Sigmar Gabriels Jahreswirtschaftsbericht: Alles wird gut?

Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 18. Wahlperiode des Bundestages (Martin Rulsch) 059

Gabriel erwartet Beschäftigungsrekord

Der deutschen Wirtschaft geht es gut und dadurch entstehen immer mehr Arbeitsplätze. 2014 wird ein Beschäftigungsrekord erreicht, wie Sigmar Gabriel verkünden will.

Arbeitsmarkt: Gabriel erwartet Beschäftigungsrekord | ZEIT ONLINE

Na also, da ist die große Koalition erst knapp einen Monat im Amt, schon sind die entscheidenden Weichen in Sachen Wirtschaft gestellt. Soll doch noch mal jemand sagen, die Politiker würden nicht liefern.

Sigmar Gabriel zumindest, seines Zeichens neuer Bundeswirtschaftsminister, hat nun in Form des ersten Jahreswirtschaftsberichtes seiner Amtszeit geliefert. Von „Beschäftigungsrekord“, einem Wachstum von 1,8 Prozent und dass „das Wachstum 2014 ausschließlich von der Binnennachfrage getragen werde“ ist da die Rede. Ach ja, und natürlich darf auch die altbekannte Floskel „der deutschen Wirtschaft geht es gut“ nicht fehlen.

Also insgesamt eine Aussicht nach dem Motto: „Wir sind auf dem besten Weg, alles wird gut und bleibt gut.“ Bei so viel Optimismus ist es daher meiner Ansicht nach dringend geboten, diese Annahmen, denn um nichts anderes handelt es sich ja in diesem Bericht, anhand einiger belastbarer Daten und Statistiken zu überprüfen. So zum Thema Beschäftigungsrekord:

Im Januar hat sich die Arbeitslosenquote leicht erhöht. Die Gesamtzahl liegt aber deutlich über der Dreimillionenmarke.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Januar um 263.000 auf 3.136.000 gestiegen.

Damit liegt die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit zehn Monaten wieder deutlich über der Marke von drei Millionen.

Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslosenzahl deutlich über drei Millionen | ZEIT ONLINE

Andererseits steht aber auch in diesem Bericht: „Erwerbstätigkeit und sozial-versicherungspflichtige Beschäftigung nahmen auf Jahressicht weiter zu. So stieg die Zahl der Erwerbstätigen nach den jüngsten Daten vom Dezember um 255.000 auf 42,06 Millionen.“ Diesen Zahlen scheinen Gabriels Annahme eines möglichen neuen Beschäftigungsrekords zu bestätigen.

So stehen wir vor einem seltsamen Paradoxon: Während einerseits die Anzahl der Beschäftigten steigt, steigt gleichzeitig auch die Zahl der Arbeitslosen.

Weiterhelfen können da dann vielleicht ein paar weitergehende Daten zur Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten, dem gesamten Arbeitsvolumen und der Arbeitszeit je Erwerbstätigen, wie es z. B. das Portal Sozialpolitik aktuell anbietet:

Da kann man dann sehen, dass bei steigender Erwerbstätigenzahl das Arbeitsvolumen und die Arbeitszeit je Erwerbstätigem seit Jahren stagniert oder gar rückläufig ist.
Interessant ist dann auch der Vergleich zwischen sozialversicherungspflichtiger Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung:

Hier wird dann endgültig klar, warum gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten und der Arbeitslosen steigen kann: Während die Anzahl der Vollzeitstellen sinkt, hat sich die Zahl der Teilzeitstellen deutlich erhöht. Offenbar reicht aber die Zunahme im Teilzeitbereich nicht aus, um den Abbau der Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse auszugleichen.

Tatsächlich wird keine „neue“ Arbeit geschaffen, sondern nur die vorhandene von teurer Vollzeitbeschäftigung auf billigere Teilzeit-Arbeitsplätze umverteilt. Damit ist auch die erhebliche Zunahme von Leiharbeit, Minijobs, Werkverträgen und anderen schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen in den letzten Jahren erklärbar. Das sogenannte „Jobwunder“ mutiert damit von einer vielumjubelten Erfolgsgeschichte zu schlichter Umverteilung von vorhandener Arbeit ohne die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Weiter geht’s mit der getätigten Annahme, das Wachstum 2014 werde ausschließlich von der Binnennachfrage getragen. Nun, mit einem Blick auf die Entwicklung der deutschen Exporte und Importe 2013 im Vergleich zum Vorjahr muss man dieser Vermutung wohl zustimmen. Trotz aller anderslautenden Jubelmeldungen sanken die Ausfuhren um 0,2 Prozent und die Einfuhren sogar um 1,2 Prozent gegenüber 2012.

Also muss man bei stagnierendem Außenhandel natürlich seine Hoffnungen auf den Binnenmarkt setzen. Doch auch der tut Gabriel nicht unbedingt den Gefallen, mit soliden Wachstumszahlen zu glänzen und so seiner positiven Annahme gerecht zu werden. Über die unterschiedlichen Aufassungen vom angeblichen „Konsumrausch“ im Einzelhandel hatte ich ja bereits in einem früheren Artikel geschrieben.

Schon erstaunlich, wie das Bundeswirtschaftsministerium aus solchen Daten einen derartigen Optimismus generieren kann und bei eigentlich stagnierender Wirtschaftstätigkeit ein Wachstum von fast 2 Prozent für dieses Jahr prognostiziert. Viel naheliegender wäre stattdessen die Annahme, dass es auch 2014 (wenn überhaupt) nur für eine leichte Steigerung im Bereich von ein paar Zehntelprozent reichen wird.

Noch erstaunlicher ist aber vor allem auch die Tatsache, wie schnell Sigmar Gabriel die eigentlich verschmähte Politik der schwarz-gelben Vorgänger-Regierung übernommen hat und in das gleiche Horn stößt. Denn es dürfte natürlich jedem klar sein, dass nach 30 Tagen Regierungsübernahme noch längst nicht die Rede davon sein kann, dass hier bereits die Arbeit der großen Koalition spürbar wird.

Die eigentlichen SPD-Projekte „Mindestlohn“ und „strengere Regeln für Zeitarbeit und Werkverträge“ sind ja dank der Koalitionsverhandlungen noch in so weite Ferne gerückt, dass man unmöglich mit positiven Auswirkungen dieser Maßnahmen schon in 2014 rechnen kann. Stattdessen lobt Gabriel mit diesem Bericht die Arbeit seines Vorgängers und führt diese fort.

Vor nicht allzu langer Zeit hörte sich das noch ganz anders an: Da war noch die Rede von einem „Politikwechsel“ und einem Umschwung hin zu mehr „sozialem Zusammenhalt, damit nicht die Reichen immer reicher und alle anderen immer ärmer werden“. Doch warum sollte die große Koalition mehr Wert auf sozialdemokratische Inhalte setzen, wenn die einfache Fortführung der eigentlich von der SPD abgelehnten Politik von Schwarz-Gelb doch so erfolgreich ist?