco Höger (zum 1. FC Köln) den Verein definitiv verlassen, Roman Neustädter wäre ein weiterer Wechselkandidat, und (nicht nur) der Sturm mit Huntelaar und Di Santo benötigt wohl eine Überarbeitung. Eine Menge Arbeit für den neuen Manager also, dessen Transfer-Philosophie ich schon ganz erwartungsvoll entgegenschaue.

Nun wartet dann aber erst einmal die zweite englische Woche hintereinander auf die Blau-Weißen, mit dem Rückspiel gegen Schachtjor Donezk und dem Gastspiel bei der krisengeschüttelten Eintracht aus Frankfurt.

Und ehrlich gesagt, habe ich mehr Bammel vor der Begegnung am Sonntag in Frankfurt als am Donnerstag gegen Donezk. Während in der Euro-League jedem bewusst sein wird, dass nur ein Sieg über die Ukrainer zum Weiterkommen verhelfen kann, stehen die Hessen in der Bundesliga als Tabellen-Fünfzehnter mit dem Rücken zur Wand. Und da käme ein bereits auf dem internationalen Parkett geforderter FC Schalke 04 als dringend benötigter Aufbaugegner gerade recht.