Israel als ein ökonomischer Triumph des Neoliberalismus?

Malkhei Yisrael strip
Einkaufsstraße in Jerusalem

In der letzten Hälfte des Jahrhunderts hat sich Israel von einem relativ armen Land zu einem der 25 reichsten der Welt entwickelt, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen.

Israel hat dies größtenteils getan, indem es den Handel, die Integration in die Weltwirtschaft, die Liberalisierung seiner Wirtschaft und hohe Investitionen in den Technologiesektor und in Start-ups, oft mit staatlicher Unterstützung, vorangetrieben hat.

Israel hat immer noch einige Probleme mit dem Lebensstandard und der Einkommensungleichheit, aber es ist ein klassischer Fall von Neoliberalismus – zumindest im ökonomischen Bereich -, der größtenteils wie geplant funktioniert.

Wenn Sie also das nächste Mal einen Angriff auf die neoklassische Ökonomie lesen, überlegen Sie einen Moment – und betrachten Sie den Fall Israel.

Tyler Cowen in Bloomberg Opinion: Israel’s Economic Miracle

Ernsthaft jetzt, Herr Cowen? Vielleicht sollte man einmal nachlesen, was der US-Ökonom so lapidar als „einige Probleme“ bezeichnet:

Der Staat senkte die öffentlichen Ausgaben drastisch, vor allem im sozialen Bereich, bei den Subventionen für Grundnahrungsmittel, den öffentlichen Transport und Bildungseinrichtungen. Dies wurde unter der Regierung von Benjamin Netanjahu seit 2009 noch ausgeweitet.

Ziel der Regierung ist es, die Staatsverschuldung in der Maastrichtnorm der EU zu halten. Die soziale Schere ging dabei so weit auseinander, wie man sie seit der Staatsgründung noch nicht erlebt hatte.

Wirtschaft Israels – Wikipedia

Die Preislage in Israel lässt sich allerdings nur dann richtig einordnen, wenn klar ist, wie viel Israelis verdienen. Und das ist im OECD‐Vergleich gar nicht so viel: Das jährliche Haushaltseinkommen abzüglich Steuern und Transferleistungen liegt in Israel bei durchschnittlich 29.704 Euro und damit unter dem OECD‐Durchschnitt von 37.770 Euro.

Zum Vergleich: In Deutschland sind es 41.587 Euro. Dabei ist die Arbeitslosigkeit mit 4,8 Prozent (Stand: 2016) ziemlich gering. Und doch hat Israel die höchste Armutsrate im OECD‐Vergleich, gefolgt von der Türkei und den USA: 18 Prozent aller Israelis leben unterhalb der Armutsgrenze. In Deutschland sind es nur neun Prozent.

»Israel, das sind eigentlich zwei verschiedene Länder«, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dan Ben‐David. »Es gibt die Start‐up‐Nation mit ihren Top‐Universitäten. Und dann gibt es eine andere Gruppe, die nicht die Möglichkeiten und Bedingungen erhält, in der modernen Gesellschaft zu arbeiten. Diese Gruppe ist groß und wächst immer weiter.«

Das Land ist gespalten und die Kluft zwischen Arm und Reich groß. Nur in den USA sind die Einkommensunterschiede größer als in Israel.

Jüdische Allgemeine: Für eine Handvoll Schekel

Nicht zu reden davon, dass der Staat Israel seit Jahrzehnten quasi im permanenten Kriegszustand mit seinen Nachbarn lebt, ständigen gewalttätigen Eskalationen ausgesetzt ist, eine der größten Armeen der Welt und eine vergleichsweise riesige Rüstungsindustrie unterhält (und damit für Unmengen an zusätzlichen Arbeitsplätzen sorgt) und systematisch seine arabischen Mitbürger diskriminiert.

Wenn man das natürlich alles außer acht lässt, kann man Israel tatsächlich als einen neoliberalen Musterstaat feiern. In Wirklichkeit aber ist nur das eingetreten, was diese Art der Wirtschaftspolitik bisher immer verursacht hat: eine Spaltung der Bevölkerung in wenige Reiche und den Rest, von dem ein immer größer werdender Anteil unter den „Wohltaten“ dieser Politik zu leiden hat.

Nimmt man aber diese vielen Sondereffekte weg, die (was die Konflikte angeht, Gott sei Dank) wohl kaum einem anderen Staat so zur Verfügung stehen und berücksichtigt, dass Israel von den USA und Europa in einem besonderen Maße finanziell gefördert wird und gleichzeitig aber mit den Palästinensergebieten die Dritte Welt direkt vor der eigenen Haustür mitverantwortlich selbst erzeugt hat, so muss man Tyler Cowen ernsthaft fragen, ob er sonst nichts Besseres für den angeblichen neoliberalen Erfolg ins Feld zu führen hat.

Wie groß muss die argumentative Not sein, wenn man bei einem solchen Vergleich ausgerechnet auf Israel zurückgreift, dessen wirtschaftliche und politische Situation nahezu einzigartig in der Welt ist. Und für eine Kritik an der Modern Monetary Theory (MMT), die nach Cowens Meinung maßgeblich für die hohen Inflationsraten Anfang der 1980er Jahre verantwortlich sein soll, reicht das erst recht nicht.

Ich kann mir zudem kaum vorstellen, dass irgendjemand wirtschaftlichen Erfolg tatsächlich mit solchen Rahmenbedingungen bezahlen will (außer er gehört zu den wenigen Profiteuren davon). Also Herr Cowen, beim nächsten Mal bitte ein überzeugenderes Beispiel!